In 100 Wochen soll die Elbphilharmonie eröffnet werden. Ein Konzept für die Betriebskosten fehlt aber immer noch

Hamburg . Übermorgen in nur noch 100 Wochen ist es soweit. Falls Bürgermeister Olaf Scholz mit seiner Terminprophezeihung recht behält, wird am Mittwoch in 100 Wochen das erste Konzert in der Elbphilharmonie auch eine neue Ära das Hamburger Musiklebens eröffnen. Aber während inzwischen sehr klar zu sein scheint, was das Gebäude an sich die Stadt bis dahin kosten wird, rund 789 Millionen Euro nämlich – ein ähnlich wichtiger Aspekt ist bislang völlig unklar: die Betriebskosten. Genauer gesagt: die städtischen Subventionen für den Spielbetrieb, der das gemeinsame Programmangebot von Elbphilharmonie und Laeiszhalle von jetzt auf gleich in die Weltklasse katapultieren soll – mit einheimischen Orchestern und durchreisenden Ensembles oder Virtuosen. Obwohl es in Hamburg kein entsprechendes Fünf-Sterne-Orchester und auch noch kein Klima gibt, das ein gewachsen kundiges Publikum vorweisen könnte. Obwohl immer noch nicht klar ist, welche inhaltlichen Ziele oberhalb vom sehr generellen Motto „toll, aber zu vernünftigen Preisen“ angestrebt werden.

Wie viel Geld muss, kann, will die Politik in dieses Dauerthema investieren, das entscheidend zum künstlerischen Gelingen dieses Projekts beitragen wird? Viele Details zum technischen Betrieb des überaus komplexen Gebäudes und den damit verbundenen Kosten sind ebenfalls noch zu klären. Auf Fragen zu diesem heiklen Thema reagiert die zuständige Behörde nur vage: „Die aktuellen Planungen zum Spielbetrieb sind sieben Jahre alt und müssen daher selbstverständlich fortgeschrieben werden“, sagt Kulturbehördensprecher Enno Isermann zu dem Dilemma. „Wir sind dabei, zusammen mit der HamburgMusik die Zahlen zu erheben. Der Bürgerschaft haben wir mitgeteilt, dass wir Mitte 2015 diese Fortschreibung vorlegen wollen.“ Der Kommentar von Generalintendant Christoph Lieben-Seutter: „Zum jetzigen Zeitpunkt wage ich keine Prognose. Für die Eröffnung werden schon noch zusätzliche Kosten entstehen, dafür braucht es noch zusätzliche Mittel.“

Klar scheint also noch nichts zu sein. Aber alle Beteiligten dürften bereits jetzt verstanden haben, dass es auf dem bisherigen Subventionsniveau langfristig nicht weitergehen kann. Derzeit erhält Lieben-Seutter für seine Spielpläne in der Laeiszhalle und an anderen Festival-Adressen 3,098 Millionen Euro von der Stadt. Dieser Betrag, bei dem sich keine klare Trennlinie zwischen der Finanzierung künstlerischer Ideen und strukturellen Kosten ziehen lässt, soll bis zur Eröffnung aber nicht etwa ansteigen, wie es zu erwarten wäre, sondern unverändert bleiben. Laut Kulturbehörde ist der Zuschuss seit der Saison 2009/10 (3,399 Millionen Euro) damit sogar gesunken. Für Extras wie die eingestellten Ostertöne beziehungsweise das gerade laufende „Lux aeterna“-Festivälchen oder das vor allem schön gemeinte Internationale Musikfest gab es jährlich 125.000 Euro zusätzlich. Ohne private Gönner wäre das prestigeträchtige Thema Musikmetropole Hamburg schnell auserzählt.

Bisherige, aber inzwischen veraltete und überholte Planungsgrundlage für die Zuschussfrage ist eine Senatsdrucksache aus dem Januar 2008. Darin ist, umgeben von sehr vielen Fragezeichen bei einzelnen Kostenpunkten, von einem städtischen Zuschuss in Höhe von 3,194 Millionen Euro die Rede. Eine Zahl, die schon inflationsbedingt längst verjährt ist und von der Realität unterboten wird. Zur Erinnerung: Bevor die vermeintliche Musikmetropole Hamburg sich dazu durchrang, im Bereich der Klassik ernsthafte Summen in das künstlerische Profil der Laeiszhalle zu investieren, gab es Zeiten wie das Jahr 2005, in denen das Haus für eine gesamte Spielzeit lächerliche 35.000 Euro vom Rathaus erhielt und sich so nur zum Gespött der gesamten Branche machen konnte. Mehr war nicht drin, damals. Damit war nichts Sinnvolles möglich, um das eigene Programmprofil zu schärfen. Jetzt müsste langfristig nachgeholt werden, was damals kurzsichtig unterlassen wurde. Und das kostet.

Vergleiche mit den jährlichen Subventionen für andere Konzerthäuser sind zwar machbar, aber nur bedingt aussagekräftig, weil jede Adresse spezifische Voraussetzungen hat, angefangen von der Zahl der Sitzplätze bis zur Zahl der Säle. Die Alte Oper Frankfurt beispielsweise erhält sieben Millionen Euro. Das Festspielhaus Baden-Baden (ein spezieller Sonderfall unter den deutschen Häusern) wird mit rund 3,5 Millionen pro Jahr von Stadt und Land „zurückgekauft“, der Spielbetrieb ist privat finanziert. Für die Philharmonie Luxemburg hat Intendant Stephan Gehmacher rund sieben Millionen Euro Subventionen zur Verfügung – auf den ersten Blick eine erstaunlich hohe Summe, doch dort liegt der Eigenveranstaltungsanteil mit mehr als 90 Prozent auch dramatisch höher als in Hamburg.

Die Wiener Gesellschaft der Musikfreunde kann jährlich mit etwa einer Million Euro als öffentliche Förderung rechnen, das sind etwa fünf Prozent des Etats (von wegen Musikparadies: die Subventionen der Republik Österreich für den Musikverein sind seit 2004 gleich geblieben, in diesem Jahr wird voraussichtlich um 20 Prozent gekürzt, der Betrag von der Stadt Wien selbst ist seit 1997 unverändert). In der Saison 2013/14 bekam das Wiener Konzerthaus, Lieben-Seutters Arbeitsstätte vor dem Wechsel an die Elbe, 2,287 Millionen Euro Subventionen, das Konzerthaus Dortmund, geleitet vom ehemaligen Hamburger Laeiszhallen-Chef Benedikt Stampa, verbuchte für diesen Zeitraum 4,892 Millionen Euro. Der frühere Hamburger Opern-Intendant Louwrens Langevoort erhält für die Philharmonie Köln bei einem Gesamtetat von 15 Millionen Euro etwa 4,5 Millionen Euro städtischen Zuschuss. Bei der frisch eröffneten Philharmonie de Paris wiederum hat die Stadt ihren Subventionsanteil von neun auf sechs Millionen Euro reduziert.

Trotz aller Unvergleichbarkeit sind diese Zahlen dennoch Anhaltspunkte und Orientierungsgrößen für den Bedarf, den Elbphilharmonie und Laeiszhalle im zukünftigen Spielplan-Verbund anmelden dürften. Bei einer so spektakulären Neueröffnung wie in Hamburg ist einerseits klar, dass Gastvirtuosen fast spielen können, was sie wollen, weil das Interesse am Gebäude anfangs viel größer sein wird als die Freude über raffinierte dramaturgische Verästelungen in den Programmen. Dennoch wird Lieben-Seutter es ab sofort nicht beim „Normalbetrieb“ belassen können. Und er wird in der noch verbleibenden Zeit bis zum 11. Januar 2017 für Vorbereitung und Vorglühen zunehmend mehr Geld aus privaten Quellen in die Hand nehmen müssen.

Ein 789-Millionen-Konzerthaus mit „internationaler Strahlkraft“ eröffnet man nicht mit Regionalliga-Sortiment und Tournee-Pauschalangeboten durchreisender Stars. Aber ob und wie sich der zukünftige Finanzbedarf der Elbphilharmonie-Intendanz für Haus und Kunst mit den strengen Sparvorgaben des Senats für alle Ressorts verträgt? Wie kompensiert der chronisch klamme Kulturetat die Elbphilharmonie-Investitionen? Für den Gesamterfolg des Jahrhundertprojekts sind diese Fragen entscheidend. Alles andere wäre nur das teuerste Fotomotiv aller Zeiten für Musicaltouristen.