Berlin. Für Hollywood verkörperte Christian Berkel oft Nazis. Nun spielt er im Drama „Trumbo“ einen geflohenen Juden – und ist froh darüber.

Christian Berkel (58) gehört zu den wenigen deutschen Stars, die es international geschafft haben. Oft verkörperte er Nazis , etwa in „Der Untergang“ oder „Operation Walküre“. Im Drama „Trumbo“, das derzeit in den Kinos läuft und in dessen Mittelpunkt das Leben von Drehbuchautor Dalton Trumbo steht, schlüpft der Schauspieler in eine andere Rolle: Berkel spielt den großen, aus Wien geflohenen jüdischen Regisseur Otto Preminger (1905 - 1986). Eine Rolle mit Bezug zu seiner eigenen Familiengeschichte. Uwe Killing hat mit Christian Berkel über dessen Eltern, Hollywood und seine Liebe zu Frankreich gesprochen.

Sie verkörpern in dem Film „Trumbo“ den Österreicher Otto Preminger. Wie haben Sie sich ihm angenähert?

Christian Berkel: Ein wichtiger Zugang war die Sprache: Auch nach vielen Jahren hatte Preminger seinen Wiener Akzent im Englischen nicht abgelegt. Das gab ihm etwas Unverwechselbares.

Christian Berkel als Otto Preminger in „Trumbo“.
Christian Berkel als Otto Preminger in „Trumbo“. © dpa | Paramount Pictures

Sie standen diesmal mit Helen Mirren, John Goodman und Bryan Cranston vor der Kamera und Sie haben schon mit Tom Cruise und Brad Pitt gedreht. Wie sind Ihre Hollywood-Erfahrungen?

Berkel: Wir Schauspieler aus Deutschland denken oft, dass wir die Mentalität aufgrund der allgegenwärtigen Kinokultur kennen. Aber am Set stellt man dann fest, wie anders die Amerikaner doch denken und fühlen. Da wird niemand laut am Set, was nicht heißt, dass keine Köpfe rollen. Nein, das kann sogar sehr schnell passieren, jedoch ohne Lärm. Man geht freundlich, aber mit großer Professionalität miteinander um. Selbst die großen Stars diskutieren nicht stundenlang mit dem Regisseur. Jeder Vorschlag wird ausprobiert. Das finde ich sehr erfrischend. Da sagt keiner: „Das mache ich nicht.“

Sondern?

Berkel: Allenfalls: „Ich würde gerne etwas ausprobieren.“ So habe ich es auch am Set von „Inglourious Basterds“ mit Quentin Tarantino gehalten. Ich spielte da einen französischen Bar-Besitzer. Und ich kannte aus meiner Zeit in Paris diese Typen, die hinterm Tresen immer eine Zigarette im Mundwinkel hängen haben. Dieser Vorschlag hat Tarantino gefallen. „You got it.“, hat er gesagt.

An der Seite von Isabelle Huppert haben Sie gerade den französischsprachigen Thriller „Elle“ unter der Regie von „Basic Instinct“-Regisseur Paul Verhoeven abgedreht. Woher kommt Ihr starker Bezug zu Frankreich?

Berkel: Ich habe in Berlin schon das Französische Gymnasium besucht und wechselte dann mit 14 auf eine Schule in Paris. In der Zeit meiner Pubertät war das eine derart einschneidende Erfahrung, dass ich mir sogar vorgenommen hatte, zu bleiben. Ich wollte plötzlich Franzose werden.

Warum?

Berkel: Es war eine Flucht vor Deutschland – und hatte stark mit meiner Familiengeschichte zu tun. Meine Mutter war Jüdin und hatte kurzfristig Zuflucht in Paris gefunden, bevor sie sich bis Kriegsende in Leipzig vor den Nazis versteckt hielt. Nach dem Krieg ist sie zunächst nach Argentinien gegangen – wo ihre Tante lebte. Nachdem mein Vater nach fünf Jahren aus russischer Gefangenschaft zurückkehrte, knüpften sie an ihre Jugendliebe an und heirateten. Es war der sehnlichste Wunsch meiner Mutter, mit der Familie auszuwandern. Doch mein Vater wollte nicht. Er war Arzt, und sein Staatsexamen wäre woanders nicht anerkannt worden.

Sie sind kein Franzose geworden...

Berkel: Meine Mutter hat ihr Leben lang darunter gelitten, entwurzelt zu sein. Denn auch in Argentinien hat sie sich letztlich nicht erwünscht gefühlt. Ich wollte dieses Gefühl bei mir nicht wiederholen. Deshalb bin ich nach Deutschland zurückgekehrt: nicht davonlaufen, sondern den eigenen Zugang zu meiner deutschen Identität finden. Dafür war es aber sehr gut, das Deutsche und Eckige in Frankreich etwas abgeschliffen zu haben und mit anderen Augen auf die eigene Sprache und Kultur zu schauen.

Stimmt es, dass Sie in Paris auch mit dem Schauspielunterricht begonnen haben?

Berkel: Ja, aber infiziert vom Theater war ich schon seit meinem sechsten Lebensjahr, als ich Berlin regelmäßig die Kinderstücke in den Kammerspielen gesehen habe. Mit neun saß ich dann bereits jede Woche im Schillertheater oder in der Schaubühne, die damals in ihren Anfängen steckte. Dort habe ich alles aufgesogen, und Aufführungen, die mir gefielen, habe ich mir fünf bis sechs mal angeschaut. Ich spürte: Das war meine Welt. Es gab dieses großes Bedürfnis, jemand anderes zu sein und in unterschiedliche Rolle zu schlüpfen.

Ihr Vater hat sich nicht gewünscht, dass Sie Arzt werden?

Berkel: Mein Vater war auf seine Art sehr deutsch und streng. Da gab es auch schon mal eine Ohrfeige. Aber für alle künstlerischen Dinge herrschte zu Hause eine große Offenheit. Und insofern hat er meine Theaterleidenschaft immer gefördert.

Sie sind Vater zweier Söhne. Auf welche eigenen Erfahrungen greifen Sie bei deren Erziehung zurück?

Berkel: Halt und Vertrauen, aber auch die Freiheit, die ich erleben durfte. Und ich empfinde es als sehr förderlich und bereichernd, mit zumindest zwei Sprachen aufzuwachsen – bei meinen Söhnen ist es allerdings Englisch.

Als Sohn einer verfolgten Jüdin spielen Sie in „Trumbo“ nun endlich auch einmal einen Emigranten. Ist das eine Genugtuung nach all den Uniform-Rollen – von „Der Untergang“ bis zum Stauffenberg-Film „Operation Walküre“?

Berkel: Es waren allesamt herausfordernde Rollen, über die ich mich noch stärker mit dem Faschismus und der eigenen Familiengeschichte auseinandergesetzt habe. Denn als Schüler war ich nicht sonderlich an Geschichte interessiert. Das kam wirklich erst über meine Rollen, und heute ist Zeitgeschichte eine intensive, späte Liebe von mir. Diese fünf, sechs historischen Filme liefen allerdings damals kurz hintereinander. Ein Magazin titelte dann: „Unser Mann für Nazi-Rollen. “ Das war der Punkt, an dem es mir zu viel wurde.

Wie erklären Sie sich, dass man Christian Berkel gerne für historische Rollen besetzt? Sie durften zweimal den jüngst verstorbenen Helmut Schmidt spielen – in TV-Filmen über die Hamburger Sturmflut und den deutschen Terrorherbst („Mogadischu“).

Berkel: Ich habe wohl doch etwas sehr Deutsches an mir, und es fällt mir auch leicht, diese Rollen zu verkörpern. Allerdings: Bei Otto Preminger hatte ich viel größere Freiheiten als bei Schmidt. Der lebte schließlich noch, und jeder Deutsche hatte sein Schmidt-Bild im Kopf.

Haben Sie mit Helmut Schmidt jemals über Ihre Darstellung gesprochen?

Berkel: Nein, nicht direkt. Er war bekanntermaßen an Film nicht besonders interessiert, aber vom Produzenten Nico Hoffmann wusste ich, dass er sich offenbar gut getroffen fand. Wenn es anders gewesen wäre, hätte er vielleicht seinen Einfluss geltend gemacht, das ich ihn nicht noch einmal ein zweites Mal spiele.