Berlin. Günther Jauchs letzter ARD-Talk zeigte, warum es gut ist, dass er geht: Mit Gast Wolfgang Schäuble fehlte ihm wieder der rote Faden.
Es gibt Jahre mit dramatischen politischen Höhepunkten. Als Schröder 2003 die Agenda verkündete. Als Merkel und Steinbrück 2008 die Garantie auf die Spareinlagen geben mussten. Als den Explosionen im japanischen Fukushima der deutsche Atomausstieg folgte. Oder auch, als Bundespräsident Wulff 2012 zum Rücktritt gezwungen war.
Es gibt andere Zeiträume, mit weitreichenden Schlüssel-Ereignissen. Die Menschen erinnern sich an die noch nach Jahrzehnten: Wo war ich damals, als...? Es sind meist Jahre permanenten Ausnahmezustands. 1989 und 1990, als die Mauer fiel und die Teilung der Welt in Ost und West so abrupt endete. 2001 und 2002, als Osama bin Laden die Twin-Towers angreifen ließ und Amerika den Krieg gegen den Terror erklärte.
War 2015 so ein Schlüssel-Jahr? Mit der Griechenland-Krise. Mit der Flüchtlings-Krise. Mit der Terror-Krise, der zweiten. Wir wissen noch nicht, wie die Dinge, die gerade ablaufen, in die Zukunft wirken. Ein Krisenjahr für Deutschland und Europa – das war’s aber. Unbestritten.
Jauch fehlte auch in seinem letzten Polit-Talk der rote Faden
Wolfgang Schäuble, der seit 43 Jahren aus dem Bundestag heraus Politik macht, hat viele spektakuläre Entwicklungen in wichtigen Positionen begleitet. Er kann sie einordnen. Gut also, dass Günter Jauch ihn in seinen 167. und letzten Talk geholt hat, um nach der Lage „am Ende eines Krisenjahres“ zu fragen. Hat Schäuble darauf überzeugend antworten können?
Schäuble konnte nicht. Jauch hat ihm dazu keine Chance gegeben. Dem Moderator fehlte der rote Faden – und damit den ganzen 60 Sendeminuten.
So blieb nach einem Themen-Hopping am Ende ein mehr oder weniger tief reichendes Porträt des lang gedienten Finanzamt-Mitarbeiters, Kanzleramtschefs, Fraktionsvorsitzenden, Ministers. Wir haben einiges Bekannte und manches Unbekannte aus seinem Leben erfahren und über das, was er vielleicht noch tun will.
Schäuble sagt, er hege keinen Groll gegen Helmut Kohl
Wir wissen jetzt, dass er trotz der Zerwürfnisse der Spendenaffäre keinen Groll auf Helmut Kohl hat. Wir haben mitbekommen, wie er – zum wievielten Mal? – die Loyalität zu Angela Merkel betont. Wir haben gehört, dass Schäuble es offen lässt, ob er 2017 – dann als 75-Jähriger – noch einmal für den Deutschen Bundestag kandidiert. Wir können nachvollziehen, was es für diesen Mann bedeutet haben muss, am 3. Oktober 1990 von den Gefühlen bei der Wiedervereinigung überwältigt zu werden, um nur neun Tage später in einer kleinen Gastwirtschaft im Badischen in die Querschnittslähmung geschossen zu werden.
Das ist nicht wenig. Viele werden sich jetzt ein besseres Bild vom Grandseigneur der deutschen Politik machen können, davon, wie er denkt, wie er pragmatisch handelt, wie er auch – wie einst Helmut Schmidt – bereit ist, mit den Bösen dieser Welt zu dealen, um noch Gutes herauszuschinden. Wie er aber auch einmal Gesagtes durchaus zu verteidigen weiß: Hatte er nicht von der „Lawine“ der Flüchtlinge gesprochen? Das kam bei vielen nicht gut an. Schäuble bleibt dabei: Es war richtig. Auch, weil so das Ausland nur so verstehe, was in Deutschland gerade vorgeht.
Der harmlose Frager Jauch macht erstmal nur noch den Rätselonkel
Aber die zentralen Fragen nach der Krisenbewältigung in diesem Jahr, so, wie sie im Sendungs-Titel angesprochen waren? Die blieben bei Jauch weitgehend auf der Strecke. So wurde die Sendung zur Mogelpackung.
Wissen wir jetzt, wie weit Deutschlands Engagement bei der Bekämpfung des IS-Terrors militärisch gehen wird? Nein. Kein Mal hat der Talkmaster den Gast von der CDU gefragt, ob er sich, wie die CSU, eine Obergrenze des Flüchtlingszuzugs vorstellen kann. Nichts brachte das Zwiegespräch mit dem Finanzminister (!) darüber, wie die Staatskasse darauf vorbereitet sein wird, wenn sie durch die Flucht der syrischen Kriegs-Betroffenen nach Deutschland noch stärker als bisher in Anspruch genommen wird.
Wolfgang Schäuble hat es aber immerhin geschafft, einige wichtige, ehrliche Botschaften zu übermitteln. Dass die Bundesbürger schon „große Leistungen“ gebracht haben in diesem Flüchtlings-Herbst, und, ja, „insbesondere die Bayern“. Dass die Politik der Regierung Merkel weiter „auf Sicht“ fahren wird: „Ich weiß auch nicht genau, was in Syrien sein wird“. Dass die Bundesbürger ihre Politiker bitteschön nicht für „Zauberer“ halten sollten. Vor allem aber, dass den Flüchtlings-Problemen nicht durch nationale Abschottung beizukommen ist: „Wir sind heute in einem viel engeren Maß in dieser Welt verknüpft“. Nur, sagt Schäuble vielleicht bedauernd bis selbstkritisch: Darüber hätte man sich schon viel früher klar sein müssen.
Günther Jauch, der harmlose Frager, der sich von seinem Millionenpublikum am Schluss fast mit Tränen in den Augen verabschiedete, wird nie sein wie die freche Marietta Slomka. In Zukunft macht er erst einmal nur noch den Rätselonkel. Da mögen ihn die Leute. Und Schäuble, der alte, zynische Profi? Könnte, nach Helmut Schmidts Tod, irgendwann zu unserem neuen Welterklärer werden. So was braucht das Land.
Jauch-Talk endet mit einer Gegendarstellung
Das allerletzte Wort seines TV-Talks gehörte nicht Günther Jauch, sondern einem ARD-Sprecher, der nach den Abschieds-Worten des Moderators und noch vor den anschließenden Tagesthemen eine Gegendarstellung des Boulevard-Magazines „Closer“ verlas. Dabei ging es um eine Jauch-Ausgabe über die Grenzen der Berichterstattung am Beispiel des Ski-Unfalls von Michael Schumacher aus dem April. Dort hatte die ARD die Namen der Zeitschriften eingeblendet, die eine Teilnahme an der Talkrunde abgesagt hatten - inklusive „Closer“. Doch der damalige Chefredakteur Tom Junkersdorf habe gar nicht abgesagt.