Essen. „Spotlight“ zeichnet die Arbeit eines Journalisten-Teams nach, das Kindesmissbrauch in der katholischen Kirche von Boston aufdeckt.

Als der eigentliche Skandal beginnt, endet Tom McCarthys „Spotlight“ (Kinostart am 25. Februar 2016). Dem US-Filmemacher geht es nicht um die Auswirkungen des 2001 im „Boston Globe“ erschienenen Artikels, der unzählige Missbrauchsfälle durch katholische Priester in der Erzdiözese Boston öffentlich gemacht hat. Die sind bekannt. Schließlich haben die Enthüllungen vor fast 15 Jahren nicht nur die katholische Kirche Bostons in ihren Grundfesten erschüttert.

Das Beben war auf der ganzen Welt zu spüren. Also konzentriert sich McCarthy ganz auf die mühseligen, von Zweifeln begleiteten Nachforschungen eines kleinen Teams von Journalisten, das damals die von der katholischen Kirche errichtete Mauer des Schweigens zum Einsturz gebracht hat.

Ein nahezu perfektes Netzwerk der Kirche

Das irisch geprägte Boston ist die katholischste aller US-amerikanischen Metropolen. Der Einfluss der Kirche ist überall zu spüren. Es gibt Verbindungen in Politik und Justiz, zu den Medien und natürlich zu den Schulen. Letzten Endes kennt in dieser geschlossenen Welt, in der Außenseiter immer Außenseiter bleiben, jeder jeden. Ein nahezu perfektes Netzwerk, in das die „Spotlight“-Redaktion, die investigative Abteilung des „Boston Globe“, eigentlich gar nicht weiter eindringen möchte. Nur gibt Marty Baron (Liev Schreiber), der neue, aus Florida kommende Chefredakteur des „Globe“, nicht nach.

Walter „Robby“ Robinson soll zusammen mit seinem kleinen Team den Gerüchten um von der Kirche vertuschte Missbrauchsfälle nachgehen. Nach und nach tragen der verbissene Ermittler Mike Rezendes (Mark Ruffalo), die einfühlsame Interviewerin Sacha Pfeiffer (Rachel McAdams) und der gewissenhafte Rechercheur Matt Carroll (Brian d’Arcy James) immer weitere Details zusammen. So offenbart sich ein Skandal, dessen Ausmaß selbst die schlimmsten Befürchtungen der Journalisten noch weit übertrifft.

Michael Keaton spielt eindrucksvoll

Natürlich stand Alan J. Pakulas 1970er-Jahre-Klassiker „Die Unbestechlichen“ Pate für Tom McCarthys „Spotlight“. Wie Pakula rückt auch er die Arbeit einiger Journalisten, die allen Widerständen trotzen und unbeirrt nach der Wahrheit suchen, in den Fokus der Erzählung. Aber McCarthy hält sich noch weiter zurück als sein Vorgänger. Er vermeidet jeden Sensationalismus und konzentriert sich ganz auf die schwierigen, oft frustrierenden Ermittlungen der „Spotlight“-Journalisten. Sein Film hat einen fast schon dokumentarischen Tonfall, der durch das extrem sensible Spiel seines eindrucksvollen Casts noch einmal betont wird.

Michael Keaton strahlt als „Robby“ Robinson eine eindrucksvolle Besonnenheit aus. Er hält das Team zusammen – und ist derjenige, der die Verstrickungen der Medien und auch des „Boston Globe“ in den katholischen Filz am klarsten sieht. Der Augenblick, in dem er erkennen muss, dass es auch an seiner alten Schule Missbrauchsfälle gab, wird zum emotionalen Zentrum des Films. Er hat damals einfach Glück gehabt; diese Erkenntnis, die sich einzig in einigen kurzen, über Keatons Gesicht huschenden Regungen spiegelt, enthält die ganze Tragik der Geschichte. Jedes katholische Kind hätte ein Opfer werden können.

Huldigung an den klassischen Journalismus

Mit „Spotlight“ huldigt Tom McCarthy noch einmal den großen Tugenden des klassischen Printjournalismus. Aber er macht sich keinerlei Illusionen darüber, dass mit den Artikeln im „Boston Globe“ eine Ära zu Ende gegangen ist. Heute, in den Zeiten des alles beherrschenden Internet, wäre eine solche Recherche kaum mehr möglich. So erfüllt eine alles durchdringende Melancholie McCarthys Film. Er erinnert uns noch einmal nachdrücklich daran, welche Funktion Zeitungen in einer demokratischen Gesellschaft haben können.