Ausstellung

Großartige Ausstellung über die Kunst zu trauern

| Lesedauer: 5 Minuten
Vera Fengler
Ragnar Kjartansson in seinem Film „God“ von 2007, in dem er in Frank Sinatra-Stil „Sorrow conquers happiness“ intoniert.

Ragnar Kjartansson in seinem Film „God“ von 2007, in dem er in Frank Sinatra-Stil „Sorrow conquers happiness“ intoniert.

Foto: Rafael Pinhoary, Wien / Vienna und / and The Living Art Museum, Reykjavik

Die Hamburger Kunsthalle präsentiert auf zwei Etagen, wie sich Künstler mit den Themen Verlust und Veränderung auseinandersetzen.

Hamburg. Darf man über eine Ausstellung zum Thema Trauern mit Begeisterung schreiben? Gebietet es nicht der Anstand, gemäßigt, in leisem Ton zu beschreiben, wie Menschen mit dem Verlust eines geliebten Partners umgehen oder Teile einer Nation den Tod eines Politikers verarbeiten, in den sie so große Hoffnungen gesetzt hatten? Sollte so ein intimes Gefühl überhaupt öffentlich zur Schau gestellt werden? Und dürfen Männer (immer noch) nicht weinen?

Nach „Besser scheitern“ (2013) und „Warten“ (2017) ist „Trauern“ der dritte Teil der Serie, die sich mit gesellschaftlichen Tabu- und Grenzthemen auseinandersetzt. Dass es „die Trauer“ nicht gibt, sie individuell durch Religion, Herkunft und Kultur geprägt ist, zeigen Künstlerinnen und Künstler, die sich in Skulpturen, Fotografien, Installationen und Sound Pieces mit Verlust und Veränderung auseinandergesetzt haben.

Dies sei wichtig in einer Zeit, die „durch Selbstoptimierung und Selbstverwirklichung geprägt ist und in der Emotionalität und Kontrollverlust keinen Platz haben. Doch wenn uns ein Verlust nicht berührt, sind wir auch nicht liebesfähig“, sagte Brigitte Kölle, Leiterin der Galerie der Gegenwart, bei der Eröffnung.

Ein eigener Eingang zur Galerie der Gegenwart

Direktor Alexander Klar, der als Side Kick auf dem neu errichteten Podium saß (salopp im Rollkragenpullover und alle anwesenden Kollegen duzend), konnte, früher als erwartet, die ursprünglich für das laufende Frühjahr versprochene Öffnung der Galerie der Gegenwart verkünden. „Als Sprungbrett in die Kunst, Experimentierfeld und dritten (eintrittsfreien) Raum“ präsentierte er den retro-modern eingerichteten Eingangsbereich, in dem künftig auch Lesungen und andere Veranstaltungen stattfinden sollen. „Ich hoffe, dass Hamburg diesen Ort, der im Herzen der Stadt liegt, in Beschlag nehmen wird.“

Für die erste Schau in dieser neuen Ära sollte man sich ausreichend Zeit nehmen. Nicht nur streckenmäßig ist sie anspruchsvoll – die Werke sind auf zwei Stockwerke verteilt – die künstlerischen Positionen, die sich mal aus persönlich Erlebtem speisen, mal mit kollektiver Trauer beschäftigen, berühren auf ganz unterschiedliche Art. Im Lichthof der Galerie werden Besucher auf das Thema mit einer Klangkaskade der Turner-Preisträgerin Susan Philipsz eingestimmt: Alle 15 Minuten ist eine irische Wehklage zu hören, die die Künstlerin auf wenige Töne reduziert hat.

Im Entrée der zweiten Etage empfängt eine Ikone der kollektiven Trauer Amerikas: Andy Warhols „Jackie“ aus dem Jahr 1964, das die Kennedy-Witwe bei der Beerdigung zeigt. Ganz still und unaufgeregt wirkt dieser Druck, wie eine Vorbereitung auf die sich anschließende sinnlich stimulierende Gefühlsreise. In dem Film „I’m too sad to tell you“ (1970/71) von Bas Jan Ader zeigt sich der früh verstorbene Künstler hemmungslos weinend, Ragnar Kjartansson singt im feinsten Frank Sinatra-Stil sein Mantra „Sorrow conquers happiness“ (Trauer siegt über Fröhlichkeit).

Auch Jahrzehnte später werden Gefühle wach

Beeindruckend sind die Fotografien von Paul Fusco, die während des achtstündigen Funeral Train entstanden, als der getötete Robert Kennedy 1968 mit dem Zug von New York nach Washington D. C. transportiert wurde und sich Zigtausende Amerikaner an der Strecke von dem Präsidentschaftsanwärter verabschiedeten. Wie diese Gefühle auch Jahrzehnte später noch einmal hervorgerufen werden können, zeigt die Videoarbeit von Philippe Parreno: In „The Train, RFK’s Last Journey“ lässt er Statisten die Szenerein von damals nachstellen: Der Zug, in dem Fall die Kamera, gleitet an regungslosen, schweigenden Menschen vorbei; die Zeit scheint stillzustehen im Moment der Trauer.

Wie sich Trauer bei Verlust eines vertrauten Menschen ausprägt, untersucht die jüngste Ausstellungsteilnehmerin Greta Rauer. Ausgangspunkt ihrer Bachelor-Arbeit an der Hochschule für bildende Künste (HfbK) waren Fotografien, die sie zehn Jahre nach dem Tod ihres Vaters auf dem Computer fand. Auf einer Leinwand ist der Trauerzug auf dem Friedhof zu sehen; einzelne Gesichter und Hände hat die Künstlerin mit Pastellstiften und Acrylfarbe herausgestellt. Mal ist eine Umarmung ausschnitthaft dargestellt, mal die Szene, bei der die Abschiednehmenden eine Rose ins Grab werfen. Der zweite Teil ihrer Arbeit mit dem Titel „Fragmente“ sind alte Grabsteinstücke, die versprengt auf dem Boden liegen. Ein Verweis darauf, dass verwaiste Steine zerkleinert für den Wegebau auf dem Friedhof verwendet werden. Ein Kreislauf, stellvertretend für den Trauerprozess. Aus eigener Erfahrung weiß Greta Rauer, dass Trauer nie abgeschlossen ist. „Sie verändert sich nur mit der Zeit.“

Den Opfern von (kriegerischer) Gewalt gibt der Künstler Khaled Barakeh ihre Würde zurück: Auf Fotos, die er aus dem Internet herunterlud, zeigt er die Getöteten als weiße Leerstelle und verweist auf die Mitleids-Motive der Pietà. „Niemand möchte auf diese Weise von geliebten Menschen Abschied nehmen“, sagt er über „The Untitled Images“.

„Trauer. Von Verlust und Veränderung“, 7.2.-14.6., Galerie der Gegenwart (U/S Hauptbahnhof), Glockengießerwall 5, Di-So 10.00-18.00, Do 10.00-21.00, Eintritt 14,-/8,- (ermäßigt), Gratis-Download des Begleitheftes mit Programm, Werkverzeichnis und Raumplänen unter www.hamburger-kunsthalle.de