In dem beeindruckenden Dokudrama „George“ wagt Götz George die schwierige Annäherung an seinen Vater

Es hat viel Überredungskunst gekostet, George für „George“ zu begeistern. Götz George wollte nichts über seinen Vater Heinrich drehen, er wollte sich nicht mit ihm messen, weil er ihn für einen überragenden Schauspieler hält, an den er nicht heranreicht. „Mein Respekt vor dem Vater ist groß, da kann man auch Versagensängste kriegen“, bekannte er noch 2010 in einem Interview. Dabei hat der 74-Jährige in den vergangenen 50 Jahren alles getan, um selbst zu einem überragenden Darsteller zu werden. Götz George hat schwierigste Rollen übernommen wie den KZ-Kommandanten Rudolf Höß in Theodor Kottulas „Aus einem deutschen Leben“, er hat den Nazi-Schlächter Mengele und den Serienmörder Fritz Haarmann gespielt. Und er hat mit dem „Tatort“-Kommissar Horst Schimanski eine Figur kreiert, die sich in den 80er-Jahren verselbstständig hatte und hinter der Götz George kaum noch wahrgenommen wurde.

Aber es geht in „George“ nicht um ein Kräftemessen zwischen zwei Vollblutschauspielern, es geht um die schwierige Annäherung an einen Vater, der früh gestorben ist und das Stigma des Nazi-Kollaborateurs trug. „George“ dreht sich um die Schuld, die Heinrich George während der Hitlerzeit auf sich geladen hat und um die allgemeine Frage, wie weit ein Künstler sich mit einem Unrechtsregime einlassen darf. Der Sohn nimmt den Vater in Schutz: „Er hatte das Unglück, in eine Zeit geworfen zu werden, in der nicht nur sein großes Können gefragt war; er musste dem Kompromiss den Vorrang einräumen. Seine Kunst wurde ausgestellt, und er musste sich ausstellen lassen. Er wurde benutzt und er ließ sich benutzen“, sagt Götz George. Im Alter von nur 52 Jahren starb Heinrich George am 25. September 1946 in sowjetischer Haft im ehemaligen KZ Buchenwald an Entkräftung. Die russischen Besatzungstruppen hatten ihn als Repräsentanten nationalsozialistischer Kulturpolitik verhaftet und wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit angeklagt.

„George“ zeigt nur Heinrichs letzte Lebensphase zwischen 1933 und seinem Tod. Zwölf Jahre lang hat Regisseur und Drehbuchautor Joachim A. Lang dieses Projekt recherchiert und dafür auf das Privatarchiv der Familie George zurückgreifen können, aber auch deutsche, skandinavische, amerikanische und russische Quellen benutzt. Das Konzept seines Dokudramas basiert auf der Verschmelzung von historischem Material, nachgestellten Szenen, in denen Götz in die Rolle von Heinrich George schlüpft, Interviews mit Zeitzeugen sowie Kommentaren von Götz und seinem älteren Bruder Jan. Sie werden zum Beispiel beim Besuch ihres Elternhauses und des Lagers Hohenschönhausen gezeigt. Hier hat Götz George seinen Vater Ende 1945 zum letzten Mal gesehen – als Sechsjähriger. Lang überblendet historische Filmszenen mit neuen Aufnahmen und hebt so Zeitebenen auf.

Götz George spielt seinen Vater so, wie er ihn in Erinnerung hatte: als jovialen, großherzigen und schulterklopfenden Koloss, aber nicht als Mittäter. Anfangs macht er sich lustig über den an die Macht gekommenen Hitler. Er nennt ihn einen „kleinen Schwadronneur“ und sagt zu seinen Malerfreunden Otto Dix und Max Backmann: „Der Spuk ist bald wieder weg. Alles Pipifax.“ Heinrich George legt noch eine gehörige Naivität an den Tag, als er 1933 für den Propagandafilm „Hitlerjunge Quex“ verpflichtet wird. „Scheiß Film“, sagt er, „aber der Laden muss laufen“ und schließt ein entschuldigendes Lachen an. Spätestens als ihm Propagandaminister Goebbels die Intendanz des Schillertheaters in Berlin überträgt, hat George bewusst den Pakt mit dem Teufel geschlossen. Aus einem ehemaligen Kommunisten ist ein opportunistischer Mitläufer der Nazis geworden. Gegen Ende des Krieges spielt Heinrich George die Hauptrolle in dem Durchhaltefilm „Kolberg“ und setzt sich öffentlich für Hitler und seine Parole vom „Endsieg“ ein.

„Der Film bietet die Möglichkeit, für meinen zu Unrecht beschuldigten Vater, der immer als NS-Darsteller hingestellt wurde, einen Freispruch zu erreichen“, so George 2010. Tatsächlich wurde Heinrich George 1998 von Russland offiziell rehabilitiert, die Widersprüche jedoch bleiben und werden gezeigt, vielleicht mit einem leicht verklärten Blick. Auf der einen Seite ist der geradezu besessene Schauspieler zu sehen, der seinen Einfluss bei Goebbels benutzt, einen jüdischen Kollegen wie Robert Müller an seinem Theater unterzubringen. Auf der anderen Seite wird ebenso deutlich, wie George sich von den Nazis instrumentalisieren ließ. Er war zweifellos ein Aushängeschild des Dritten Reiches, einer der während des Krieges durch besetzte Länder tourte, um vor den Nazi-Statthaltern und ihrer Verbündeten aufzutreten. Bei den Vernehmungen durch den sowjetischen Oberleutnant Bibler sagt er: „Ich bin kein Politiker, sondern Schauspieler“ und weist damit die Verantwortung für seine Rolle als Repräsentant des Regimes zurück. So sieht auch Götz George seinen Vater. Für ihn ist er nur der Künstler, der dem Theater verpflichtet war.

Deshalb zeigt Langs zweistündiges Doku-Drama ausführlich, wie Heinrich George im Lager mit anderen Gefangenen den „Postmeister“ von Alexander Puschkin auf Russisch und später Goethes „Faust“ inszeniert. Das eine Stück nimmt noch einmal einen der größten Erfolge seiner Karriere auf, das andere wirkt wie eine späte Reflektion seiner Verstrickung. Der Pakt mit dem Teufel kann nicht gut gehen, Heinrich George hat ihn mit dem Leben bezahlt.

Heinrich George hat immer versucht, mit den Besten seines Fachs zu arbeiten, der von Nico Hofmann („Unsere Mütter, Unsere Väter“) produzierte Fernsehfilm geht ebenfalls diesen Weg. Mit Muriel Baumeister als Georges Ehefrau Berta Drews, Martin Wuttke als Goebbels, Samuel Finzi als Sowjetoffizier Bibler sowie Burghart Klaussner, Thomas Thieme und Hanns Zischler standen einige der besten deutschen Theater- und Filmschauspieler für „George“ vor der Kamera. Und natürlich Götz George selber.

Nach Ende des für ihn bedeutenden Projektes wehrt er sich gegen die Behauptung, sein übermächtiger Vater sei eine Belastung für seine Karriere gewesen: „Mein Vater war Vorbild, Freund und künstlerischer Ansporn. Es war nie das so oft heraufbeschworene Damokles-Schwert, das über dem kleinen Götz hängt und ihn zu erschlagen droht.“

„George“ zeigt wieder einmal die enorme schauspielerische Kraft von Götz George, eine Reihe von Fragen über Heinrich Georges Rolle unter Hitlers Herrschaft bleiben jedoch offen. Vielleicht können sie nicht beantwortet werden — vom Sohn nicht, weil er emotional zu dicht am Vater dran ist, von den Autoren nicht, weil es kaum noch Zeitzeugen gibt. Der völlige Freispruch ist Götz George nicht gelungen, dafür war sein Vater eine zu widersprüchliche Person.

„George“, Montag, 22.7., 20.15 Uhr, Arte; Mittwoch, 24.7., 21.45 Uhr, ARD