Die Hamburgerin Móka Farkas zählt mit ihrer Aktion „Slow-Grow-Flow“ zu den Künstlern des Dockville-Kunstcamps, das diesen Donnerstag eröffnet

Hamburg. Das honigartig schmeckende Rosengewächs Mädesüß, so ist auf einem Kärtchen zu lesen, „hilft starren unflexiblen Menschen, sich zu entspannen und für das Leben zu öffnen“. Die scharf-bittere Gewürzlilie wiederum schaffe „Klarheit der Gedanken“. Und das süße Ziegenkraut habe eine „erhöhende Wirkung auf den Testosteronspiegel beim Mann, auch bei der Frau wird die Sexuallust erhöht“.

Was sind die Wünsche der Menschen? Was ihre Beschwerden? Wovon möchten sie geheilt werden? Mit Fragen wie diesen beschäftigt sich die Hamburger Künstlerin, Kuratorin und Dramaturgin Móka Farkas für ihr Projekt „Slow-Grow-Flow“ auf dem Kunstcamp des Dockville-Festivals, das diesen Donnerstag in Wilhelmsburg unter dem Motto „Unkraut“ eröffnet wird. Dabei sieht die 45-Jährige keineswegs aus wie eine Kräuterhexe, sondern cool und entspannt. Die braunen Haare locker hochgesteckt. „Subvision“ steht auf ihrem schwarzen Shirt. Eines von vielen Hamburger Off-Kunst-Festivals, an dem Farkas teilgenommen hat.

Auf der wild verwunschenen Industriebrache an der Alten Schleuse ist die 45-Jährige mit ihrer Aktion in einem verwinkelten Holzgebilde beheimatet. Wer über schmale Stufen oder eine Rampe in ihre Open-Air-Kräuterküche gelangt, kann sich dort Heilpflanzen je nach erhoffter Wirkung zusammenstellen. Ein wenig Rosmarin gegen Apathie zum Beispiel. Etwas Myrte für besseres Urteilsvermögen. Zudem Litsea, um die Seele zu stärken. Farkas destilliert aus den Gewächsen dann vor Ort einen Doppelbrand, der jedoch nicht sofort genießbar ist. „Die Aromen müssen erst zusammen reifen“, sagt Farkas. Die Besucher nehmen die Flüssigkeit deshalb in 100-Milliliter-Flaschen mit nach Hause, wo sie ihr individuelles Gebräu täglich schütteln müssen. Eine entschleunigte Performance. Ein Lernprozess für die Anwender. Ein Spiel mit Erwartungen. Und eine Probe in Geduld.

Die Pflanzen, die sie verwendet, kommen aus der ganzen Welt. Von Mexiko bis China. Einige hat sie in ihrem Garten neben dem Kulturhaus 73 in der Schanze gezogen. Ein Projekt ihres Künstlerkollektivs Baltic Raw, das sich auf Aktionen im öffentlichen Raum spezialisiert hat und sich im Spannungsfeld von Architektur, Kunst, Agitation und Sozialstudie bewegt. Mit der „Kanalphilharmonie“ errichtet die Gruppe aktuell für das Sommerfestival auf Kampnagel ein avantgardistisches Wahrzeichen. Bei der Expo in Shanghai eroberten und bespielten die Hamburger ebenso urbane Flächen wie vor der Kunsthalle, wo sie mit ihrem zusammengezimmerten „Open Museum“ 2012 Ausstellungen für jedermann boten. Farkas ist eine Grenzgängerin, eine Hybrid-Artistin, die sich mit ihrer Kunst die Teilhabe in und an der Stadt erkämpft. Und die genervt ist von konventionell gezogenen Genre-Linien. „Es ist absolut hanebüchen, dass in Hamburg Hoch- und Subkultur so wenig zueinanderkommen“, sagt sie und lässt ihre Hände durch die frisch verregnete Sommerluft fliegen.

Letztlich lässt sich jedes Projekt von Farkas auf einen ganz einfachen Kern herunterbrechen: die menschliche Begegnung. Künstlerische Erfüllung bedeutet für sie: „Wenn ich sehe, dass die Leute ins Gespräch und ins Nachdenken kommen aufgrund der Aktion, mit der ich sie konfrontiere.“ Dass sie bei „Slow-Grow-Flow“ auf dem Dockville ihre destillierten Kunstwerke und deren Weiterentwicklung aus der Hand gibt, erfreut sie. „Ich muss mich als Künstlerin nicht selbst verwirklichen, sondern ich frage mich vielmehr: Was macht die Kunst mit den Leuten?“

Seit 2009 sammelt Farkas Wissen rund um Kräuter und Heilpflanzen. Für sie ist die Schnapsidee für das Kunstcamp auch eine Reminiszenz an ihre ungarische Heimat. „Selbstgebrannter gehört dort zur Kultur“, sagt Farkas, die mit viel Charme und Witz kritische Haltung und künstlerischen Freigeist mit handwerklichem Pragmatismus verknüpft. Ihre Clocks klackern über die Planken ihres Kunstlabors, als sie zu dem Destillationsapparat mit seinen Töpfen und Schläuchen hinüber geht.

Farkas wuchs in Debrecen im Osten Ungarns auf und zog mit 16 Jahren nach Deutschland, erst in den Köln-Bonner Raum, dann 1991 weiter nach Hamburg. Die studierte Slawistin, Germanistin und Philosophin vernetzt und verwebt sich zunehmend mit der Kultur ihrer Wahlheimat. Und das auf unterschiedlichsten Ebenen. Unter Jürgen Flimm war sie Regiehospitantin am Thalia. Über Christoph Schlingensiefs Projekt „120 Tage Mission Impossible“, bei dem Kulturschaffende mit Obdachlosen, Junkies und Prostituierten wirkten, drehte sie einen Dokumentarfilm.

„Mich hatte interessiert“, sagt Farkas, „ob da auf längere Sicht ein Dialog zustande kommt.“ Und auch wenn das Scheitern bei solchen Aktionen stets implizit scheint, so ist die Künstlerin doch der festen Überzeugung: „Das sollte man immer wieder probieren.“