Academy Awards

Die Oscars – so schwarz und politisch wie selten zuvor

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Dirk Hautkapp

Bei der 88. Oscar-Verleihung war vieles wie immer – und doch alles anders. Die Gala war voller politischer Momente mit Erinnerungswert.

Washington.  „Schande über Sie, Mr. Bush, Schande über Sie!“ Als der Dokumentarfilmer Michael Moore 2003 die Oscars zum Anti-Irak-Kriegs-Tribunal machte, schwor sich die „Academy of Motion Picture Arts and Sciences“ mehr Distanz zum Tagesgeschehen. In der Konsequenz gerann Hollywoods Leistungs-Show zum langatmigen Trophäen-Marathon. Vier Stunden schleppte man sich durch oft laue Gags. Die Favoriten räumten die wichtigsten Preise ab. Mit etwas Glück blieb eine zumindest authentisch wirkende Dankesrede über den Tag hinaus haften. Bei der 88. Auflage war vieles ähnlich und doch alles anders. Während der fürchterliche Selbstdarsteller Donald Trump gerade das öffentliche Leben Amerikas im Wahlkampf mit Ungeheuerlichkeiten infantilisiert, wurden die Oscars 2016 zu einer Abfolge politischer Momente mit Erinnerungswert.

Dafür sorgte allen voran Moderator und Chef-Comedian Chris Rock. Der Hysterie im Vorfeld über den Umstand, dass wieder einmal nur weiße Künstler in den entscheidenden Kategorien nominiert waren, zog der in ein blütenweißes Jackett gewandete Afro-Amerikaner mit bitterbösem Humor schnell den Stöpsel. „Ist Hollywood rassistisch? – Natürlich!“ Benachteiligung habe es immer gegeben. Ohne dass es zu theatralischen Boykottaufrufen gekommen wäre. Warum? Schwarze seien vollauf damit beschäftigt gewesen, nicht gelyncht oder vergewaltigt zu werden. „Wenn deine Großmutter am Baum hängt, dann ist es ziemlich schwer, sich für den besten ausländischen Dokumentarkurzfilm zu interessieren.“ In den Zuschauer-Reihen im Dolby-Theatre von Hollywood gefroren vielen die Gesichter.

Rock zog das Thema wie am roten Faden durch die Feier. Grandios sein Einspiel-Film mit den Reaktionen von Kino-Besuchern in Los Angeles‘ Problem-Stadtteil Compton: So gut wie niemand dort hatte die für den Oscar nominierten Filme gesehen – aber alle das absolut preiswürdige (und nicht berücksichtigte) Heimat-Hip-Hop-Drama „Straight Outta Compton“.

Preisträger mit politischem Sendungsbewusstsein

Politisches Sendungsbewusstsein bewies auch Regisseur Alejandro Gonzáles Iñárritu. Er bekam nach „Birdman“ im vergangenen Jahr diesmal für „The Revenant – Der Rückkehrer“ den Premiumpreis. „Lasst uns dafür sorgen, dass die Hautfarbe genauso unwichtig wird wie die Länge der Haare“, forderte der Mexikaner.

Sein Hauptdarsteller Leonardo DiCaprio, der für die Rolle des Trappers Hugh Glass in dem blutigen Überlebens-Drama nach zwei Jahrzehnten Wartezeit den ersten Oscar als bester Hauptdarsteller gewann, widmete sich beim auffällig abgeklärten Dankesagen ausgiebig seinem Leib-und-Magen-Thema: Klimawandel. „Er ist unsere größte Bedrohung. Er findet in diesem Moment statt. Lasst uns diesen Planeten nicht als selbstverständlich ansehen.“

Lady Gaga singt mit Opfern sexueller Gewalt

Kurz zuvor hatte nach eindringlich Worten von US-Vizepräsident Joe Biden Universal-Genie Lady Gaga den wohl intensivsten Oscar-Augenblick zelebriert. Mit einem Chor aus Opfern sexueller Gewalt sang sie am Steinway-Flügel „Til It Happens To You“, den unter die Haut gehenden Schlüsselsong aus der Dokumentation „The Hunting Ground“. Dass am Ende der schwule Sänger Sam Smith den Preis für die belanglose Ballade „Writing’s On The Wall“ (aus James Bonds „Spectre“) der weltweiten LGBT-Gemeinde (Lesbian, Gay, Bisexual und Transgender) widmete, ging beinahe unter.

Bei der Verteilung der begehrten Gold-Kerlchen bewies die Jury insgesamt ein glückliches Händchen. Brie Larson hat die Auszeichnung als beste weiblich Hauptdarstellerin in dem klaustrophischen Mutter-Kind-Drama „Room“, das in Deutschland erst am 17. März anläuft, vollauf verdient. Ebenso Mark Rylance (beste männliche Nebenrolle) für seine Darstellung als stoischer russischer Austausch-Agent in Spielbergs „Bridge of Spies“. Dass die sechs Oscars für das apokalyptisch Road-Movie „Mad Max: Fury Road“ von George Miller sich weitgehend auf Effekte und Technik bezogen, darf ebenfalls als kluge Entscheidung gelten.

So blieb Raum, um die Königssparte mit einem Stoff zu füllen, der viele Fliegen mit einer Klappe schlägt. „Spotlight“, das auf tieftaurig wahren Begebenheiten beruhende Drama um sexuellen Missbrauch von Kindern durch katholische Kirchenmänner in Boston, ist nicht nur brillant inszeniertes Erzählkino alter Schule. Die Reporter des „Boston Globe“ erhielten für das gesellschaftspolitische Watergate 2003 den Pulitzer-Preis. Der Film packt damit alle jene am Schlafittchen, die diesseits und jenseits des Atlantiks die Arbeit von Journalisten leichtfertig und gehässig als Lügenpresse diffamieren.