Die Designerin Jil Sander hat mit ihrer Mode eine Generation geprägt. Ihre Karriere hatte viele Aufs und Abs. Heute wird sie 70 Jahre alt.

Viele Namen hat man ihr schon verpasst: Lady Cashmere, Gentle Jil, Jil Power oder Queen of lean. Dabei wird Jil Sander nur eine Bezeichnung gerecht – sie ist Deutschlands beste Modedesignerin, nicht mehr und nicht weniger. Heute feiert Hamburgs Stilikone ihren 70. Geburtstag. Sie meidet die Öffentlichkeit. Vor allem Fotografen sind ihr ein Gräuel. Sie mag sie so wenig wie der Teufel das Weihwasser, autorisiert bei Interviews nur Fotos aus ihrer Anfangszeit.

Das hat einen Grund: Zu Beginn ihrer Karriere hat sich Jil Sander entschieden, für ihre Produkte wie Parfüm mit dem eigenen, damals noch jungen Gesicht zu werben. Fotos, die eine ältere Jil Sander zeigen, waren da kontraproduktiv. Inzwischen ist das Vergangenheit. Das Hamburger Unternehmen ist längst verkauft und residiert nun in Mailand. Ob Jil Sander ihren Geburtstag wieder an ihrem Zweitwohnsitz auf Ibiza feiert, wo sie auch ihren 65. Jahrestag verbracht hat, ist ungewiss. In Hamburg, wo sie immer noch gern lebt, sieht man sie beim Spaziergang um die Alster. Die Kappe tief ins Gesicht gezogen signalisiert sie, dass sie am liebsten gar nicht erkannt oder angesprochen werden will. Das ist der Preis, den sie für ihre Berühmtheit bezahlen muss. Ab und an fährt sie auch in ihrem Porsche 911 oder dem Bentley durch die Stadt.

Natürlich gibt es inzwischen zahlreiche andere Hamburger Modemacherinnen wie etwa Iris von Arnim oder Bettina Schoenbach, die der Designerin nacheifern. Doch Jil Sanders Verdienst ist es, dass sich die deutschen Frauen vom modischen Mief der Nachkriegsjahre befreien konnten. Ihre Mode stand für schicke Kleider und Hosen statt Faltenröcke und Schürze, Bubikopffrisur statt Dutt auf dem Kopf. Die Frauen aus der Meister-Propper-Generation lechzten nach ihrer edlen Mode mit persönlicher Note.

In ihren Gründerjahren will Jil Sander unbedingt eine eigene Kollektion entwerfen, Kleidungsstücke, auf deren Etikett ihr Name steht. 1973 ist es so weit. Die ersten Kleidungsstücke mit dem Logo Jil Sander kommen auf den Markt – und floppen. Die Stoffe sind nicht gut genug für die feinen Hanseatinnen. Jil Sander lernt daraus. Kompromisslose Qualität heißt seither ihr Credo, edelste Stoffe, bestens verarbeitet. Aus Rückschlägen lernt die Frau, die während des Zweiten Weltkriegs in einem Militärlazarett in Wesselburen zur Welt kam. Auch, dass Scheitern kein Grund zum Aufgeben ist.

„Es gab damals keine Blazer, die nicht gefüttert waren oder lässig wirkten“, sagt sie in einem der Gespräche mit dem Abendblatt. „Sie konnten eine Jacke auf den Tisch stellen, so steif war sie.“ Jil Sander will lässige und doch hochwertige Alternativen bieten. Vor allem im vornehmen Pöseldorf kommt dies damals gut an. Dort, in der Milchstraße, eröffnet Heidemarie Jiline Sander, die damals Journalistin beim Magazin „Constanze“ ist, mit 25 Jahren die vermutlich erste Designerboutique Deutschlands. Das nötige Startkapital beschafft sie sich, indem sie ihr Auto verkauft.

Ihre Markenzeichen sind der stark auf die Körperproportionen geschnittene Anzug sowie ein schlichter Trenchcoat oder ein kamelhaarfarbener Mantel und die simple weiße Bluse. Auf unnötige Details wird verzichtet. Jil Sander entwirft Damenbekleidung anfangs aus Herrenstoffen, die nicht maskulin, sondern weich und schön wirken. Sie zieht Juristinnen, Verlegerinnen oder gut verdienende Bürokräfte an. Die Damen sind begeistert von der angenehm zu tragenden Garderobe, deren Vorzüge Männer schon lange schätzen.

Jil Sander, die nie verheiratet war, steht wie kein anderer Designer für einen klaren und schnörkellosen Stil. Die Kundinnen schätzen ihren Purismus. 1978 gründet sie ihr eigenes Unternehmen und erzielt Welterfolge. 1989 bringt sie die Jil Sander AG an die Börse. Verkauft werden allerdings nur Vorzugsaktien ohne Stimmrechte. Damals will die dynamische Designerin noch keine Anteilseigner, die ihr ins Geschäft reinreden könnten. Das Unternehmen floriert. Neben Bekleidung kommen Accessoires unter dem Logo Jil Sander ins Programm, Kosmetik, Parfüm, Brillen, Schuhe, Lederwaren und 1996 auch Mode für Männer.

Für Jil Sander, die außer in ihrer Villa im Harvestehuder Weg in Hamburg mit ihrer Freundin Dickie Mommsen auch in Plön lebt, scheinen die Sterne zum Greifen nah. Auch Dank der Erlöse aus dem Börsengang kann die Designerin ihr Unternehmen weltweit ausbauen. Es entstehen Filialen in Paris, Mailand, Asien – und am Neuen Wall in Hamburg. Sogar die Politik interessiert sich für die Stilikone. 1996 erhält Sander das Bundesverdienstkreuz. Doch Deutschlands beliebteste Modemacherin hat offenbar kein gutes Händchen im Personalbereich. Diverse Manager wechseln sich nach dem Börsengang an der Unternehmensspitze ab, während Jil Sander weiterhin das macht, was sie wirklich kann: edle Mode für Frauen und Männer sowie Accessoires.

Das Geschäft scheint Mitte der 90er-Jahre zu florieren. Doch offenbar läuft damals hinter den Kulissen im Management einiges schief. Was nützt die schönste Mode, wenn die Zahlen nicht stimmen? 1999 entscheidet sich die Designerin – wohl nicht ganz freiwillig –, ihr Unternehmen an den italienischen Wettbewerber Prada zu verkaufen. Im ersten Zug gibt sie 75 Prozent ab, danach die restlichen 25. Prada zahlt insgesamt rund 300 Millionen Mark (knapp 150 Millionen Euro) für die Designschmiede. Die Nachricht schlägt in der Branche ein wie eine Bombe.

Ausgerechnet Jil Sander, die Queen der Branche, ausgerechnet die Frau, die stundenlang mit Herzblut über Mode reden und jedes Detail ihrer Kollektionen begründen kann. „Natürlich war es nicht einfach für mich, mich von dem Unternehmen zu trennen, welches ich seit nunmehr 30 Jahren aufgebaut habe. Aber ich bin überzeugt, dass ich die für die Zukunft der Jil Sander AG beste Entscheidung getroffen habe“, sagt die damals 56-Jährige dem Abendblatt. Das erweist sich als fataler Irrtum. Die detailversessene Jil Sander überwirft sich innerhalb kürzester Zeit mit dem machtbewussten Prada-Chef Patrizio Bertelli und steigt 2000 als Chefdesignerin aus.

Es gibt hässliche Worte, wenn Bertelli auf Bilanzpressekonferenzen über „Signora Saaaander“ spricht. Die Modedesignerin habe Schwierigkeiten mit den neuen Besitzverhältnissen. „Jil Sander hat wohl gedacht, dass sich mit dem Verkauf der Anteile nichts ändert“, ätzt der Italiener. Von Jil Sander hingegen gibt es kein böses Wort über die hässliche Auseinandersetzung, obwohl auch sie eine leichte Verbitterung verspürt. Drei Jahre später kehrt sie zurück mit einer hoch gelobten Comeback-Kollektion – um 2004 erneut das Handtuch zu werfen. Die Chemie stimmt einfach nicht. Diesmal dauert die Auszeit länger. 2006 verkauft Prada das Unternehmen für geschätzte 120 Millionen Euro und macht damit ein Minusgeschäft.

„Die Pause war mir sehr zuträglich, eine Zeit der Ruhe und Muße, die ich genutzt habe. Ich hatte vieles aufschieben müssen. So ganz und gar meine Neigungen konnte ich selten leben“, sagt die Designerin nach ihrem zweiten Weggang von Prada. „Es war immer mein Wunsch, reisend Kultur zu erleben, mich von Kulturen inspirieren zu lassen. Also war ich viel unterwegs. Im Iran zum Beispiel, in Russland. Diese vielfältigen und intensiven Eindrücke haben mich zum Fotografieren gebracht. Ich tue es bis heute, so sind übrigens auch ein paar gelungene Fotos von meinem Garten und Blumenstillleben entstanden“, so Sander.

Doch auch in Modedingen bleibt sie nicht ganz untätig. Von 2009 bis 2011 arbeitet sie für die japanische Kette Uniqlo, die in einem eher preisgünstigen Segment angesiedelt ist und entwirft eine Kollektion unter dem Logo „J“. In Deutschland ist diese Mode allerdings nicht zu haben. Jil Sander ist auf einmal bezahlbar geworden. Auch hier gibt die Designerin auf. „Ein gelegentliches Scheitern ist das beste Mittel gegen Erfolgsrauschkater“, sagte sie jüngst in einem Interview.

Jil Sander nimmt wieder eine Auszeit, die aber nicht lange dauert. Im Februar 2012 verkündet der aktuelle Mehrheitseigner der Firma Jil Sander, die japanische Onward Holdings, die Rückkehr der Modemacherin zu der von ihr gegründeten Marke. Damit haben nicht viele in der Branche gerechnet. Ihr erneuter Abschied vor wenigen Wochen hingegen überrascht Insider nicht. Zu viele Jahre war sie dem sich immer schneller drehenden saisonalen Kleiderkarussell ferngeblieben. „Ich bin ein wenig erschöpft“, sagt sie Ende September am Rande einer Schau. Ihrem Perfektionismus ist Jil Sander aber auch am – vermutlich nur vorläufigen – Ende ihrer Laufbahn treu geblieben.