Berlin. Zum Abschied kommt Wolfgang Schäuble als Gast: An diesem Sonntag lädt Günther Jauch letztmals zum ARD-Talk. Ein kritischer Rückblick.

„Ich finde, Sie haben das sehr gut gemacht“, lobte Peter Struck seinen Gastgeber. Es war der 11. September 2011, ein Sonntagabend, und Günther Jauch hatte gerade seine Premiere als ARD-Talkmaster über die Bühne gebracht. 5,1 Millionen Zuschauern schalteten beim Thema „Zehn Jahre 11. September - War es richtig, in den Krieg zu ziehen?“ ein. Die Presse teilte montags mehrheitlich die freundliche Einschätzung des SPD-Politikers Struck. Günther Jauch, so schien es, war endlich da angekommen, wo er hingehört: als gefühlter Chef-Talker bei den Öffentlich-Rechtlichen, zur Top-Sendezeit gleich nach dem „Tatort“.

Heute, gut vier Jahre danach und kurz vor dem Abschied Jauchs von der ARD an diesem Sonntagabend, ist festzustellen: Günther Jauch und das Erste – das ist die Geschichte eines Missverständnisses.

„Profilneurotiker und Gremlins in der ARD“

Schon die erste Annäherung stand unter keinem guten Stern. 2006 scheiterte ein Versuch der ARD-Oberen, Jauch als politischer Talkmaster für das Erste zu gewinnen. Die Verhandlungen endeten im Debakel. Er habe sich umzingelt gefühlt von „Gremien voller Gremlins“, „Profilneurotikern“ und „Wichtigtuern“, trat Jauch später im „Spiegel“-Interview nach. Sein Projekt einer sonntagabendlichen Polit-Talkshow sei damit definitiv erledigt, verkündete Jauch: „Das Thema ist abgehakt.“

Es kam anders, im Herbst 2011 ging Jauch doch noch für die ARD ins sonntägliche Quoten-Rennen. Doch dort zeigte sich bald, dass Günther Jauch, der freundliche „Wer-wird-Millionär?“-Onkel mit dem spitzbübischen Charme, für den harten Politik-Talk nur bedingt geeignet ist. Mal ließ er sich von einem umstrittenen und dauerplappernden Berliner Imam die Gesprächsführung quasi aus der Hand nehmen, dann wieder verpasste er es, einen populistisch daherredenden AfD-Mann argumentativ zu stellen. Der Gasometer in Berlin, so wurde schnell deutlich, war für Jauch die falsche Bühne.

Höhepunkte aus vier Jahren „Günther Jauch“

So fing es an: Der SPD-Politiker Peter Struck (r.) und der Autor Jürgen Todenhöfer gehörten zu den Gästen der ersten Jauch-Sendung 2011. Peter Struck, der im Dezember 2012 verstarb, lobte damals die Premiere des Gastgebers: „Sie haben das sehr gut gemacht, Herr Jauch.“ Für die ARD war Jauch ein zuverlässiger Quotenbringer – fast immer knackte er die Marke von fünf Millionen Zuschauern. Die meist gesehene Ausgabe von „Günther Jauch“ registrierte der Sender am 1. September 2013 nach dem TV-Duell von Kanzlerin Angela Merkel und ihrem Herausforderer Peer Steinbrück. Bei der Jauch-Runde sahen 8,25 Millionen Zuschauer zu.
So fing es an: Der SPD-Politiker Peter Struck (r.) und der Autor Jürgen Todenhöfer gehörten zu den Gästen der ersten Jauch-Sendung 2011. Peter Struck, der im Dezember 2012 verstarb, lobte damals die Premiere des Gastgebers: „Sie haben das sehr gut gemacht, Herr Jauch.“ Für die ARD war Jauch ein zuverlässiger Quotenbringer – fast immer knackte er die Marke von fünf Millionen Zuschauern. Die meist gesehene Ausgabe von „Günther Jauch“ registrierte der Sender am 1. September 2013 nach dem TV-Duell von Kanzlerin Angela Merkel und ihrem Herausforderer Peer Steinbrück. Bei der Jauch-Runde sahen 8,25 Millionen Zuschauer zu. © ARD | ARD/Günther Jauch
Solo für die Kanzlerin: Im September 2011 war Angela Merkel der einzige Gast Jauchs. Die Griechenlandkrise, damals auf ihrem Höhepunkt, war das beherrschende Thema des Abends.
Solo für die Kanzlerin: Im September 2011 war Angela Merkel der einzige Gast Jauchs. Die Griechenlandkrise, damals auf ihrem Höhepunkt, war das beherrschende Thema des Abends. © NDR/Marcel Mettelsiefen | ARD/NDR GÜNTHER JAUCH
Ein Altbundeskanzler – Helmut Schmidt – und einer, der gern Kanzler geworden wäre –  Peer Steinbrück – waren im Oktober 2011 zu Gast bei Jauch. Schmidt traute Steinbrück den Job als Regierungschef zu. Die Merheit der Wähler war anderer Ansicht.
Ein Altbundeskanzler – Helmut Schmidt – und einer, der gern Kanzler geworden wäre – Peer Steinbrück – waren im Oktober 2011 zu Gast bei Jauch. Schmidt traute Steinbrück den Job als Regierungschef zu. Die Merheit der Wähler war anderer Ansicht. © NDR/Max Kohr | ARD/NDR GÜNTHER JAUCH
Abdul Adhim Kamouss, ein wortgewandter Imam aus Berlin, schmiss die Jauch-sendung am 28. September 2014 fast ganz allein. Jauch war dem Redeschwall des dauergrinsenden Geistlichen nicht gewachsen.
Abdul Adhim Kamouss, ein wortgewandter Imam aus Berlin, schmiss die Jauch-sendung am 28. September 2014 fast ganz allein. Jauch war dem Redeschwall des dauergrinsenden Geistlichen nicht gewachsen. © imago/Müller-Stauffenberg | imago stock&people
Was hat Helmut Kohl gesagt, was darf davon gedruckt werden? Kohl-Biograf Heribert Schwan (Foto) verteidigte bei Jauch am 12. Oktober 2014 die Zitate des Altkanzlers in seinem Buch. Inzwischen hat ein Gericht Schwan den weiteren Abdruck der wenig schmeichelhaften Zitate Kohls über alte Weggefährten verboten.
Was hat Helmut Kohl gesagt, was darf davon gedruckt werden? Kohl-Biograf Heribert Schwan (Foto) verteidigte bei Jauch am 12. Oktober 2014 die Zitate des Altkanzlers in seinem Buch. Inzwischen hat ein Gericht Schwan den weiteren Abdruck der wenig schmeichelhaften Zitate Kohls über alte Weggefährten verboten. © imago/Müller-Stauffenberg | imago stock&people
Die Krim-Krise durfte bei Günther Jauch nicht außen vor bleiben. Liedermacher Wolf Biermann (r.) hatte im November 2014 eine klare Meinung über Kreml-Chef Wladimir Putin. Er sei ja „nicht mal fähig, wie Adolf Hitler eine Autobahn zwischen St. Petersburg und Moskau zu bauen“, befand Biermann. Mit mehr als sechs Millionen Zuschauern lag die Zuschauerbeteiligung an diesem Abend über dem Durchschnitt. Wohl weniger wegen Biermann, als viel mehr wegen des Putin-Interviews der ARD, das Teil der Sendung war.
Die Krim-Krise durfte bei Günther Jauch nicht außen vor bleiben. Liedermacher Wolf Biermann (r.) hatte im November 2014 eine klare Meinung über Kreml-Chef Wladimir Putin. Er sei ja „nicht mal fähig, wie Adolf Hitler eine Autobahn zwischen St. Petersburg und Moskau zu bauen“, befand Biermann. Mit mehr als sechs Millionen Zuschauern lag die Zuschauerbeteiligung an diesem Abend über dem Durchschnitt. Wohl weniger wegen Biermann, als viel mehr wegen des Putin-Interviews der ARD, das Teil der Sendung war. © imago/Müller-Stauffenberg | imago stock&people
Ein starker Jauch-Moment: Mit Margot Friedländer (l.) und Eva Erben hatte der Talkmaster im Januar 2015 zwei Auschwitz-Überlebende in seine Sendung geholt. Die eindringlichen Berichte der beiden Frauen, die dem Holocaust nur knapp entkommen waren, und Jauchs behutsame Moderation machten den Abend zu einer kleinen TV-Sternstunde.
Ein starker Jauch-Moment: Mit Margot Friedländer (l.) und Eva Erben hatte der Talkmaster im Januar 2015 zwei Auschwitz-Überlebende in seine Sendung geholt. Die eindringlichen Berichte der beiden Frauen, die dem Holocaust nur knapp entkommen waren, und Jauchs behutsame Moderation machten den Abend zu einer kleinen TV-Sternstunde. © imago/Müller-Stauffenberg | imago stock&people
Es der wohl größte Aufreger in einer Jauch-Talkrunde: Am 15. März 2015, es ging um die griechische Schuldenkrise, ließ der Gastgeber ein Video einspielen, in dem der damalige griechische Finanzminister Yannis Varoufakis bei einer Rede zu sehen war. Er sprach über die Schulden, die Griechen und die Deutschen – und zeigte den Stinkefinger. Varoufakis, aus Athen zugeschaltet, tobte: Fälschung, Skandal! Jauch blieb dabei: Die Aufnahme ist echt. Tagelang ging es hin und her, der TV-Satiriker Jan Böhmermann machte den „Fall“ zu einem Medienereignis. Selten wurde so heftig und so lange über eine Jauch-Sendung gestritten.
Es der wohl größte Aufreger in einer Jauch-Talkrunde: Am 15. März 2015, es ging um die griechische Schuldenkrise, ließ der Gastgeber ein Video einspielen, in dem der damalige griechische Finanzminister Yannis Varoufakis bei einer Rede zu sehen war. Er sprach über die Schulden, die Griechen und die Deutschen – und zeigte den Stinkefinger. Varoufakis, aus Athen zugeschaltet, tobte: Fälschung, Skandal! Jauch blieb dabei: Die Aufnahme ist echt. Tagelang ging es hin und her, der TV-Satiriker Jan Böhmermann machte den „Fall“ zu einem Medienereignis. Selten wurde so heftig und so lange über eine Jauch-Sendung gestritten. © dpa | ---
Überraschendes Ende: Als es im April bei Günther Jauch wieder einmal um die Flüchtlingskrise ging, sorgte der Menschenrechtsaktivist Harald Höppner (r.) für einen ungewöhnlichen Höhepunkt. Als Jauch schon zur Abmoderation ansetzte, sprang Höppner auf uns bat alle in der Gesprächsrunde zu einer Schweigeminute für die im Mittelmeer ertrunkenen Bootsflüchtlinge. Jauch ließ ihn gewähren – zu Recht.
Überraschendes Ende: Als es im April bei Günther Jauch wieder einmal um die Flüchtlingskrise ging, sorgte der Menschenrechtsaktivist Harald Höppner (r.) für einen ungewöhnlichen Höhepunkt. Als Jauch schon zur Abmoderation ansetzte, sprang Höppner auf uns bat alle in der Gesprächsrunde zu einer Schweigeminute für die im Mittelmeer ertrunkenen Bootsflüchtlinge. Jauch ließ ihn gewähren – zu Recht. © ARD/Günther Jauch | ARD/Günther Jauch
Der AfD-Politiker Björn Höcke, einer von Jauchs Gästen am 19. Oktober 2015 beim Thema Zuwanderung, war von Beginn an auf Provokation aus. Schon nach wenigen Minuten zog er eine kleine Deutschland-Fahne aus der Jacke und hängte sie für den Rest der Sendung über die Sessellehne. Höcke wurde anschließend von der eigenen Partei für seinen krawalligen Auftritt gerüffelt.
Der AfD-Politiker Björn Höcke, einer von Jauchs Gästen am 19. Oktober 2015 beim Thema Zuwanderung, war von Beginn an auf Provokation aus. Schon nach wenigen Minuten zog er eine kleine Deutschland-Fahne aus der Jacke und hängte sie für den Rest der Sendung über die Sessellehne. Höcke wurde anschließend von der eigenen Partei für seinen krawalligen Auftritt gerüffelt. © dpa | ---
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Zu oft herrschte Routine im Gasometer

Vor allem aber: Zu oft versank die Jauch-Runde in Routine. Der Gastgeber arbeitete nur noch pflichtschuldig seinen Fragenkatalog ab. Zu selten hakte Jauch nach, wenn die Altmaiers und Bosbachs, die Göring-Eckardts und Oppermanns die gestellte Frage dreist umgingen. Kaum einmal setzte Jauch selbst ein Thema, das die Schlagzeilen eroberte. Eine der seltenen Ausnahmen war das „Stinkefinger“-Video des damaligen griechischen Finanzministers Varoufakis.

Frank Plasberg, mit seiner montäglichen Runde bei „Hart aber fair“ ein ARD-interner Konkurrent Jauchs, lästerte im Sommer nach Jauchs angekündigtem Abschied über den „Jungens-Charme“ und den „Dackelblick“ des Kollegen: „Du kannst nicht der gefühlte Bundespräsident sein und ein kantiger erster Journalist.“ Da mag eine Menge Bitterkeit Plasbergs mitschwingen – immerhin wäre er selbst gern der Mann für den Sonntagabend geworden. In der Sache traf er mit seiner Kritik aber den Kern des Problems. Jauch liebte es lieber behaglich als kontrovers.

TV-Sternstunde mit Auschwitz-Überlebenden

Seine besten Momente hatte Jauch, wenn er seine Stärke als einfühlsamer Gesprächspartner und Anwalt seiner Gäste ausspielen konnte. So im Januar dieses Jahres, als Jauch zum 70. Jahrestag der Auschwitzbefreiung zwei Überlebende des Holocaust eingeladen hatte. „Sie wurde gut, diese ,Polittalk`-Stunde, Günther Jauch bekam die Kurve“, urteilte die „Welt“. Jauch stellte die richtigen Fragen, ließ die Zeitzeugen erzählen, schwieg, wo Schweigen angebracht war. Jauch gelang eine kleine TV-Sternstunde.

Nun zieht sich Jauch, inzwischen 59 Jahre alt, auf seinen Quiz-Stuhl bei RTL zurück. Seinen Abgang von der ARD hat er um ein paar Wochen vorgezogen – eigentlich sollte Jauch erst kurz vor Weihnachten letztmals seine Talk-Runde moderieren. Es scheint so, als könnte es für ihn nicht schnell genug gehen. Das Missverständnis hat ein Ende. Seinen Platz in der ARD übernimmt die Frau, die auch schon seine Vorgängerin war: Anne Will.