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Fatma Said: „In zehn Jahren hoffe ich glücklich zu sein"

| Lesedauer: 16 Minuten
Ein Gespräch mit der ägyptischen Sopranistin Fatma Said.

Ein Gespräch mit der ägyptischen Sopranistin Fatma Said.

Foto: Felix Broede

Ein Gespräch mit der ägyptischen Sopranistin über Sterben auf der Opernbühne, ihre Karriere und das Lebensglück.

Hamburg. Fatma Said ist speziell, und das im besten Sinne des Wortes. In Kairo geboren, in Berlin studiert, ein Album, auf dem sie Westliches und Arabisches geschmeidig kombiniert. Im Rahmen des Schleswig-Holstein Festivals kommt Said für ein Konzert in der Elbphilharmonie. Ein Gespräch mit der ägyptischen Sopranistin über Sterben auf der Opernbühne, über Karriere und das Lebensglück.

Hamburger Abendblatt: Wissen Sie noch, was Sie mit Ihrer allerersten Gage gemacht haben?

Fatma Said: Ja (lacht). Das war ein Wettbewerb, und ich habe mich entschieden, eine Hälfte zu sparen und mit der anderen Hälfte shoppen zu gehen. Ich war noch sehr jung, es fühlte sich sehr gut an, zum ersten Mal mit meinem eigenen Geld etwas zu kaufen. Und die Einkäufe von damals habe ich immer noch.

„Ich wollte so gern auf der Bühne sterben“, haben Sie einmal gesagt, deswegen gefallen Ihnen die entsprechenden Frauenrollen mit Todesfolge besonders gut. Hat sich das inzwischen gegeben?

Said: Bislang bin ich noch nicht gestorben, leider. Das wünsche ich mir. Es gibt ein englisches Zitat: Oper ist, wenn ein Typ von hinten ein Messer in den Rücken bekommt und singt, anstatt zu sterben. Bei den Opern weiß man: Die Frau stirbt bei „Bohème“, bei „Traviata“… Sie sind von Anfang an krank, aber es dauert drei Stunden. Um diese Geschichte, um diese Gefühle geht es. Ich möchte einfach nur sterben – das hört sich sehr oberflächlich an. Man stirbt halt mit dieser wunderbaren Musik. Am stärksten fasziniert mich an der Oper, dass man die Spanne eines ganzen Lebens in drei Stunden zeigen kann.

Klingt, als ob Sie ein Bühnentier wären, dem „nur“ Singen zu wenig ist.

Said: Singen und Spielen kann man nicht voneinander trennen. Man muss immer den Charakter eines Stücks personifizieren können. Man muss etwas zu sagen haben.

Sie sind in Kairo geboren und aufgewachsen, waren in einem deutschen Kindergarten und danach in einer katholischen Mädchenschule. Wie gerät man dann auf die Bahn, die zur Oper führt?

Said: Ich hatte großes Glück. Weil ich auf einer deutschen Schule war, hatten wir Musikunterricht. Deutschland hat in Ägypten einen sehr guten Ruf, und die deutschen Schulen in Kairo kümmern sich sehr um Musik und Kunst. Dort hatte ich einen super Chorlehrer, wir haben auch Theorie gelernt. Wirklich angefangen hat es mit „Jugend musiziert“. Wir waren eine deutsche Auslandsschule, ich durfte beim Regionalwettbewerb mitmachen – Kairo und Alexandria – und danach beim Landeswettbewerb, für alle deutschen Schulen im Mittelmeerraum. Der Bundeswettbewerb fand in Deutschland statt. Für mich war das sehr vorteilhaft und wichtig, um mein Niveau zu erkennen. Von 2005 bis 2009 habe ich teilgenommen und zwei erste Preise in der Liedkategorie gewonnen. Das war ein Signal für mich und meine Familie: Vielleicht bin ich gut genug für eine Aufnahmeprüfung.

Wenn damals eine 14-Jährige in Wuppertal oder Schweinfurt zu ihren Freundinnen sagte, dass sie Oper toll fände, kam etwas zurück wie: Jaja, aber: Britney Spears! War das für Sie in Kairo nie ein Problem für Sie, war Ihnen immer klar, dass es für Sie so und nicht anders sein sollte?

Said: Ich wusste nur: Ich liebe es wirklich - war mir aber nie sicher, ob ich damit Erfolg haben werde. Das brachte mich zur Aufnahmeprüfung. Alle meine Freundinnen haben andere Fächer studiert, „ernstere“ Sachen, Jura, Medizin… Ich habe Musik gemacht. In der Schule war ich die Sängerin. Dass ich dann wirklich einen Abschluss in Musik hatte, war auch für manche Familienmitglieder nicht so einfach zu akzeptieren.

Ihr Vater war mehr oder weniger der einzige in der Familie, der Ihnen zu diesem Studium geraten hat - und dazu, nach Deutschland zu gehen. Alle anderen waren nur mittelbegeistert?

Said: Mein Vater wollte, dass ich mein Studium wirklich genieße. Wenn ich das liebe, müsse ich das unbedingt machen. Er kennt sich mit Musik gar nicht aus, spricht kein Deutsch – und er ging mit mir zu den Aufnahmeprüfungen, nicht meine Mutter, die sich viel besser mit Musik auskennt. Sie hatte große Angst und wollte diese Aktion nicht unterstützen, deswegen hat sie es ihm übergeben, damit er die Verantwortung hat (lacht). Er kam mit mir nach Berlin und wartete nach jeder Prüfung auf mich. Bei jeder Liste schaute er, ob ich weitergekommen bin. Das war für uns beide eine sehr besondere Zeit. Niemand konnte sich mir in den Weg stellen, weil ich die Unterstützung meines Vaters hatte.

Sie hätten also auch sagen können, dass Sie Kernphysik studieren möchten und auch das hätte er genauso unterstützt?

Said:Ja. Er wollte, dass ich und meine Geschwister etwas tun, das uns Freude bereitet. Er dachte nicht an Zukunft und Geld. Ihm war wichtig, dass wir diese vier Jahre Studium genießen, und er meinte, dass man nicht unbedingt studieren müsse, was später der Beruf ist. Alles könne sich ändern.

Und dann kamen Sie nach Berlin.

Said: Ich fühlte mich wirklich wie auf einer Mission. Ich war das Mädchen aus Ägypten, das jetzt dort ist, um das Studium zu genießen. Aber ich darf eben nicht nach Hause gehen, um zu sagen, dass ich dieses Studium nicht geschafft habe. Ich wusste nie: Werde ich hier bleiben wollen? Und ich habe die ganze Zeit gelernt, sehr diszipliniert, vielleicht auch, um meinen Eltern zu zeigen, dass ich sehr fleißig bin.

Schlimme Streberin also.

Said: In meiner Schule nicht, aber während des Studiums schon.

Gab es den einen Moment, ab dem Sie wussten: Dieser Beruf passt, jetzt ist es richtig so?

Said: Einen bestimmten Punkt gab es nicht, doch das Gefühl auf einer Bühne zu sein, zu proben, in Konzerte – all das habe ich sehr genossen. Ich merkte: Ich möchte ein Teil von etwas sein, das mit guter Musik zu tun hat. Das möchte ich weitermachen.

Und nach dem Studium haben Sie ein Stipendium an der Mailänder Scala erhalten. Nicht die schlechteste Adresse, vorsichtig ausgedrückt. Wie waren für Sie die ersten Termine dort?

Said: Das ist eine Bühne, die Angst macht. Für mich war das etwas sehr Besonderes, weil ich keine andere kannte. Meine erste Opernbühne, auf der ich eine Rolle gesungen habe. Ich kannte keine kleinen Bühnen und hatte keine Opernerfahrung.

Und wie ging es Ihnen in den Minuten vor dem ersten Auftritt?

Said: Es waren nicht nur die Minuten, es waren Wochen… Natürlich war ich sehr gestresst. Dieser Stress, das Adrenalin, das ändert sich nie.

Es fühlt sich wahrscheinlich so an, als ob man mit Fleisch behangen in einen Tigerkäfig steigt. Sicher nicht schön.

Said: Es kann schön sein, weil man sich total befreien kann. Wenn man auf der Bühne ist, kann niemand mehr zu dir. Niemand kann dir noch etwas sagen, keiner kann kontrollieren, was ich machen werde. Das ist ein wunderbares Gefühl. La Scala und die Akademie – obwohl sich das sehr ungewöhnlich anhört: Dort bin ich groß geworden. Dort habe ich mit den kleinsten Rollen begonnen und mit einer Hauptrolle meine drei Jahre dort beendet.

Sie haben in Mailand in der „Casa Verdi“ gewohnt, dem weltweit einzigartigen Altersheim für Musikerinnen und Musiker, das Verdi bauen ließ. Wie war das, als Berufsanfängerin unter einem Dach mit 8000 Jahren Musikgeschichte? Gab es schon zum Frühstück Karriere-Tipps?

Said: Die gab es von morgens bis abends, das machen sie mit allen jungen Leuten. Aber das ist auch sehr schön. Sie haben mit Karajan, Abbado, Kleiber gearbeitet, mit der Callas gesungen. Und es war unglaublich, mit ihnen zu reden, weil sie so viel Erfahrung haben. Dort eine Zeitlang zu wohnen, war eine der wichtigsten Erfahrungen meines Lebens. Nach Berlin habe ich mich für die Selbstständigkeit entschieden, ich hatte nur das Stipendium. Das war auch der Grund für die Casa Verdi – ich konnte nur dort in einem kleinen Zimmer wohnen, weil Mailand so teuer war. Wir haben uns über alles unterhalten. Und wenn sie merkten, dass ich an einem Abend nicht sprechen mochte, weil ich viel gearbeitet hatte, konnten sie das verstehen. „Fatma hatte einen langen Tag, sie ist Sängerin, sie darf jetzt nicht reden.“ So etwas erlebt man mit normalen Menschen nicht.

Haben Sie einen Ratschlag fürs Leben mitgenommen? So etwas wie „Lass dich nicht mit Tenören ein“?

Said: „Stimme schonen, stimme schonen! Sing nicht zuviel…!“ Einer hat mir gesagt: „Es gibt so viele Sängerinnen, für die es das Wichtigste ist, einen Dirigenten zu heiraten, damit die Karriere sicher ist. Hör auf mich: Auch wenn das passiert, werdet ihr euch trotzdem trennen. Das ist nicht der Weg, um Karriere zu machen.“ Das fand ich sehr süß. Sie sagte: „Karriere machst Du allein, nicht durch einen Menschen, der Dir hilft.“

Die Musiktradition, mit der Sie groß wurden, ist komplett anders als die „klassische“, mit der Sie jetzt arbeiten. Ist das nicht eine enorme Umstellung? Auf Ihrem Album „El Nour“ singen Sie klassische westliche Musik, die sich auf Arabisches bezieht, aber auch klassische und zeitgenössische arabische Musik. Interessante Gratwanderung.

Said: Es ist bei mir wie bei Sprachen. Wächst ein Kind mit mehreren Sprachen auf, ist es mit 20 oder 30 nie ein Problem, sie zu sprechen. Für mich ist es sehr normal, arabisch zu singen. Das ist keine große Änderung bei der Technik. Wenn ich - wie auf dem Album - Volkslieder singe, ist das nicht klassisch arabisch, sondern mit meiner klassischen Stimme gesungen. Und das tut ihr so gut, das ist fast wie Belcanto. Es ist nicht so hoch, ich singe sehr frei und kann stundenlang so singen. Für Sie hört sich das vielleicht sehr unterschiedlich an, für mich aber sehr homogen.

Sind Sie in Ihrer Heimat so etwas wie weltberühmt, ein Vorbild? Wie wird das wahrgenommen? Spüren Sie eine besondere Verantwortung, weil sie in Ihrer Heimat ganz anders gesehen werden als die 178. italienische Sopranistin?

Said: Stimmt, wir sind sehr wenige. Aber ich bin nicht die einzige, die diese Karriere im Ausland gemacht haben. Ich denke, ich bin eine Repräsentantin, auch wenn ich das nicht möchte oder nicht merke. Wenn ich singe, hören mich andere junge Menschen. Das ist eine sehr große Verantwortung. Und ich versuche auch zu zeigen, dass man sehr normal sein kann und Opern singt. Es ist nur ein anderes Studium und ein anderer Job. Man sagt mir immer: Du warst immer talentiert. Das ist nicht wahr und macht mich sehr ärgerlich. Es geht gar nicht um Talent, das war ein Prozent der harten Arbeit, die ich geleistet habe, um weiterzukommen. Deshalb gebe ich mir extra Mühe, um zu erklären, wie mein Leben ist, wie schwierig das ist. Mein bislang größtes Kompliment: Im Fernsehen wurde eine ägyptische Familie interviewt und die Mutter wurde gefragt, wie sie reagieren würde, wenn ihre Tochter ihr sagt, sie möchte Sängerin sein. Sie antwortete: Das würde ich nicht akzeptieren. Aber wenn sie Operngesang studiert, würde ich es akzeptieren. Das fand ich fantastisch! Das ist ein sehr, sehr großer Schritt. Das bedeutet: Sie hat mich gehört. Sie konnte verstehen, worum es geht.

Ihr O-Ton: „Aus meiner Sicht ist es nicht unbedingt eine schöne Stimme, jedenfalls versuche ich nicht primär, ,schön‘ zu singen.“ Welches Ziel haben Sie stattdessen?

Said: „Schön“ ist sehr relativ, „schön“ kann auch sehr langweilig sein. Natürlich braucht man schöne Töne, aber schöner ist es, wenn es eine Stimme ist, die dir etwas sagt.

Sie sind wahnsinnig streng mit sich.

Said: Das ist ein guter Weg, um fleißig zu sein.

Beim SHMF singen Sie unter anderem Schubert-Lieder. Ihr Kollege, der Bariton Andrè Schuen, der die „Schöne Müllerin“ aufgenommen hat, sagte mir sinngemäß: Sobald man versucht, diese Musik dezidiert zu formen, ist es schon zu viel. Wie leicht fällt Ihnen das?

Said: Ich kann mich mit seiner Ansicht gut identifizieren. Für mich ist Schubert gar nicht einfach. Schumann spricht sehr schnell mein Herz an. Schubert hat eine ganz besondere Einfachheit. Weil es sich so einfach anfühlt, unterschätzt man sehr, wie schwer es ist, damit in der Stimme umzugehen und es trotzdem so magisch vorzutragen.

Sie haben in der ZDF-Sendung „Klassik im Club“ zu Beats von DJ Alex Christensen „Rhythm Is A Dancer“ gesungen. Sagen Sie mir nicht, dass Sie das schön fanden.

Said: Warum nicht? (lacht). Warum soll man so etwas nicht ausprobieren? Pop ist nicht meine Profession, ich werde auch nie eine arabische Sängerin sein. Meine Ausbildung ist klassischer Operngesang. Das hat Spaß gemacht und war ordentlich gemacht. Es war eine neue Erfahrung. Und so kann man auch junge Leute zum klassischen Gesang bringen. Sie werden neugierig, dann beginnt etwas. Das ist in Ordnung, wenn man es am richtigen Ort macht, und das habe ich nicht an der Scala gesungen.

Wie geht der Satz weiter: „In zehn Jahren bin ich…“?

Said: In Ägypten sagt man eher: „In zehn Jahren hoffe ich…“ In zehn Jahren hoffe ich glücklich zu sein. Ich bin sehr skeptisch. Man kann nicht sagen: In zehn Jahren bin ich eine berühmte Opernsängerin, ich weiß nicht, ob ich morgen noch am Leben sein werde. So denken wir in Ägypten. Das Vorausdenken in meinem Job stresst mich sehr. Ich kann also nur hoffen, dass ich glücklich bin, wo auch immer ich sein werde, ob ich singe oder nicht. Ich hoffe, ich kann ein glücklicher Mensch bleiben.

SHMF-Konzerte: 9.8. Brunsbüttel, Elbeforum. Schubert „Der Hirte auf dem Felsen“ mit Sabine Meyer (Klarinette) u.a. / 10.8. Elbphilharmonie, Kl. Saal. Lieder von Schubert u.a., mit Malcolm Martineau (Klavier). www.shmf.de Aufnahme: „El Nour“ (Warner Classics, CD ca. 15 Euro). Weitere Infos: https://www.fatmasaid.com

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