Hamburg. Ein wenig skeptisch konnte man wohl sein, wenn man im Programm las, was Khatia Buniatishvili bei ihrem Gastspiel mit Gidon Kremer und seiner Kremerata Baltica am Mittwoch in der Elbphilharmonie beizutragen gedachte. Denn eigentlich kennt man die georgische Tastenlöwin als Expertin für extrovertierte Virtuosenliteratur: Liszt, Rachmaninow oder Strawinskys „Petrushka“ hatte sie bislang in Hamburg atemberaubend virtuos und musikalisch etwas unterbestimmt zum Besten gegeben. Und nun also Haydns Klavierkonzert Nr. 11? Na, wenn das mal gut geht.
Es ging sogar sehr gut. Auch das Feine, Delikate und mit dem Silberstift Gezeichnete ist bei Buniatishvili in guten Händen. Zwar konnte man sich manchmal des Gefühls nicht erwehren, sie würde gerne noch viel mehr in viel kürzerer Zeit spielen als der Komponist eingeplant hat, aber die Buniatishvili kann nicht nur Breitwandromantik, sie kann auch Haydn. Unterstützt wurde sie dabei von einer Kremerata Baltica in Topform. Gidon Kremers persönliche Spezialtruppe bestach wieder einmal durch blitzsaubere Spielkultur und haarfeine, feingliedrige Artikulation.
Vorliebe für postsowjetische Komponisten
Die „Kremeratini“ sind sogar so gut, dass sie sich auf die hohe Kunst verstehen, mit ihren Qualitäten dem Chef nie die Schau zu stehlen. Kremer spielt Schuberts Fantasie D 934 und Piazollas „Celos“ und „Grand Tango“ mit jener gelegentlich Rauigkeiten nicht scheuenden Souveränität, die sein Markenzeichen ist. Und der Vibrafonist Andrei Pushkarev durfte in einem der beiden von ihm arrangierten Piazzolla-Stücke auftreten, Begleitfiguren und ein Solo beitragen und sich wieder trollen.
Bei seiner Programmauswahl folgte Kremer seinen Vorlieben für postsowjetische Komponisten und einen elegisch-melancholischen Grundton. Überdeutlich war das im 1996 entstandenen
„Valse Boston“ des Georgiers Giya Kancheli zu hören: lang gezogene Strecken leiser Haltetöne, sehnsüchtige Harmonien, die immer wieder von Pausen unterbrochen wurden, und sporadische Lautstärkeausbrüche. Eine Musik, die klang wie die Trauer, Resignation und bisweilen hochkochende Wut über eine verpasste Gelegenheit, über ein Ereignis, das nie eingetreten ist.
Hang zum Populären
Ein Hang zum Populären, bisweilen sogar zum Trivialen, und große Kunst mischen sich bei Gidon Kremer in eigentümlicher Weise. Geradezu exemplarisch war in der Zugabe, neckische Variationen über „Happy Birthday“, zu erleben. Immer dann, wenn die Ersten sich anschickten, das Taschentuch zu zücken oder rhythmisch mitzuklatschen, schlug die Musik einen Haken, fand eine Wendung ins Kompliziertere, und die sofort wieder klarstellte, dass es ganz so einfach doch nicht ist. Vielleicht ist es diese ja Balance, die Kremer in aller Musik sucht.
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