Herrlich wild! Die Saison-Eröffnung der NDR-Sinfoniker in der ausverkauften Laeiszhalle mit Thomas Hengelbrock war rundum gelungen.

Hamburg. Was für ein herrlich wilder Wilderer-Abend! Bei seiner Opening Night genannten Saisoneröffnung am vergangenen Freitag in der ausverkauften Laeiszhalle erlaubte sich das ehrwürdige Sinfonieorchester des NDR, das früher zu solchen Anlässen vorzugsweise Staatstragendes wie Bruckner, Brahms oder Mahler zelebrierte, beutereiche Exkursionen weit außerhalb seiner angestammten Jagdgründe. Liebhaber des rein Sinfonischen mussten in dem beinahe vierstündigen Fest der Musik mit Schuberts C-Dur-Sinfonie vorlieb nehmen. Und selbst die spielte das Orchester unter seinem auswendig dirigierenden Chef Thomas Hengelbrock, 54, mit jugendlichem Ungestüm, mit Lust am Risiko und deshalb bisweilen klanglich etwas rustikal.

Das Hauptvergnügen und die vordringliche Mission der Musiker aber schien an diesem langen Abend darin zu bestehen, Opernmuffel und Operettenfeinde in rettungslos dem Gesang Verfallene zu verwandeln. Vier gleichermaßen absolut wundervolle Sänger waren aufgeboten, um Hengelbrocks 50-minütige Bonsai-Fassung des "Don Giovanni", die bestrickend mit den reduzierten Möglichkeiten des ja von Orchestermusikern bereits hinlänglich besetzten Bühnenraums spielte, semi-konzertant aufzuführen.

Der schlichtweg fantastische Bariton Markus Eiche und der ihm ebenbürtige Guido Loconsolo als Don Giovannis getreuer Diener Leporello rahmten die beiden begnadeten Sopranistinnen Véronique Gens (Donna Elvira) und Olga Peretyatko (Donna Anna) ein, als Komtur gesellte sich zu ihnen im Finale der von der Hamburgischen Staatsoper entliehene Bass Wilhelm Schwinghammer, der in dieser exquisiten Sängernachbarschaft eine sehr gute Figur machte. Die szenischen Elemente waren witzig, leicht, zugespitzt und sparten den glückstrahlenden, auch zum Komödianten begabten Dirigenten nicht aus. Füßegetrampel und helle Begeisterung schon nach diesem ersten Teil.

+++ Thomas Hengelbrock bleibt Chefdirigent +++

Auf den Schubert folgte eine Premiere: In den letzten Monaten hat das NDR-Sinfonieorchester mal eben eine Nachwuchsformation gegründet, die aus besonders begabten Mitgliedern norddeutscher Jugendorchester besteht. Dieses Teenager-Ensemble spielte unter Hengelbrocks quirliger Stabführung drei der Ungarischen Tänze von Brahms und die Ouvertüre zum "Bettelstudenten" von Carl Millöcker; schmissig und schon so gut, dass der Name NDR-Jugendsinfonieorchester keinen Takt lang nach Mogelpackung klang. Unter die jungen Instrumentalisten hatten sich die zehn Stipendiaten der ebenfalls neu gegründeten Akademie des NDR-Sinfonieorchesters gemischt.

Spätestens danach, bei der sehr leichten, alles andere als leicht zu spielenden Musik von Franz Lehár und Johann Strauß (Sohn) zum äußerst fröhlichen Finale, schien sich auch die Stammbesetzung der Sinfoniker auf zauberische Weise verjüngt zu haben. Sie sangen auch wieder, wie schon bei Hengelbrocks Antritts-Show im vergangenen September, aber diesmal mit noch viel mehr sichtbarem inneren Einverständnis, sodass deutlich wurde: Dieses erste Jahr, man möchte sagen: mit und nicht unter Thomas Hengelbrock, hat im Bewusstsein und im Selbstverständnis der Musiker ungeheuer viel verändert. Erst jetzt, wo sich dieser in seiner gravitätischen Abgeschiedenheit früher manchmal etwas vatikanisch anfühlende Klangkörper so entschieden und freudig in die Stadt hinein öffnet, sieht man die NDR-Sinfoniker gern und zu Recht als künftiges Residenzorchester der Elbphilharmonie.