Literaturfest

Nach Ausstieg von Vattenfall: HEW-Lesetage starten in Hamburg

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Thomas Andre

Am Sonntag beginnen die HEW-Lesetage. Das Programm ist vielfältig und ausgesucht, politisch und unterhaltsam. Es lesen unter anderem Alexander Posch, Deniz Yücel und Hans Platzgumer.

Kampnagel. Es war durchaus ein kleiner Schlag für das Kulturgeschehen in Hamburg, als Vattenfall im vergangenen Jahr sein Engagement im Bereich der Literatur beendete. Trotz aller „Greenwashing“-Vorwürfe waren die Vattenfall-Lesetage über Jahre ein wichtiges Kulturangebot für die Lesebegeisterten der Metropolregion. Das Gute ist derweil, dass die die Gegen-Veranstaltungen, die in den vergangenen Jahren den hansestädtischen Literaturbetrieb genauso zum Laufen brachten wie Vattenfall, nach dem Rückzug des Energiemultis einfach weiter machen: vom 13. bis 17. April in Form der HEW-Lesetage, vom 22. bis 27. April in Form der „Erneuerbaren Lesetage“, die man auch unter dem Namen „Lesen ohne Atomstrom“ kennt.

HEW ist ein Akronym für Hamburger Energie-Wechsel. Der gesellschaftspolitische und soziokulturelle Antrieb der HEW-Lesetage zeigt sich in der Auftaktveranstaltung am Sonntag auf Kampnagel, in der der Kampf gegen Vattenfall noch einmal seinen Widerhall findet: „Kunst und Knechtschaft – Diskussion über das Gefahrengebiet Kultursubvention" heißt sie.

Zur Podiumsdiskussion eingeladen sind die Schauspielhaus-Chefin Karin Beier, Amelie Deuflhart (Kampnagel), Christine Ebeling (Gängeviertel), die Musikerin Melissa Logan (Chicks On Speed), Verlagschefin Hanna Mittelstädt (Edition Nautilus), Marie Rötzer (Thalia Theater) und der Autor Georg Seeßlen (13. April, 20 Uhr).

Etwa 20 Veranstaltungen umfasst das Festivalprogramm. Lese-Orte sind neben Buchhandlungen und Kampnagel auch Clubs wie das Golem, Institutionen wie das Landgericht und Kulturhäuser wie das Monsuntheater. Das Programm ist so vielfältig wie ausgesucht – nicht die ganz großen Namen, aber hinsichtlich des Themenspektrums beeindruckend. Oliver Bottini liest aus seinem aktuellen Krimi „Ein paar Tage Licht", der auch politische Aspekte hat – kein Zufall. „Ein paar Tage Licht" spielt in Algerien und verquickt die Geschichte des Landes mit einem spannenden Plot (15. April, 18 Uhr, Landgericht).

Der Österreicher August Schmölzer, vielen als Schauspieler ein Begriff („Schindlers Liste“), stellt in Hamburg seinen ersten Roman vor. „Der Totengräber im Buchsbaum“ handelt von den Schatten der Vergangenheit, die bis in die Gegenwart ragen; in diesem Falle ist es die Figur Josef, die an den Ort ihrer Kindheit zurückkehrt, um in der Konfrontation mit den Geschehnissen von früher Befreiung zu suchen (15. April, 20 Uhr, Monsuntheater).

Alexander Posch liest aus seinem vorzüglichen Buch „Sie nenn es Nichtstun“, das von einer Vater-erzieht-die-Kinder-Existenz handelt, die der Rahlstedter ironisch und vol schwarzen Humors schildert (14. April, 20 Uhr, W3, gemeinsam mit Nikola Anne Mehlhorn und Johann Popp). Analytisch wird es mit dem Briten Mark Fisher, einem Musik- und Medienwissenschaftler: Er kommt ins Golem zur Diskussion über sein Buch „Der kapitalistische Realismus und seine Gespenster", das sich unter anderem mit der Auswirkung neoliberaler Politik auf Kultur beschäftigt (13. April, 16 Uhr).

Eines der wirkmächtigsten Themen der europäischen Öffentlichkeit der jüngeren Vergangenheit nimmt sich Deniz Yücel in „Taksim ist überall“ an. Der Münchner portraitiert mit seiner Betrachtung der Geschehnisse des vergangenen Jahres auf dem zentralen Istanbuler Platz die gesamte türkische Gesellschaft. Er traf Menschen aus verschiedenen Milieus und wirft einen Blick auf die deutsch-türkische Community (17. April, 19 Uhr, Centro Sociale). Wie sein Buch erscheint auch Hans Plutzgamers neuer Roman „Korridorwelt“ im Hamburger Nautilus-Verlag, der dieser Tage 40 Jahre alt wird. Platzgumer, Gitarrist bei den Goldenen Zitronen, schreibt über die Musikerszene: Sein Held ist ein Straßenmusiker namens Julian Oger, der in Kalifornien strandet auf seiner Flucht aus der Heimat Österreich (17. April, 20 Uhr, Golem, Special Guest: Rocko Schamoni).

Wer Bücher scheibt, das zeigt nicht nur das Beispiel Platzgumers, macht mitunter noch viel spannendere Sachen, die in Büchern danach zweitverwertet werden: Das beste Beispiel dafür ist auf den HEW-Tagen Cécile Lecomte, die im Hauptberuf Kletteraktivistin ist.

Für den guten Zweck und den gerechten Kampf klettert die in Norddeutschland lebende Französin an Orte, die mehr oder weniger deutlich über Normalnull liegen. Darüber hat sie jetzt ein Buch geschrieben, das den sehr schönen Namen „Kommen Sie da runter“ trägt. Reich wird Lecomte mit ihrem Tun nicht, sie hat aber immer den besten Ausblick (16. April, 19.30 Uhr, Honigfabrik).

HEW-Lesetage 13.–17 April, Auftaktveranstaltung „Kunst und Knechtschaft" 13. April, 20 Uhr, Kampnagel (Bus 172/173), Jarrestraße 20. Eintritt 6,- Alle Veranstaltungen unter www.hew-lesetage.de