Nach dem Coup der Hamburger Behörde: Die Szene sieht im „Kunstbeutelträger“, der das bisherige System auf den Kopf stellt, große Chancen. Erfolg hänge davon ab, wie ernst der „Beutelträger“ seine Rolle nehme.

Hamburg. Marc Lüders findet es „unbedingt begrüßenswert“, wenn Geld zusätzlich in den Kunstbetrieb fließt. Der Künstler meint die 40.000 Euro, die der „Kunstbeutelträger“ ab sofort in der Hamburger Szene verteilt. Nach den Vorstellungen der Kulturbehörde soll der anonyme Kurator bis zum Jahresende nach eigenem Gutdünken diesen Betrag an Künstlerinnen und Künstler aus der bildenden Kunst vergeben.

Lüders arbeitet an der Schnittstelle zwischen Malerei und Fotografie, seine Arbeiten hängen auch in der Galerie der Gegenwart. Er stellt international in Galerien aus und sagt: „Wenn ein privater Kurator die Aufgabe übernimmt, stellt sich natürlich immer die Frage, nach welchen Kriterien er auswählt. Jeder hat ja seinen persönlichen Kreis. Es wäre wichtig, dass er auch die überregionale Bedeutung im Blick hat.“ András Siebold, Leiter des Internationalen Sommerfestivals auf Kampnagel, das unter anderem Projekte der bildenden Kunst im Programm hat: „Es hängt natürlich davon ab, wer dieser ‚Anonymus‘ ist. Aber ich mag solche Spiele. Gerade wenn es um Geld geht, ist es gut, das eigene System zu unterwandern und infrage zu stellen. Erst mal schafft man damit eine Möglichkeit, dass das Geld an andere Künstler geht, die es sonst nicht bekommen hätten. Man kann das Ergebnis ja diskutieren.“

Letztlich hängt alles von der Persönlichkeit des „Beutelträgers“ ab

Der Hamburger Künstler Till Gerhard, der unter anderem an Gruppenausstellungen in der Kunsthalle teilgenommen hat und seine Kunst von Berlin bis New York zeigt, findet die Idee, neue Wege einer Kunstförderung auszuprobieren, auf jeden Fall einen Versuch wert. „Das Konzept scheint mir schlüssig, und die Stärke des Ganzen ist die Anonymität des Kunstbeutelträgers. Vielleicht ist es möglich, damit die bestehenden, oft langweiligen Strukturen in der Kunstszene zu umschiffen und ungewöhnlichere Projekte zu unterstützen.“ Letztendlich hänge ein Erfolg davon ab, wie ernst der „Beutelträger“ seine Rolle nehme.

Der Hamburger Kunstsammler, Mäzen und Rechtsanwalt Hans-Jochen Waitz, der die vier Künstlerhäuser auf der Fleetinsel vermietet, sagt: „Die Idee, 40.000 Euro an junge Künstler zu geben, gefällt mir. Die Form, einen Tester durch die Lande zu schicken, klingt interessant. Viele junge Künstler gehen ja weiterhin nach Berlin, weil sie dort bessere Bedingungen vorfinden. Wenn man mit unkonventionellen Mitteln in Hamburg von sich reden macht, finde ich das gut.“

Hans-Christian Dany, Autor und Künstler, verweist auf die gestiegene Zahl der Wettbewerber – „der Kunstmarkt ist auch in Hamburg gewachsen“. Ihm hätte ein noch viel radikaleres Verfahren vorgeschwebt: einfach den gesamten Kunstetat der Hamburger Kulturbehörde zusammenzulegen. Also auch die Gelder für Kunsthalle und Museum für Kunst und Gewerbe zum Beispiel. „40.000 Euro, damit spielt man nur ein symbolisches Spiel“, sagt Dany, der durch den Hamburger Kunst-Anonymus trotzdem den Verwaltungsapparat, der üblicherweise über die Vergabe der Mittel entscheidet, infrage gestellt sieht. Die Kunstszene sei langweilig geworden, „durch das Projekt ändert sich vielleicht etwas“.

Er sieht die Bewerbungsrituale kritisch: „Die Antragsprosa zielt immer darauf ab, möglichst etwas ganz Bestimmtes zu versprechen. Dann bekommt man am ehesten eine Förderung. Ich finde es komisch, schon vorher zu sagen, wo ich als Künstler hinwill.“

Der „Kunstbeutelträger“ kann, aber er muss sich nach getaner Arbeit nicht zu erkennen geben. Fliegt sein Inkognito jedoch auf, endet das Amt mit sofortiger Wirkung, und ein neuer Kunstbeutelträger wird per Losverfahren aus dem Kreis der Empfehlungen bestimmt. Für seine Dienste erhält er einmalig 2500 Euro Aufwandsentschädigung, die sich, sollte er auffliegen, prozentual an der Höhe der bereits verteilten Summe bemisst. Nana Petzet vom Komitee des „Kunstbeutels“: „Hier erhalten Künstler einen Geldsegen, den sie nicht erwartet haben.“ Es scheint, als sei die Kunstszene in Hamburg in nächster Zeit für ein paar Überraschungen gut. Und die schaden ihr gewiss nicht.