Der Bariton Thomas Quasthoff erklärt mit 52 Jahren seinen Rücktritt von der Konzertbühne. Das Publikum liebte ihn auch für seinen frechen Sprüche.

Hamburg. Ein Instrument ist für ihn nie infrage gekommen. Thomas Quasthoff, Jahrgang 1959, gehört zu den Opfern der Contergan-Affäre, die Ende der 50er-Jahre die Bundesrepublik erschütterte: Er kam mit verstümmelten Armen und Beinen auf die Welt. Doch die Quasthoffs ließen sich davon nicht entmutigen - von Anfang an unterstützen sie die Liebe ihres Sohnes zur Musik. Als Kind lernte er zu singen, als junger Erwachsener lehnte ihn die Musikhochschule Hannover ab - weil er nicht Klavier spielen konnte. Thomas Quasthoff machte trotzdem seinen Weg. 1988 gewann er 28-jährig den Internationalen Musikwettbewerb der ARD, der Startschuss für eine phänomenale Karriere. Nun hat Thomas Quasthoff auf seiner Website bekannt gegeben, sich vom Konzertleben zurückzuziehen .

Lang ist die Liste seiner Einspielungen, er wurde mit Preisen überhäuft, darunter allein vier Grammys. Einige Opern hat er gesungen, doch Quasthoff war der geborene Liedsänger. Seine warm timbrierte, wandlungsfähige Baritonstimme und sein unverstelltes, hochempfindsames Musizieren ließen niemanden kalt - und zugleich würde niemand leugnen, tief berührt gewesen zu sein von dem Mut und der Offenheit, mit denen Quasthoff sich seiner schweren Behinderung stellte. Einfache Dinge wie Gehen oder Greifen fielen ihm schwer, doch um einen frechen Spruch war er nie verlegen.

Das Publikum liebte ihn dafür, und die Veranstalter sowieso. Quasthoff boomte, seine Behinderung war sein Markenzeichen - und gerade in diesem Popstarstatus lag Quasthoffs Drama. Ein Popstar hat zu funktionieren. Er darf sich menschlich geben, er darf Schwächen zeigen, aber ausfallen darf er nicht. Die Stimme ist nun einmal das anfälligste Musikinstrument von allen. Ein hochtouriges Künstlerleben hält sie nur aus, wenn man sorgsam mit ihr umgeht. Quasthoff schonte seine nicht, doch die zunehmenden Anstrengungen sind seiner künstlerischen Biografie anzusehen. Er hat sie positiv gemünzt.

Seiner Hinwendung zum Jazz haben die Kratzer auf der Stimme nicht geschadet, auch hier feierte er Erfolge. Schon als Residenzkünstler der Elbphilharmonie Konzerte in der Saison 2009/10 hatte Quasthoff keinen einzigen klassischen Liederabend im Programm, sondern umgab sich mit anderen Sängern und spielte sein hohes komödiantisches Talent aus.

Es war vielleicht kein Zufall, dass Quasthoffs Scherze in den vergangenen Jahren gröber und allzu oft unter die Gürtellinie gerieten. Schicksalsschläge wie der Tod seiner Mutter und, erst vor rund einem Jahr, der seines Bruders haben Quasthoff hart getroffen, ist er doch auf nahestehende Menschen in einem existenzielleren, körperlicheren Sinn angewiesen als Nichtbehinderte. Gesundheitliche Gründe haben ihn nun zum Aufgeben bewogen. Zu tun gibt es genügend für ihn. Schließlich ist er Gesangsprofessor an der Berliner Hochschule für Musik "Hanns Eisler", er ist künstlerischer Leiter des viel beachteten Wettbewerbs "Das Lied", der alle zwei Jahre in Berlin stattfindet. Jüngst hat er seine Reihe "Nachtgespräche" am Berliner Konzerthaus begonnen.

Die Sopranistin Hellen Kwon, Kammersängerin an der Staatsoper, hat mit Thomas Quasthoff gemeinsam konzertiert. "Es ist sehr schade, dass er sich zurückzieht", sagt sie. "Leider habe ich nicht mit ihm auf der Opernbühne gestanden. Rigoletto, das wäre etwas für ihn gewesen."

Verdi hat den warmherzigen, verletzbaren Hofnarren Rigoletto zur Titelfigur seiner berühmten Oper gemacht, Stimmlage: Bariton.