Biografie

Wie ist es, Bernhard Grzimek zu sein?

| Lesedauer: 13 Minuten
Claudia Sewig, Volker Behrens
Ein Leben für die Tiere – und mit ihnen: Ulrich Tukur als Bernhard Grzimek. Mit dabei ein zahmer Gepard, von denen es nacheinander mehrere im Hause Grzimek gab

Ein Leben für die Tiere – und mit ihnen: Ulrich Tukur als Bernhard Grzimek. Mit dabei ein zahmer Gepard, von denen es nacheinander mehrere im Hause Grzimek gab

Foto: ARD Degeto/UFA Fiction/Roland Su

In einem ARD-Film spielt Ulrich Tukur den legendären Tierschützer. Was er außer dem Näseln für die Rolle noch entwickelte, erzählt er im Interview.

Sein Film „Serengeti darf nicht sterben“ gewann einen Oscar. Seine Auftritte in 175 Folgen „Ein Platz für Tiere“ bis Mitte der 1980er-Jahre hatten Traum-Einschaltquoten. Jetzt gibt es über das Leben von Bernhard Grzimek einen abendfüllenden ARD-Spielfilm. Der Tierfachmann wird darin von Ulrich Tukur verkörpert. Reicht dafür eine näselnde Stimme und ein Gepard an der Leine? „Man muss die Figur neu interpretieren, neu erfinden“, sagt Tukur im Abendblatt-Interview in Hamburg.

Hamburger Abendblatt: Wie waren die Dreharbeiten zu „Grzimek“?

Ulrich Tukur: Der Regisseur Roland Suso Richter ist Anhänger einer ungewöhnlichen Regiemethode. Es wurde nicht geprobt, es wurde nichts erklärt. Zwei, drei Kameras waren irgendwo im Set verteilt, und dann spielte man einfach drauf los. Niemand wusste, was passiert. Beißt das Tier? Kommt das Auto von links? Durch welche Tür soll man gehen? Wir durften nicht einmal den Drehort vorher sehen.

Ist das ungewöhnlich?

Tukur : O ja. Das sollte ein Höchstmaß an Authentizität generieren, hat es auch zum Teil, aber ich wäre trotzdem froh gewesen, hätten wir die ein oder andere Szene proben können.

Der Film startet mit einem alten, verbitterten Bernhard Grzimek – und nicht mit der Rettung des Frankfurter Zoos durch ihn oder mit seinen Afrikareisen, um die es hauptsächlich geht.

Tukur : Mit der dramaturgischen Klammer des alten Mannes, der auf sein Leben zurückschaut, wird der Film für den Zuschauer klarer und verständlicher.

Und die meisten Menschen, die den Namen heute noch kennen, erinnern sich auch an den älteren Bernhard Grzimek, den Fernsehprofessor.

Tukur : Richtig.

Was hat Sie an ihm fasziniert?

Tukur : Dass er so bürgerlich, so altväterlich daherkommt und trotzdem Dinge tut, die sich heute kein Mensch mehr trauen würde. Grzimek besaß eine geradezu kriminelle Energie. Sein Kampf für Natur und Tierwelt kannte keine Grenzen, und ohne mit der Wimper zu zucken begeht noch der über 70-Jährige Hausfriedensbruch. Er steigt nachts in eine Anlage für Legebatterie-Hühner ein, filmt die Tierquälerei und zeigt sie wenig später im Fernsehen. Diese Mischung aus wertkonservativ, rebellisch, leidenschaftlich und mutig hat mir gefallen.

Also ging es nicht so sehr um Denkmalpflege in dem Film, sondern auch ein bisschen darum, neue Seiten zu zeigen?

Tukur : Selbstverständlich. Das Familiendrama, das war auch mir neu. Und vielleicht ging es ja auch darum, einen Anstoß zu geben. Wenn der Professor heute sehen könnte, was wir seit 1987 mit dieser Welt gemacht haben, würde er auf uns keinen Pfifferling mehr geben. Trotzdem ist er ein Vorbild. Jemand, der mutig den direkten Weg ging und sich nicht in Politik verhedderte. Der leidenschaftlich und unkorrupt seiner Mission den Weg bahnte.

Seine Liebe zur Natur teilen Sie. Zu Tieren auch?

Tukur : Ja, ich hatte immer Hunde. Tiere sind wunderbar ausgleichend. Sie sind einfach da, treu und nie berechnend, wenn wir mal die Nahrungsaufnahme ignorieren. Man findet zu Tieren schnell eine spirituelle Beziehung, wie man es selten zu Menschen hat. Grzimek liebte Tiere wie Friedrich der Große. Und wie der Preußenkönig konnte auch er mit Menschen nicht so viel anfangen. Sein Familienleben war eine Katastrophe.

Haben Sie gemerkt, ob die Familie versucht hat, Kontrolle auszuüben auf den Film?

Tukur : Davon habe ich nichts mitbekommen. Da aber seine noch lebende Witwe Erika eine waschechte Hessin ist und Hessen auch mal Fünfe gerade sein lassen, gab es wohl keine größeren Verwerfungen. Die Familie Rommel, deren Generalfeldmarschall ich ja auch gespielt habe, war da befindlicher. Es ist immer schwierig für Familienangehörige, plötzlich ein Bild ihres Vaters, Großvaters oder Ehemannes präsentiert zu bekommen, das so gar nicht dem eigenen entspricht. Das kann ich verstehen. Bei Grzimek ging es aber auch nicht um einen verheerenden Krieg, sondern um eine lädierte Familie.

Und um einen Meineid. Er hat ja seine Nazi-Vergangenheit vor Gericht bestritten.

Tukur : Wie viele haben das gemacht! Grzimek war ein Mitläufer. Ich bin mir sicher, dass kaum einer von denen, die ihn im Nachhinein kritisieren oder verurteilen, in diesen bedrängenden Zeiten anders gehandelt hätte. Wichtig ist, dass er keinen Schaden angerichtet hat, er hat sich für das Regime in keiner Weise aus dem Fenster gehängt. Er wollte seinen Beruf ausüben und forschen. Uns ging es darum, die unbekannten Seiten und Widersprüche eines Menschen zu zeigen, ohne ihm seine Würde zu nehmen.

Ist es generell reizvoll, eine Person der Zeitgeschichte darzustellen, dessen Aussehen und dessen Stimme die Menschen im Kopf haben?

Tukur : Je tiefer die Person in den Köpfen der Menschen verankert ist, desto schwieriger wird ihre Darstellung. Darin liegt dann auch wiederum ein Reiz. Man sollte sich aber darüber im klaren sein, dass man erst einmal die Erwartungen der Menschen enttäuscht, um sie bei einer schlüssigen Verkörperung Schritt für Schritt von diesem neuen Bild zu überzeugen. Bei Herbert Wehner habe ich versucht, das Sächsische, das Holpernde seiner Sprache und die sturzbachartigen Wortentladungen ganz vorsichtig nachzuempfinden. Weiter sollte man da aber nicht gehen. Auch nicht bei Bernhard Grzimek – sonst landen wir schnell bei Loriot ...

... und der Steinlaus.

Tukur : Ja! Und nur bei den Studioaufnahmen, die Grzimek mit seinen tierischen Gästen bei „Ein Platz für Tiere“ hinter dem Schreibtisch zeigen, habe ich ein bisschen seine Körperhaltung und das Näselnde seiner Stimme nachempfunden.

Da hat er ja auch selbst eine besondere Stimmlage gewählt – seine fast pastorale Fernsehansprache.

Tukur : Wenn man seine Sendungen jetzt noch einmal sieht, kann man nur sagen: Wie herrlich einfach und rührend naiv waren diese Fernsehzeiten! Alles live und ohne Teleprompter. Da sitzt ein Mann mit grauen Haaren und einer bunten Krawatte, der die Welt retten will und sich im semantischen Dickicht seiner Formulierungen versteigt, während die Tiere, die auf seinem Schreibtisch und seiner Schulter herumturnen, ein mittelprächtiges Chaos anrichten.

Sie haben die Sendungen damals also auch gesehen, als Kind?

Tukur : Zu Hause nicht, das Fernsehen war in meinem Elternhaus verpönt, das war etwas für die unteren Schichten. Verrückt. Deshalb bin ich immer über den Zaun gestiegen und habe bei Nachbarn geglotzt. Ich hatte aber trotzdem eine sehr schöne Kindheit.

Bernhard Grzimek im Zweifel nicht: Er hat früh den Vater verloren, die Mutter musste mehrfach mit den Kindern umziehen – haben Sie sich auch mit seiner Kindheit und Jugend für die Rolle auseinandergesetzt?

Tukur : Ja, natürlich. Die Mutter war ja sehr liebevoll, und das Familienleben der alten Grzimeks ist nun wirklich kein Desaster gewesen. Was ich so Interessant finde, ist, dass ihm seine Bestimmung von Anfang an klar war. Warum war das so? War der Vater so tierlieb?

Eher umgekehrt: Paulfranz Grzimek, Bernhards Vater, war der erste in der Familie, der vom Land und dem ländlichen Leben auf Höfen als Anwalt in die Stadt gezogen ist.

Tukur : Aber dennoch hat Bernhard sein Lebensthema früh gefunden. Es gibt solche Menschen. Und es gibt solche, die ewig suchen und es nie finden.

Wie war das bei Ihnen und der Schauspielerei?

Tukur : Die Schauspielerei war nicht meine Berufung, das hat mich nie interessiert. Meine Berufung war altes Zeug. Das ging ganz früh los. Alte Bücher, Bilder, Filme. Schellackplatten. Die habe ich gehört auf der Musiktruhe im Elternhaus, als das überhaupt niemanden interessierte. Es war ad hoc mein Lebensgefühl. Jazzmusik, Tanzmusik, elegante Refraingesänge. Ich habe gedacht, das muss man retten. Und irgendwann bin ich als Unterhaltungskulturarchäologe im Theater gelandet.

Sie haben anfangs erwähnt, dass die Dreharbeiten nicht immer ganz einfach waren. Sagen Sie das dann auch?

Tukur : Ich bin sehr geduldig. Ich habe einen wundervollen Beruf. Man erlaubt mir eine ganze Menge. Ich darf in fremde Erdteile reisen und werde sogar dafür bezahlt. Was soll ich da herumzicken? Erst wenn es komplett zulasten der Qualität geht und man Menschen schäbig behandelt, werde ich ungemütlich, manchmal sogar gefährlich.

Das heißt?

Tukur : Ich kann sehr böse werden. Das passiert ganz am Ende der Fahnenstange. Aber dann fliegen die Fetzen.

Kam das während des Drehs vor?

Tukur : Nein. Ich war ein paar mal ungehalten, aber ich bin nicht ausgerastet. Roland hat ja eine sehr angenehme Stimmung am Set verbreitet. Ich fand es nur schade, dass wir manche Szenen nicht besser vorbereiten und auszirkeln konnten. Aber es steckt einfach so viel Stoff in seiner Geschichte.

Wie etwa Grzimeks Heirat mit seiner Schwiegertochter Erika, nach dem Tod seines Sohnes Michael. Eine Heirat aus Liebe?

Tukur : Die beiden passten gut zusammen, und sie haben ihre etwas sonderbare Beziehung gegen alle Anfeindungen verteidigt und gelebt. Es ist wohl eine wirkliche Liebe gewesen.

Wolfgang Niedecken hat einmal gesagt: Wer mal in Afrika war, kommt nicht mehr davon los. Ging es Ihnen auch so?

Tukur : Ich bin nie in Schwarzafrika gewesen, wenn man denn Südafrika nicht dazurechnet. Darum konnte ich auch keine Beziehung zu diesem geschundenen Erdteil aufbauen. Vielleicht ist das traurig, aber es ist nun mal so.

Eine Kritik an Bernhard Grzimek war damals, er sei missionarisch nach Afrika gereist und habe allen dort erklärt, was sie tun und was sie lassen sollen.

Tukur : Er hatte immer etwas Oberlehrerhaftes, etwas europäisch-Paternalistisches. Und sicher sind ihm die Schwarzafrikaner wie Kinder vorgekommen, denen man helfen muss. Ich bin mir aber sicher, dass er das mit dem größten Respekt getan hat. Die Respektlosigkeit und Schändlichkeit der Weißen, die sich immer einen Dreck darum geschert haben, was dort in Jahrtausenden gewachsen war und gut funktionierte, hat ihn fürchterlich aufgeregt. Zu Recht!

Welche Seite an ihm hat Sie am meisten fasziniert?

Tukur : Sein Kampfesmut, die Unbeirrbarkeit und Konsequenz, mit der er seiner Aufgabe folgte. Auch dann noch, als in seiner Familie so viel Schreckliches passierte, er den Tod zweier Söhne zu verkraften hatte, die Kräfte nachließen und die Einsicht in ihm reifte, dass sein ganzer Kampf um die Rettung der Natur am Ende vielleicht vergeblich sei.

Und dennoch hat er die gesamte Zeit ein enormes Arbeitspensum aufrechterhalten.

Tukur : Dem wohnte aber nicht nur Leidenschaft inne, auch sehr viel Verzweiflung. Auf dünnem Eis bricht der Eisläufer ein, aber wenn er schnell genug ist, gleitet er über die Abgründe hinweg.

Arbeitspensum ist auch für Sie ein gutes Stichwort. Sie haben sehr viel gemacht in der letzten Zeit. Fällt es Ihnen da manchmal schwer, mit den Kräften zu haushalten?

Tukur : Darin bin ich nun wirklich kein Meister. (Hustet, ist schwer vergrippt). Ich habe mir seit Jahren keine Auszeit mehr gegönnt. Bernhard Grzimek konnte auch nicht anhalten, oder?

Nein, das konnte er nicht.

Tukur : Eben. Du musst immer mal wieder anhalten und dann von diesem und jenem Abschied nehmen. Zuzugeben, dass etwas vorbei ist, das ist äußerst schwierig. Vielleicht gibt es Menschen, die das gelassen akzeptieren. Aber so bin ich nicht. Und so war auch er nicht.

Wie lange haben sie gedreht?

Tukur : Drei Monate.

Das ist nicht viel.

Tukur : Nein, das ist knapp.

Alles wird immer schnelllebiger, vielleicht auch immer beliebiger. Wohin führt uns das?

Tukur : Die menschliche Seele wird krank. Sie ist uralt, zerbrechlich und hinkt dem Tempo der technologischen Entwicklung hinterher. Hätte ich das Sagen, würde ich noch heute die Elek­trizität abschaffen, und der Albtraum einer von Maschinen und Robotern beherrschten Welt würde sich auflösen wie eine Wolke im Wind.

Eine letzte Anmerkung ihrerseits zum Film?

Tukur: Ich finde, wir rauchen zu viel. Aber es war damals einfach so. Und Bernhard und Hildegard waren Kettenraucher.

Rauchen Sie?

Tukur: Hmm. Wenn ich trinke.

„Grzimek“, 180 Minuten, läuft Karfreitag, 3. 4.,
um 20.15 Uhr in der ARD. Im Anschluss um 23.15 Uhr folgt „Grzimek – Die Doku zum Film“, unter anderem mit Abendblatt-Redakteurin Claudia Sewig

Mehr Artikel aus dieser Rubrik gibt's hier: TV & Medien