Kulturbehörde macht weitere Förderung offenbar davon abhängig, dass Vorstand und Aufsichtsrat der Kulturinstitution neu besetzt werden.

Hamburg. In der Altonaer Fabrik waren sie alle mal: Marius Müller-Westernhagen, Gilberto Gil, Chris de Burgh, Mikis Theodorakis, Eric Burdon, Wolf Biermann, Nina Simone, Miriam Makeba, Otto, Miles Davis, Nirvana, Udo Lindenberg, Charles Mingus, Willy DeVille und, und, und ... Generationen von Hamburgern sind ihretwegen in die Fabrik gepilgert; das Programm dort ist bis heute ein Mix aus Stars und spannenden Newcomern geblieben, mit einer leichten Leidenschaft für Minderheitenprogramme. Doch jetzt geht in der Fabrik die Angst um: Im Hamburger Urhaus der Idee "Kultur für alle", das im nächsten Jahr seinen 40. Geburtstag feiern könnte, befürchten Mitarbeiter und Nutzer, dass rigoroses Sparen und ein von der Kulturbehörde forcierter Management- und Konzeptwechsel das Nebeneinander von Live-Musik am Abend und kreativer Kinder- und Jugendarbeit am Nachmittag zerstören könnten. Der Auslöser dieser Sorgen ist sehr konkret. In einem Brief an den Fabrik-Gründer und Chef der Fabrik-Stiftung Horst Dietrich, 75, der dem Abendblatt vorliegt, spricht die Behörde davon, "dass die kontinuierliche defizitäre wirtschaftliche Entwicklung der Fabrik in den letzten Jahren einerseits", aber auch sein Alter "es in absehbarer Zeit erzwingen werden, dass neue Strategien und ein Übergang auf ein neues Management gefunden werden müssen".

Der von der Behörde skizzierte Weg zeigt, dass das Wort "erzwingen" durchaus ernst gemeint ist: Man werde sich für eine Sicherung der derzeitigen Zuwendung an das Haus für die Jahre 2011 und 2012 einsetzen - aber nur unter der Voraussetzung, dass Aufsichtsrat und Vorstand der Stiftung bis zur Sommerpause neu besetzt sind und dass bis zum 30. September ein neuer Geschäftsführer für die Fabrik gefunden ist. Horst Dietrich soll dann in den Aufsichtsrat wechseln - um seine "Erfahrung weiterhin zu nutzen".

Der neue Vorstand solle "mit externer Unterstützung" ein Sanierungskonzept erstellen, das eine "zukunftsweisende Positionierung der Fabrik und finanziell - unter Berücksichtigung der städtischen Zuwendungen - ein ausgeglichenes realistisches wirtschaftliches Ergebnis zum Gegenstand hat". Auf dieser Grundlage wolle man mit dem Fabrik-Chef kurzfristig ins Gespräch kommen.

Der hat einen Anwalt beauftragt, für die Fabrik-Stiftung mit der Behörde zu sprechen. Denn Horst Dietrich sieht es so: Er, der die Fabrik gegründet und 39 Jahre lang geleitet hat (und gut 15 Jahre jünger aussieht, als er ist), wolle sein Lebenswerk in jüngere Hände legen. Aber nur in solche, denen er vertraut, die er einarbeiten kann und die die Ausrichtung seines Lebenswerks achten. Die Behörde wolle stattdessen den Wechsel einleiten hin zu einem rein kommerziellen Programm und weg von der Stadtteilarbeit. Er kritisiert vor allem die Drohung, die Zuwendung ab 2011 ganz zu streichen: "Das wäre das Aus für etwa 40 zum Teil langjährige Mitarbeiter - und das Ende der Fabrik."

In der Kulturbehörde bemängelt man unter der Hand am derzeitigen Management, "dass die es aus eigener Kraft nicht schaffen, die Situation in den Griff zu bekommen". Doch daran ist die Kulturbehörde nicht unschuldig: Der jährliche Zuschuss der Fabrik ist seit 1996 von umgerechnet 819 000 Euro auf inzwischen noch 549 000 Euro zurückgefahren worden, zuletzt 2006 mit einer massiven Kürzung von 89 000 Euro. Von diesem Zuschuss werden pro Jahr 140 000 Euro für die Miete einbehalten. Vorschläge, das stadteigene Gebäude in die 2006 gegründete Stiftung einzubringen, seien ignoriert worden, genau wie der Vorschlag, aus Mitteln des Konjunkturpakets einen Anbau mit einem kleinen zweiten Saal für kleinere Konzerte zu errichten, sagt Dietrich. Zwar gab es von 2006 bis 2008 jedes Jahr 100 000 Euro zusätzlich - aber für Baumaßnahmen, nicht fürs Programm.

Dietrich verweist darauf, dass die Fabrik 2009 mit 192 000 Konzertbesuchern mehr Publikum hatte als das Schauspielhaus auf der Hauptbühne (180 000 Zuschauer).

Dazu kommen pro Jahr 30 000 Kinder und Jugendliche aus dem Stadtteil, die kostenlos nach der Schule in Kreativkursen betreut werden - vom Töpfern über Theaterspielen, Kochen bis zum Fotografieren und in Internet-Kursen. Noch mehr Sparen bedeute, dass man vor allem diesen personalintensiven Bereich beschneiden oder ganz abschaffen müsse.

Ein stärker auf Mainstream gebürsteter Konzertbereich könne dann die Zuwendung der Behörde noch weiter zurückfahren helfen. Die Seele der Fabrik sei aber nicht smarter Kommerz, sondern das Prinzip, dass hier traditionell Kultur für alle gemacht wird. Damit habe sie sich in Altona in den 70er-Jahren, als der Stadtteil noch nicht "in" war, ihre breite Akzeptanz erarbeitet; nur so sei die Fabrik zum bewunderten Vorbild in anderen Städten der Welt geworden. Das zu ändern käme einem fatalen Kulturwechsel gleich.

Behördensprecherin Susanne Frischling mag in dem Schreiben vom 25. Mai 2010 kein Ultimatum erkennen. "Wir wollen die Fabrik unbedingt erhalten, sie muss aber zukunftsfähig gemacht werden." Welche konkreten Maßnahmen sich hinter diesem schönen Wort verbergen, mochte sie nicht ausführen: "Wir wollen dem neuen Vorstand nicht vorgreifen." Man wolle sich nicht in künstlerische Dinge einmischen, die Fabrik brauche aber "ein neues, zeitgemäßes und tragfähiges Konzept", das dann auch "z. B. die Quersubventionierung von stadtteilkulturellen Angeboten ermöglicht".

Man muss kein Behördensprachen-Übersetzer sein, um herauszulesen, dass es die Stadtteilarbeit dann eben nur noch gibt, falls sie sich weitgehend aus dem Konzertbetrieb und der Gastronomie mitfinanzieren lässt.