Der Pianist Lars Vogt erkennt in der Musik, die er spielt, auch sich selbst und seinen Wandel. Heute ist er in Hamburg zu hören.

Hamburg. Es sind nicht die schlechtesten Musiker, die, wenn sie über ihre Kunst sprechen sollen, strukturelle Wortfindungsschwierigkeiten bekommen. Wie soll man denn auch reden über das nur durch Töne Sagbare? Auch der Pianist Lars Vogt, 42, kennt diese Not, aber die Sprache verschlägt sie ihm nicht. Er gehört vielmehr zu jenen Interpreten, die ein eigenes Vergnügen darin finden, sich auch mit ihrem verbalen Ausdrucksvermögen dem Notentext anzunähern - vor allem dem, was darin nicht steht. "Die Musik aller Zeiten handelt von Emotionen", sagt Vogt, der seine schriftlichen Äußerungen über Musik so ernst nimmt, dass er ihnen auf seiner Website einen eigenen Button reserviert.

Über das Klavierkonzert von Witold Lutoslawski (1987/88), das er heute und am Sonntagvormittag mit dem NDR Sinfonieorchester unter Thomas Hengelbrock spielt, sagt er im Gespräch nach der ersten Probe: "Ein wunderbares Stück. Es hat so viele Seiten - Poesie, Humor, Drama, auch tiefen Schmerz. Da ist nichts Konstruiertes, obschon es sehr fein in der Struktur ist und genau durchdacht. Aber diese Struktur ist nie Selbstzweck; alles steht im Dienste der Farbigkeit." Keiner kann wirklich erklären, warum Musik einen ergreift und welche Welten sie öffnet. Aber wie Vogt redet, auch über Schumanns Klavierwerk oder über Beethovens Opus 111: Da erscheint er einem als Seismograf des seelischen Subtextes von Musik, eben nicht nur an den Tasten des Flügels.

Lutoslawskis Klavierkonzert ist ein Spätwerk. Der Komponist (1913-1994) aus Warschau hat es seinem Landsmann, dem polnischen Pianisten Krystian Zimerman, gewidmet. Schon vor zehn Jahren spielte Vogt dieses Stück mit Hengelbrock als Dirigent auf einer Tournee mit dem Bundesjugendorchester. "Es jetzt wieder vorzunehmen war, wie wenn man nach längerer Zeit wieder in den Spiegel schaut", erzählt Vogt. "Man erkennt darin, wie man sich selbst verändert hat seitdem." So geht Vogt den zweiten Satz des knapp halbstündigen Werks, das dem Klaviervirtuosen viel abverlangt, mittlerweile "brahmsisch-erzählerisch" an. Gereift am Chopin-Klavierkonzert, versuche er jetzt nicht mehr, sklavisch jeder Nuance im Notentext zu folgen, sondern fasse ihn mehr im Gestus des Improvisators auf. In Hengelbrock hat er da einen Gleichgesinnten, denn auch er motiviert sein Orchester, den vertrackten Noten "mit der Entspanntheit eines Jazzmusikers" Charakter und Schwung zu geben.

Vogts Terminkalender sieht für den Rest des Jahres ziemlich aberwitzig aus. So fährt er am Sonntag nach der NDR-Matinee nach Leipzig, um am selben Abend dort noch ein Triokonzert mit Christian und Tanja Tetzlaff zu geben. Zwei Konzertreisen in die USA stehen an, eine nach Oman, hinzu kommen allerlei Konzerte in europäischen Musikzentren. "Momentan ist etwas Land unter", sagt Vogt. Doch scheint er die Kraft für das strapaziöse Leben als Klaviervirtuose mit vielen verschiedenen abrufbereiten Programmen aus der Musik selbst heraus zu gewinnen. Das Samuel Beckett abgelauschte Motto "Try. Fail. Try again. Fail better" begrüßt Besucher seiner Website und gilt für ihn nach wie vor: "Das Scheitern ist doch jedem Tun eingeschrieben", sagt er abgeklärt. "Die Erfahrung macht, dass man tiefer in die Musik eindringt, aber auch die Fragen werden tiefer." Der Musiker dürfe sich auch mal freuen, dass er etwas kann und das auf seinem Instrument auch auszudrücken vermag. "Aber jeden Tag fängt man trotzdem wieder bei null an."

Vogt, in Düren in eine nicht übermäßig musikalische Familie hineingeboren, war Schüler des berühmten Klavierpädagogen Karl-Heinz Kämmerling, der im Juni gestorben ist. Dass er dessen Professur an der Hochschule in Hannover nun übernehmen soll, empfindet Vogt als große Ehre. Bewegt erzählt er davon, wie Kämmerling noch vom Sterbebett aus einen Brief an ihn diktiert habe, in dem er ihm mitgeben wollte, was er im Zusammenwirken zwischen Schüler und Lehrer für wesentlich erachtet: "Das Vertrauen, das sich möglicherweise einstellt, könnte eines der größten Geschenke sein", zitiert Vogt sinngemäß. Und dass, weit jenseits aller Fingersatz- oder Tempofragen, irgendwann die pure Anwesenheit des Lehrers genügen könnte, genau das im Schüler zu erwecken, was ihm noch gefehlt haben mag, ein Stück so zu spielen, dass er es weitertragen kann in die Zukunft - und darin aufgeht.

NDR Sinfonieorchester mit Lars Vogt, Do, 20.9., 20.00 und So, 23.9., 11.00, Laeiszhalle. Tickets zu 12,50 bis 52,10 unter T. 0180/178 79 80