Nach „Eldorado KaDeWe“ die nächste Serie über ein Berliner Kaufhaus: „Das Haus der Träume“. Diese erzählt aber mehr von Mittellosen.

Sie alle haben einen Traum. Den von einem anderen, besseren Leben. Die junge Vicky (Namei Florez) macht sich 1928 aus der ärmlichen Provinz auf ins schillernde Berlin, um dort ihr Glück zu machen. Harry (Ludwig Simon), der Sohn aus reichem Elternhaus, wehrt sich gegen den Wunsch der Eltern, Konzertpianist zu werden, er treibt sich lieber in Nachtbars herum und will Jazz-Musiker werden.

Den größten Traum aber träumt sein Vater Arthur Grünberg (Alexander Scheer). Nachdem er schwer verletzt aus dem Ersten Weltkrieg zurückgekehrt ist, sieht er überall das Elend der ärmeren Klassen. Und will auch ihnen ein wenig Glück bescheren: indem er das erste Kreditkaufhaus gründet, wo Kunden Waren gleich kaufen und auf Raten abstottern können. Eine Art sozial-utopischer Marktansatz.

Erneut wird die Geschichte der Stadt über eine bedeutsame Adresse erzählt

Dafür setzt Grünberg skrupellos das Erbe seiner Frau Alice (Nina Kunzendorf) aufs Spiel. Und weil ihm die Banken kalt ins Gesicht lachen und jegliche Unterstützung verweigern, muss er noch andere Geldquellen auftun, damit sein Kaufhaus nicht gleich in Konkurs geht. Im Kaufhaus Jonass treffen all diese Schicksale aufeinander: Vicky beginnt hier als eines von vielen sogenannten Ladenmädchen. Und verliebt sich in Harry, ohne zu ahnen, dass er der Sohn ihres Chefs ist. Der Vater will ihn indes mit der Tochter eines reichen jüdischen Kaufmanns (Samuel Finzi) verheiraten – nur um den Fortbestand seines Hauses zu sichern.

Déjà-vu im deutschen Fernsehen. Nachdem kurz nach Weihnachten 2021 die ARD „Eldorado KaDeWe“ ausstrahlte, einen Sechsteiler über das legendäre Berliner Kaufhaus des Westens, folgt nun kurz vor Weihnachten 2022 mit „Das Haus der Träume“ auf RTL ein Sechsteiler über ein anderes Kaufhaus der 20er-Jahre. Eine weitere Blüte im Boom der Nostalgiewelle rund um das Berlin der Zwanziger Jahre, die mit „Babylon Berlin“ ihren Anfang nahm. Und nach Serien wie „Das Adlon. Eine Familiensaga“ (2013), „Charité“ (2017) und „Der Palast“ (2021) ein neuer Versuch, die Geschichte Berlins über eine bedeutsame Adresse zu erzählen.

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Die beiden Kaufhaus-Serien wirken überraschend ähnlich in ihrer Dramaturgie. Beide Male ersinnt ein Kriegsveteran ein neues Kaufhausmodell, beide Mehrteiler spielen nicht nur in den elitären Kreisen der Wirtschaft und Hochfinanz, sondern auch im ausschweifenden Nachtleben der Stadt. Und erzählen von einer unmöglichen Liebe zwischen Arm und Reich, die ständig am Klassenunterschied zu zerbrechen droht.

Und doch könnten die zwei Serien unterschiedlicher kaum sein. Julia von Heinz hat ihr „Eldorado KaDeWe“ nicht nur mutig um eine lesbische Beziehung zentriert (hier verliebt sich eine Verkäuferin in die Tochter des Kaufhausbesitzers), sie hat vor allem Bezüge zu den heutigen 20er-Jahren radikal betont, indem sie alle Innenaufnahmen in historischem Kolorit spielen ließ, die Szenen draußen aber im modernen, jetzigen Berlin. Ein gewagter ästhetischer Bruch, der den Vergleich zu heute immerzu herausfordert.

Zwei Serien, so ähnlich und doch diametral verschieden

„Das Haus der Träume“ von Sherry Hormann, nach dem Roman „Torstraße 1“ von Sybil Volks, wirkt dagegen fast klassisch altmodisch. Mit großen Stars und frischen Neuentdeckungen besetzt, spielt es bruchlos im historischen Ambiente, das Paar ist hier auch wieder ganz traditionell ein heterosexuelles. Dafür aber werden im Kaufhaus Jonass nicht, wie im KaDeWe, die Superreichen der ganzen Welt umworben, um ihr Vermögen auszugeben, was Otto Normalverbraucher doch eher kalt lässt.

Es geht vielmehr gerade um die, die sich nichts leisten können und doch auch mal was leisten wollen. Das ist ganz anders nachvollziehbar, das hat sich seit den Dreharbeiten und dem Serienstart im September auf dem Streamingportal RTL+ durch Inflation und steigende Gas- und Energiepreise noch mal sprunghaft verstärkt. Dass das Konsumverhalten seither drastisch nachlässt, beklagen ja schon viele Kaufhäuser. Da ist „Das Haus der Träume“ ganz nah an Nerv und Not der Zeit.

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Schillernde Berlin-Geschichte mit großem Cast: Alexander Scheer, Nina Kunzendorf, Naemi Florez, Ludwig Simon, Samuel Finzi und Amy Benkenstein (v.l.).
Schillernde Berlin-Geschichte mit großem Cast: Alexander Scheer, Nina Kunzendorf, Naemi Florez, Ludwig Simon, Samuel Finzi und Amy Benkenstein (v.l.). © RtL

Die Serienkonzepte unterscheiden sich aber noch in anderer Weise: „Eldorado KaDeWe“ war ein in sich geschlossener Sechsteiler, der bereits erzählte, wie die jüdischen Kaufmannsleute am Ende aus ihrem Kaufhaus gedrängt und durch stramme Nationalsozialisten ersetzt wurden. „Das Haus der Träume“ dagegen ist eine offene Form. Mit Option zur Fortsetzung.

Eine zweite Staffel ist bereits abgedreht und startet zeitgleich per Stream

Die erste Staffel behandelt nur eine kurze Zeitspanne rund um die Erbauung und Eröffnung des Kaufhauses Jonass. Eine zweite Staffel wurde aber gleich im Anschluss gedreht, nun mit einem Zeitsprung ins Jahr 1932 zum Aufkommen des Nationalsozialismus und nun auch mit anderer Handschrift, von Regisseur Umut Dag, inszeniert. Während die erste Staffel am Dienstag und Mittwoch nun erstmals im bezahlfreien Fernsehen auf RTL ausgestrahlt wird, ist zeitgleich auf dem Streamingportal RTL+ bereits die zweite Staffel abrufbar, die dann ab Ostern auf RTL laufen soll.

Und es könnte noch weitere Fortsetzungen geben. Denn das Kaufhaus Jonass ist eine geschichtsträchtige Adresse. In der Torstraße 1 in Mitte schlugen die Nazis die Zentrale ihrer Hitler-Jugend auf, zu DDR-Zeiten residierte hier das Zentralkomitee der SED und das Institut für Marxismus-Leninismus. Bis die Immobilie 1996 an die Erben der ursprünglichen Besitzer zurückging. Heute residieren hier hippe Stadttouristen im schicken SoHo-House. Ein ganzes Jahrhundert manifestiert sich in diesem Bau wie in einem Brennglas. Da ist noch Stoff für viele Geschichten.