Agentinnen jagen männliche Bösewichte, die die Weltzerstörung planen: „The 355“ will weiblicher Bond-Film sein. Es reicht noch nicht.

„Na, wie war dein erstes Mal“, fragen sich die vier abgekämpften Helden gegenseitig nach getaner Schieß-, Lauf- und Springarbeit irgendwo im marokkanischen Souk beim Feierabenddrink. Naja, der eine entdeckte ein verbotenes Handy im Rektum; oder der andere war erst 15, als er vom Verrat des Vaters erfuhr, der gerade zu den Russen übergelaufen war.

Wie Geheimagenten halt so reden, wenn sie mal wieder die Welt gerettet haben. Mit dem Unterschied, dass dieses Machogespräch in Marokko von vier Frauen geführt wird – und dass der Job in der Mitte des Films natürlich noch lange nicht erledigt ist.

„The 355“: Wenn Sebastian Stan die Franka Potente gibt

„The 355“ – benannt nach dem Code einer Geheimagentin im US-Unabhängigkeitskrieg – will mit Sehkonventionen im männlich dominierten Actionkino brechen. Dafür trägt der Film seine Botschaft eines weiblichen „Bonds“ oder „Bourne Ultimatums“ deutlich zur Schau, was sicher auch daran liegt, dass Hauptdarstellerin Jessica Chastain Produzentin des von Simon Kinberg inszenierten Thrillers ist.

Und ganz Jason Bourne darf CIA-Agentin Mason „Mace“ Brown gleich zu Beginn bei der ersten Verfolgungsjagd in Paris auch ihren Partner Nick (Sebastian Stan) verlieren, der damit quasi die Franka Potente gibt aus der „Bourne Verschwörung“.

„The 355“: Diane Kruger spricht wie Chuck Norris

Die Rollen sind tatsächlich komplett vertauscht. Es sind die Frauen wie MI6-Agentin Khadijah (Lupita Nyong’o) oder Graciela (Penelope Cruz), eine für den kolumbianischen Geheimdienst arbeitende Psychologin, die sich zuhause von ihren Männern für den nächsten Auslandseinsatz verabschieden müssen.

Es sind Agentinnen wie die hartgesottene deutsche BND-Mitarbeiterin Marie (Diane Kruger) oder eben ihre toughe US-Kollegin Brown, die männliche Sätze sagen wie „Das ist meine Mission“, als wären sie Chuck Norris. Ist ja auch wieder mal Wichtiges zu tun in der Parallelwelt der Geheimdienste.

Eine Disk, die sämtliche Computersysteme weltweit lahmlegen kann, ist nämlich in die Hände von brutalen Söldnern gelandet, was die eigentlich verfeindeten Ladys vom Lauschdienst zu einer weiblichen Zweckgemeinschaft formt, deren Prügelorgien, Schießeskapaden und Verfolgungsjagden durch Pariser Cafés und U-Bahnschächte, Basars in Marokko und Luxushotels in Shanghai den männlichen Pendants in nichts nachsteht.

„The 355“: Weltenrettung im roten Sommerkleid

Das Dumme ist nur, dass der Film seine politisch korrekten Botschaften von Diversität und weiblicher Gleichstellung nur allzu häufig auf der Zunge trägt. „Wir sehen unterschiedlich aus, aber wir sind alle gleich“, sind so Sätze, die sich genauso durch die Leinwand bohren wie die allzu simple Erklärung der Handlung. („Haben die die Disk, dann haben wir den Dritten Weltkrieg“)

Ja, „The 355“ ist ein politisch hochkorrekter Thriller mit einem nicht zu unterschätzenden Spaß-Faktor, gerade wenn sich Jessica Chastain und Diane Kruger einmal mehr an die Gurgel gehen.

Aber seine Figuren sind relativ flach, die Dialoge plump, das Drehbuch ist mit seinem steten Wechsel von scheinbarem Happy End zu neuem Konflikt und zurück zu statisch, und in seiner Freude, die Welt von bewaffneten Frauen in rotem Sommer- oder grünem Partykleid retten zu lassen, ist der ganze Film etwas zu übermütig.

Also, weiblicher Bond-Film, wie war dein erstes Mal? Mission possible – aber ausbaufähig.

Thriller USA 2022 123 min., von Simon Kinberg, mit Jessica Chastain, Penelope Cruz, Diane Kruger, Lupita Nyong’o, Sebastian Stan.