Die Stirn sorgenvoll in Falten gelegt. Der Hemdkragen makellos, die Worte wohlgewählt, gerichtet an die Fernsehnation, der er von der Wilderei in Afrika oder grausigen Robbentötungen in Kanada berichtete. Und damit Herzen und Portemonnaies der Zuschauer für den Naturschutz öffnete - nicht zuletzt auch, weil sich während seiner mahnenden Worte ein Gorillababy an ihn klammerte, oder ein Gepard um seine Beine strich. So kannte man ihn: Professor Bernhard Grzimek, den ersten Tier-Onkel des deutschen Fernsehens. Ein Bild das täuscht: Hinter der Fassade des vermeintlich drögen Wissenschaftlers gab es noch den anderen Grzimek: Der war Abenteurer und Scherzartikelfan, Ehebrecher und PR-Genie, NSDAP-Mitglied und Vorreiter der ökologischen Bewegung. Ein Mann, der scheinbar ein öffentliches Leben führte, und der doch einsam starb - in einer Zirkusvorführung. Ein Mann, dessen Lebenswerk noch heute fortwirkt.
Es ist 1963, im November. Die junge Frau nähert sich ihm vorsichtig. "Professor Grzimek?", fragt sie den groß gewachsenen Mann, der mit langen Schritten durch den Frankfurter Zoo eilt. "Wollen Sie ein Autogramm?", fragt Bernhard Grzimek die zierliche Frau mit dem modischen Kurzhaarschnitt zurück. Grzimek ist 54 Jahre alt, seit acht Jahren Direktor des Frankfurter Zoos. Und durch seinen Gewinn des Oscars für "Serengeti darf nicht sterben" 1959 und seine Fernseh-Sendereihe "Ein Platz für Tiere" ein prominenter Kopf. Die 23-Jährige, die nur auf der Durchreise in Frankfurt ist, möchte jedoch kein Autogramm. "Mein Name ist Monika", sagt sie. "Ich bin Ihre Tochter."
18 Jahre zuvor, in den letzten Tagen des Zweiten Weltkriegs, hatten sich die beiden zuletzt gesehen. Monikas Mutter, eine Schauspielerin und Grzimeks langjährige Geliebte, hatte den fahnenflüchtigen Veterinäroffizier in einem mit Möbeln und Kisten vollgestopften Lastwagen aus Berlin herausgeschmuggelt. Versteckt in einem Schrank. Die gemeinsame Tochter Monika, damals vier Jahre alt, zwischen ihren Beinen, vor dem Beifahrersitz kauernd. Das zweite Kind Grzimeks unter dem Herzen. Und am Steuer einen Freund, der die kleine Familie durch Maschinengewehrsalven hindurch nach Ostwestfalen in Sicherheit brachte. Während Grzimeks Ehefrau Hildegard mit den gemeinsamen Söhnen Rochus (14) und Michael (11), im Allgäuer Kriegs-Exil, den notorisch untreuen Gatten an der Ostfront wähnte. Die Flucht rettete ihm damals höchstwahrscheinlich das Leben. Eine gemeinsame Zukunft gab es für Grzimek, seine Geliebte und die Kinder dennoch nicht: Erst von ihr, dann von ihm gewollt trennte sich das Paar wenige Wochen später.
Grzimek schlug sich nach Frankfurt durch, wurde durch einen glücklichen Zufall rechte Hand des ersten Frankfurter Nachkriegs-Bürgermeisters Wilhelm Hollbach und übernahm als Direktor den städtischen Zoo. Kein Posten, den er auf Dauer anstrebte (auch wenn er ihn am Ende 29 Jahre ausüben sollte). Doch ein Posten, den er nur dadurch behielt, weil er im Entnazifizierungsverfahren eine NSDAP-Mitgliedschaft leugnete. Eine Lüge, wie heute belegt werden kann. Damals wurde Bernhard Grzimek jedoch als entlastet eingestuft - ein entscheidender Schritt für seine spätere Weltkarriere. Tatsächlich war Grzimek am 1. Mai 1937 in die Partei eingetreten. Außerdem hatte er selbst in einer Bewerbung 1935 angegeben, seit zwei Jahren SA-Mann zu sein. Grzimek ein Nazi also? Nein - aber ein Opportunist. Es gibt keinen Hinweis darauf, dass er jemals aktiv war oder auch nur mit Hitler sympathisierte. Aber er hatte auch keinerlei Hemmungen, der Nazi-Partei beizutreten, um seine Karriere zu befördern.
Grzimeks Tochter Monika erfährt von diesen Dingen erst viel später und dann auch nur sehr lückenhaft. Als ihr Vater sie kurz nach ihrem Aufeinandertreffen im Frankfurter Zoo in Israel besucht, wohin sie mit ihrem Mann ausgewandert ist, lernt sie vorerst eine ganz andere Seite von ihm kennen. "Er war voll ausgerüstet angereist", erinnert sie sich. Im Koffer dabei: ein Wasserhahn mit Gummisaugnapf, den er an die Pontiac-Tür von Monikas Schwiegereltern heftete. Metallplatten, die, wenn man sie gegeneinander schlug, klangen, als hätte jemand das gute Geschirr fallen gelassen. Bernhard Grzimek liebte Scherzartikel, und nicht wenige Gäste in seinem Haus sahen sich künstlichen Hundehaufen auf der Toilette gegenüber oder muhenden Milchkännchen auf dem Kaffeetisch.
Seinen kindlichen Humor teilte er viele Jahre besonders mit einem Menschen: seinem Sohn Michael. In einer ungewöhnlichen Beziehung, die Sohn, besten Freund und engsten Mitarbeiter vereinte, entwickelten die beiden zum Beispiel den spielerischen Wettbewerb, dem anderen mit Wucht auf den Oberschenkel zu klatschen, wenn dieser es am wenigsten erwartete. Ob am heimischen Abendbrottisch oder in der ersten Reihe bei einem festlichen Empfang - dieser Scherz kannte keine Grenzen. Ebenso wie der unvorstellbare Schmerz, der Bernhard Grzimek im Januar 1959 ereilte. Als Michael, 24 Jahre alt, in den letzten Tagen ihrer gemeinsamen Dreharbeiten in der Serengeti tödlich mit der Dornier verunglückte. Keine zwei Jahre zuvor hatten Vater und Sohn den Flugschein zusammen gemacht und waren mit der zebragestreiften Dornier von Frankfurt in die afrikanische Steppe aufgebrochen. Nun ließ Michael, treibende Kraft hinter dem gemeinsamen Abenteuer, seinen Vater allein. Und mit fast unmenschlicher Disziplin stellte dieser das Lebenswerk seines Sohnes - den gemeinsamen Film - und gleichzeitig auch Michaels Doktorarbeit und das eigene Buch über ihre Erlebnisse in der Serengeti fertig.
Wie war er dazu fähig? Wie konnte er stolz den Oscar entgegennehmen (von dessen Gewinn er schon vor der Verleihung wusste, weil sich zwei Kameramänner vorab über die unmögliche Aussprache des Nachnamens einer der Preisträger unterhalten hatten), ohne unter dem Verlust Michaels zusammenzubrechen? Es war nicht Arroganz, die ihm oft nachgesagt wurde und die letztlich nur aus seiner häufigen gedanklichen Abwesenheit und seinem phänomenal schlechten Gedächtnis für Namen und Gesichter resultierte. So sagte er einmal zu einer bekannten Frankfurter Hotelerbin, die ihm zum wiederholten Mal vorgestellt werden musste: "Madame, wenn Sie eine Schimpansin wären, hätte ich mir Ihr Gesicht besser merken können." Nein, es waren die harten Maßstäbe, die Grzimek an sich wie an jeden Mitarbeiter anlegte. Und die ihn zum Weitermachen zwangen. Mit eingeschlossenen, schmerzvollen Gedanken, die nur sehr wenige, ihm nahestehenden Personen kannten.
Seiner Tochter Monika offenbarter er Schuldgefühle. Es hätte ihn an Michaels Stelle treffen sollen, sagte er ihr. Wo doch der halb so alte Sohn noch so viel vor sich gehabt hätte. Doch mit knapp 50 Jahren stand Bernhard Grzimek selbst noch mitten im Leben und übte auf die Frauenwelt eine ungebrochene Anziehungskraft aus. Körbeweise Liebesbriefe gingen nach seinen Fernsehsendungen ein, Post, die er eine Weile sogar sammelte. Sie muss ihm sehr geschmeichelt haben: Dem Mann, der so sehr auf seine schlanke Figur achtete, dass er eine Personenwaage mit nach Afrika nahm. Der Sonnenbäder liebte und eine Weile sogar Haarspray aus den USA mitbrachte, mit dem er die lichter werdenden Haare geschickt fixierte. Daran erinnerte sich Enkelsohn Christian Grzimek, der wie sein Bruder vom Großvater noch adoptiert wurde - was jedoch erst nach dem Tod Bernhard Grzimeks rechtskräftig wurde. Neun Jahre zuvor hatte er die Mutter der beiden und Witwe von Michael, Schwiegertochter Erika, geheiratet. Nachdem er die Trennung von seiner ersten Frau Hildegard bis zu seiner Pensionierung herausgezögert hatte, um möglichst wenig öffentlichen Wirbel zu erzeugen. An anderer Stelle hat er diesen jedoch bewusst stets gesucht: Ob er illegal in einer Legebatterie filmte, um die Käfighaltung von Hühnern anzuprangern, oder Gina Lollobrigida zum Verzicht auf ihren Leopardenfell-Mantel aufforderte: In Naturschutzbelangen konnte ihm das öffentliche Interesse nicht groß genug entgegenschlagen.
Das machte sich auch Kanzler Willy Brandt zunutze und erklärte ihn Anfang 1970 zum Beauftragten der Bundesregierung für den Naturschutz. Ein Amt, das für Grzimek geschaffen wurde, das er jedoch nie so einflussreich ausfüllen durfte, wie er erhofft hatte. Mit dem indirekten Vorwurf, nur als Name eingekauft worden zu sein, gab er den Posten nach drei Jahren frustriert zurück.
"Wozu lebt man eigentlich noch?", schrieb er in späteren Jahren an Tochter Monika. Auch das war Bernhard Grzimek: Zutiefst besorgt über die Zukunft der Erde und damit der Menschheit, deren explosionsartige Vermehrung er zeitlebens kritisierte. Hoffnungslos über den Umgang mit der Natur, für deren Schutz er sich sogar mit Diktatoren wie Idi Amin traf - wenn es der Sache dienlich war, kannte er keine Grenzen. Und doch zugleich ein Kämpfer bis zum Schluss, der im nahenden Untergang noch den berühmten Apfelbaum gepflanzt hätte. Jemand, der weder harte Arbeit noch stoische Politiker scheute, und der allein schwere Krankheiten und einen langsamen Tod fürchtete.
Ausgerechnet an einem Freitag, den 13., wurde ihm diese Angst genommen - mit dauerhafter Wirkung. Nur wenige Minuten, nachdem er unter dem Grand Chapiteau des Zirkus Williams-Althoff in Frankfurt Platz genommen und die Tigerdressur begonnen hatte, starb Bernhard Grzimek. Im Angesicht der wilden Tiere, für die sein Herz zeitlebens geschlagen hatte, stellte es seinen Dienst ein.
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