Der 46-jährige Oboist Albrecht Mayer über seine Anfänge bei den Berliner Philharmonikern, Schlammrobben im Bootcamp und Demokratie.

Hamburg. Niemand achtet auf den Mann mit dem rötlichen Bart, als er das Literaturhauscafé betritt. Dabei ist der Oboist Albrecht Mayer, nebenher Solo-Oboist der Berliner Philharmoniker, vermutlich der berühmteste Vertreter seines Instruments in Deutschland. Sicher aber der mit den meisten Fernsehauftritten.

Für seine Solo-Aufnahmen hat er mehrmals den Echo-Klassik-Preis bekommen; gerade hat er die CD "Schilflieder" herausgebracht, die er mit der Bratscherin Tabea Zimmermann, der Hornistin Marie-Luise Neunecker und dem Pianisten Markus Becker eingespielt hat. Doch Mayer, 46, macht keinen Wirbel um seine Person. Stattdessen befragt er die Kellnerin nach der Geschichte des Gartensaals - und nach ihrer Essensempfehlung. In fränkischem Tonfall bestellt er ein Wiener Schnitzel und ein Hefeweizen. "Mit einer Zitronenscheibe, bitte." So viel Extravaganz muss sein.

Hamburger Abendblatt: Ihre Platten haben es bis in die Popcharts geschafft. Wie fühlt man sich denn so als Popstar?

Albrecht Mayer: Ich bin kein Popstar! Ich mache ja keine Popmusik. Und ich bin auch nicht bei irgendeinem Casting entdeckt worden. Damit will ich nicht verglichen werden. Ich möchte lieber mit Tabea Zimmermann verglichen werden, die ihr Leben lang gearbeitet hat, um da zu sein, wo sie jetzt ist.

Arbeit allein reicht aber nicht, um dahin zu kommen. Begabung braucht es auch.

Mayer: Das Wort Begabung ist extrem überschätzt. Die Leute, die es schaffen, haben Willen, Durchsetzungsfähigkeit, Leidensfähigkeit. Aber Begabung - die zählt vielleicht zu fünf Prozent.

Was sagen Sie denn zu den vielen Leuten, die das genauso wollen und sich abarbeiten und nie so weit kommen?

Mayer: Da fehlt es an ganz anderen Dingen. Schnell zu sein, hellwach zu sein, genügend Intelligenz mitzubringen.

Das ist doch Begabung!

Mayer: Überhaupt nicht. Nehmen Sie Anne-Sophie Mutter. Wenn sie nicht Geige gelernt hätte, wäre sie vielleicht Konzernchefin von L'Oréal geworden. Oder die erste Bundeskanzlerin. Aber nicht ihre Begabung ist einzigartig, sondern die Person. Wie wurde sie betreut, in der Schule gefördert, wie früh sind Leute auf sie aufmerksam geworden?

Dann hätten Sie also auch Herzchirurg werden können. Stattdessen machen Sie mit einem Nischeninstrument Karriere.

Mayer: Oboe ist so ein dämliches Instrument! Das wollte vorher keiner hören.

Kennen Sie noch die Gruppe Rondò Veneziano? Die mit den Discobeats und der Daueroboe? Die waren sehr erfolgreich.

Mayer: Rondò Veneziano, damit bin ich groß geworden! Toller Oboist. Erstaunlich, dass das keiner nachgemacht hat.

Sie ja auch nicht. Wie haben Sie es geschafft, Ihr Publikum zu erreichen?

Mayer: Ich mache Konzeptalben. Da wird der Hörer nicht bei Track vier aus der Bahn geworfen und spult mal kurz zur Nummer sieben vor. Das ist etwas anderes als diese furchtbaren Potpourris, von Scarlatti bis Skrjabin oder so. Und dann haben die Leute offenbar gerne zugeschaut, wenn ich mal im Fernsehen auftreten durfte. Medienpräsenz ist schon wesentlich. Sonst dringt eine CD nicht an die Supermarkttheke vor.

Das ist Ihnen mit Bach- und Händel-Bearbeitungen gelungen. Bei Ihrer neuen CD "Schilflieder" liegt die Latte ein bisschen höher. Die bringt außer den Romanzen von Schumann nur Kammermusik für Oboe von Leuten wie August Klughardt oder Heinrich von Herzogenberg...

Mayer: ... sehr gute Musik!

... die heute keiner mehr kennt. Warum bloß haben Brahms, Beethoven und Schubert die Oboe in ihren Sinfonien bedacht, aber nicht solistisch?

Mayer: Die Oboe war in der Zeit solistisch ziemlich unbrauchbar. Sie war einfach nicht so beweglich. Der langsame Satz von Brahms' Violinkonzert ist eine einzige Oboenkantilene, aber die schweren Sachen spielt die Geige. Brahms konnte aber auch für Geige komponieren, der wurde ja aufgeführt. So ein Kleinmeister dagegen - wie ich diesen Begriff hasse! - musste auf entlegenere Instrumente ausweichen.

Sie sind 1992 zu den Berliner Philharmonikern gekommen. Vorher waren Sie Solo-Oboist bei den Bamberger Symphonikern. Wie war der Neubeginn in Berlin?

Mayer: (schweigt länger) Ich befürchte, über die ersten Jahre kann ich kein gutes Urteil abgeben. Das Orchester war noch geprägt von Karajans Regime. Das war eine sehr harte und schwierige Zeit. In Amerika würde man das als Bootcamp bezeichnen.

Schlammrobben und so?

Mayer: Ja. Und wenn man am Boden liegt, noch mal drauftreten.

Hatten Sie Angst zu versagen?

Mayer: Extrem. Es waren natürlich sehr erfahrene Kollegen. Man hat versucht, mich zu erziehen, ungefähr so: Ich will sehen, was du kannst, setze dich unter Druck, und wenn du schwankst, setz ich dir meinen Fuß in den Nacken und drück noch ein bisschen nach.

Das ging aber doch nicht nur Ihnen so?

Mayer: Das ging allen Jungen so.

Und die haben sich nicht solidarisiert?

Mayer: Das Orchester solidarisiert sich mit der Masse. Nie mit dem Einzelnen.

Fanden die das künstlerisch den richtigen Weg?

Mayer: Nein, das Orchester ist nicht von Grund auf schlecht. Machtspiele gibt es immer, aber nur von Einzelnen. Das Orchester ist eher ein Kindergarten. Je größer die Masse, die etwas zu entscheiden hat, desto idiotischer wird das.

Sie halten wohl nicht so viel von Demokratie?

Mayer: Im Gegenteil! Es klingt jetzt vielleicht reaktionär, was ich sage, aber: Ich finde nicht, dass wir wirklich ein demokratisches System haben. Ich habe nicht das Gefühl, dass ich die Bundeskanzlerin gewählt habe. Ich würde mir schon oft wünschen, dass wir was mitzureden hätten.

Durch Volksabstimmung?

Mayer: Genau. Bei der Währungsumstellung auf den Euro hätte man eine machen müssen.

Aber gibt das denn die intelligenteren Entscheidungen?

Mayer: Dann wird wenigstens nicht mehr diskutiert! Wenn die Masse eine Elbphilharmonie will, und nachher finden die Leute sie scheußlich, dann haben sie das ja selbst entschieden. Da muss man als Minderheit sagen, es war nicht meine Wahl, aber jetzt ist es so. Und das Schöne dabei ist: Die, die sich durchgesetzt haben, die sind oft am Ende die Kritischsten. Das ist ein erzieherischer Prozess.

Albrecht Mayer: "Schilflieder" (Decca); www.albrechtmayer.com