Zum Saisonstart gibt es für die Hamburger Camerata den neuen Chefdirigenten Simon Gaudenz. Und neue, bedrohliche finanzielle Probleme.

Hamburg. Es hätte alles so schön sein können, harmonisch, optimistisch, unbeschwert und zukunftsweisend. Doch bei seinem Antrittskonzert als neuer Chefdirigent des Kammerorchesters Hamburger Camerata haben der junge Schweizer Dirigent Simon Gaudenz und sein Orchester-Geschäftsführer Robert Hille heute Abend im Großen Saal der Laeiszhalle auch weniger angenehme Themen im Kopf. Bilanzzahlen, Hochrechnungen für die anstehende Spielzeit und eine unangenehm große Zahl: 75 000. So viele Euros fehlen in dieser Saison noch, bei einem Etat von etwa 350 000 Euro ist das wohl existenzbedrohend. Bis Ende 2012, sagt Hille, seien alle Konzerte durchbudgetiert. Und danach? Der April sei noch nicht gesichert. Ein großes Fragezeichen ist das, ein Damoklesschwert. Und danach? Das sagt Hille nicht.

"Wir haben hoch gepokert, aber mit guten Argumenten", meint Hille mit kämpferischem Optimismus zu diesem Dilemma. Im April wurde Gaudenz als Nachfolger des langjährigen Orchesterleiters Max Pommer präsentiert. Jünger wollte man werden, interessanter, abwechslungsreicher. Vier der sechs Abo-Konzerte will Gaudenz leiten und Duftmarken setzen. Um den Aufbruch, auch als Beitrag zur angeblich wachsenden Musikstadt Hamburg, klar zu signalisieren, entschied sich die Camerata nicht nur für einen Generationswechsel am Chefpult, sondern auch für die gGmbH als neue Rechtsform.

Um berechenbar aus diesem Startblock herauszukommen, hat man bei der Kulturbehörde einen Antrag auf einmalige 100 000 Euro Anschubfinanzierung gestellt. Auch hier waren die Argumente gut und ehrgeizig. Das Orchester hat seine Klientel gefunden, es hat seine Nische unterhalb von NDR, Philharmoniker und Symphonikern.

Im Bereich der Nachwuchserziehung gibt es erstaunliche Erfolge: 2009 war es ein einziges "Elbwichtel"-Kinderkonzert, 2012 sind es im Aparthotel New Living Home 21 Stück für Drei- bis Sechsjährige, und immer mit jeweils 200 Plätzen ausverkauft, sagt Hille. Im Mai 2013 will und soll man das erste Hamburger Orchester sein, das im Musiikkitalo, dem von Elbphilharmonie-Akustiker Toyota betreuten neuen Konzertsaal von Helsinki, auftreten wird. Auch Gaudenz will buchstäblich andere Saiten aufziehen. Für sein Antrittskonzert sollen es die drei letzten Mozart-Sinfonien sein, historisch informiert aber und mit entsprechender Klangästhetik statt nur so heruntergespielt, wie man das kennt und erwarten würde.

Dann kam das Nein von der Kulturbehörde. Keine 100 000 Euro.

Ein Viertel dieses Fehlbetrags konnte Hille inzwischen durch einen neu gewonnenen Sponsor aus Finnland ausgleichen. Dennoch ist die Lage prekär und ein Warnsignal an die Kulturpolitik, die zu lange zu gern dachte, dass im Preis für den Bau eines Konzerthauses der Aufbau einer dazugehörigen kulturellen Infrastruktur gleich mit enthalten wäre. Die Kulturbehörde hat für die Camerata 10 000 Euro als Projektmittel bewilligt. Eine Null zu wenig.

Gaudenz will jetzt aber durch kollektive Leistung überzeugen, anstatt durch Schwarzsehen zu nerven. "Mir tun vor allem die Musiker im Orchester leid, die sehr viel geben und dafür nicht honoriert werden." Wie plant man nun für diese Spielzeit, und wie erst recht für die nächste? Keiner der beiden Chefs mag sich so richtig festlegen, wie man um die drohenden Streich-Konzerte herumkommen wird. Es herrscht - da ist die Camerata in zahlreicher Gesellschaft - das Prinzip Hoffnung, auf ein Einsehen der Stadt, darauf, dass man in früheren Jahren noch immer irgendwo in Feuerwehrtöpfen Geld gefunden hatte, um Not fünf vor Zwölf zu lindern. "Ich glaube daran", sagt Hille, "dass wir das schaffen. Die Stadt kann es sich nicht leisten, uns komplett zu ignorieren." Ins Grußwort für das Saison-Programm schrieb Kultursenatorin Kisseler (der Gaudenz als Neuer noch nicht persönlich begegnet ist): "Mit Beginn der Saison 2012/13 ... und mit ihm startet Hamburgs traditionsreiches Kammerorchester in eine neue Ära." Wie weit es da kommen wird, steht weder dort noch zwischen den Zeilen, sondern bis auf Weiteres in den Sternen.