Hamburg möchte Kulturmetropole sein, schwächelt aber seit Jahren, wenn es um die Entwicklung großer neuer Festivalkonzepte geht.

Hamburg. Ein knappes Jahr noch, dann jährt sich der zehnte Geburtstag einer Vision, die kleinlaut verendete. 2004 war es, als der damalige Thalia-Intendant Ulrich Khuon forderte: "Es darf alles sein, nur nicht popelig." Khuon sprach von der Idee einer kulturspartenübergreifenden Triennale, die Hamburgs Angebot mindestens national wahrnehmbar erweitern sollte. "In einer Stadt mit den meisten Mäzenen und Millionären müsste es möglich sein", sekundierte Ex-Kulturstaatsminister Michael Naumann, der aus Berlin anderes gewohnt war. Der erste pfeffersackkompatible Satz des Triennale-Konzepts, das sogar den als hochkulturfern bekannten CDU-Bürgermeister Ole von Beust ins Boot der prominent besetzten Planungsgruppe brachte, hieß: "Kultur ist Reichtum". Tja. Und Papier ist geduldig.

Mittlerweile schreiben wir 2013 und obwohl sich einiges geändert hat, hat sich auf der Großfestival-Baustelle so gut wie nichts getan.

Die Triennale ist als abschreckendes Beispiel vollmundigen Scheiterns ebenso tot und vergessen wie das skurrile Vorgänger-Konzept eines Hansefestivals, gegen das sie ins Rennen geschickt wurde. Etliche Mäzene dürften verärgert sein, weil ihre noblen Gaben in der Elbphilharmonie-Baustelle so klanglos verschwanden wie Flugzeuge im Bermuda-Dreieck. Andere würden deswegen wohl einfach weghören, falls die Stadt sie jetzt um weitere Unterstützung für Notleidendes bäte.

Kultursenatorin Barbara Kisseler betonte vor einigen Monaten, sie wolle nun endlich demnächst ein großes Musikfestival - und ihre Behörde verteilt nun die ihr vom Senat zugestandenen Teileinnahmen aus der nicht unumstrittenen "Kultur- und Tourismustaxe" portionsweise, an diesen und jenen. Vielerorts ist das dringend nötig und generell sehr gut gemeint. Es verhindert aber angesichts der angespannten Haushaltslage jeglichen Innovationsspielraum im Großformat. Über 40 Empfänger, vom Reeperbahn Festival bis zum Lehmbau-Fest stehen auf dieser Liste, bei der in Einzelfällen die Linke-Tasche-rechte-Tasche-Methode praktiziert wird, um sich das Verfahren und die Misere schönzurechnen.

Hiesige Institutionen haben in Eigeninitiative hier und da Gutes etabliert: das Thalia die Lessingtage beispielsweis oder Kampnagel das Sommerfestival. Das Harbour Front Literaturfestival hat sein Profil und sein Publikum schnell gefunden. Elbjazz rückte Jazz in vielen Spielarten in den Fokus. Das Reeperbahn Festival ist inzwischen ein voller Erfolg. Das privat finanzierte Theaterfestival ist trotz des lokalpatriotischen Vornamens "Hamburger" eine opulente Leistungsschau auswärtiger Häuser mit eingekauften Gastspielen. Aber es ist auch, zumindest im klassischen Sinne des Wortes, kein Festival, eine Veranstaltungsreihe also, die sich durch Eigenproduktionen dramaturgisch definiert und von örtlich Vorhandenem abhebt.

Unterdessen ist die örtliche Szene, einer bewährten Tradition folgend, noch eher gespalten: Manche bevorzugen das kleinformatigere Pflegen dekorativer Pflänzchen im eigenen Vorgarten. Andere setzen lieber auf Synergien wie jene der Kunsthalle, die sich mit dem Thalia zusammentat oder neuerdings Konzerte veranstaltet, um die Interessenten-Schnittmenge zwischen Kunst- und Musikliebhabern stärker an sich zu binden. Aber wer wie so viele Häuser und Ensembles gegen strukturell bedingten Geldmangel bestehen muss, dem fehlt oft die Energie, auch noch Neues zu schaffen.

Im Herbst startet Karin Beier aus Köln in ihre Intendanz im Schauspielhaus. Für die Staatsopern-Chefetage steht der Bald-Ex-Münchner Kent Nagano in den Startlöchern, dessen Wunschliste an die Kulturbehörde nicht ganz kurz sein dürfte. Schon weil er mit den Philharmonikern länger als gedacht auf den Einzug in die Elbphilharmonie warten muss, der auch noch im Windschatten der NDR-Sinfoniker sein wird, die dort Residenzstatus haben. Interessant ist in diesem Zusammenhang auch das Umland: Wie positioniert sich das Schleswig-Holstein Musik Festival unter seinem neuen Chef angesichts der Elbphilharmonie im benachbarten Bundesland, was machen das Musikfest in Bremen sowie die Festivals in Mecklenburg-Vorpommern und Niedersachsen? Einige Konkurrenten dämmern, aber selbst sie schlafen nicht.

Eine treibende Kraft hinter den hiesigen Kulissen ist NDR-Chefdirigent Thomas Hengelbrock. Er und seine Frau, die Schauspielerin Johanna Wokalek, sind gut in der Opern- und Theaterszene vernetzt, weit über die engen intellektuellen Grenzen Hamburgs hinaus. Hengelbrock hat wenig Lust, sich bis zur Elbphilharmonie-Eröffnung auf das Abarbeiten von Abo-Konzerten zu beschränken. Eine weitere Weichenstellerin könnte Beier werden. Spannend ist auch, wie sich das Sommerfestival unter dem neuen Leiter András Siebold entwickelt.

An seiner Positionierung in diesem noch sehr grobmaschigen Beziehungsgeflecht arbeitet Laeiszhallen-Chef Christoph Lieben-Seutter. Er steht unter Zugzwang wie kein anderer Hamburger Intendant, da das Image seiner zukünftigen Prestige-Spielstätte für viele grottentief im Keller ist, während die Kosten, Zielscheibe bundesweiten Spotts, in die Höhe schossen. Lieben-Seutter bestätigte Planungen zu einer neuen Festival-Idee, die für Mai angedacht wird.

Mal fällt in Gerüchten der arg voluminöse Name "Hamburg Festival". Dann wieder nicht. Mal wird von "Verführung" als Leitmotiv orakelt. Dann wieder nicht. Verbindlich und vor allem durchfinanziert scheint jedenfalls noch sehr wenig zu sein. Auch der Kreis der beteiligten Mit-Nachdenker ist bislang eher überschaubar, denn in anderen großen Institutionen, ohne die es nicht ginge, war die Überraschung über solche Absichten groß. Erst recht, da angeblich schon 2014 begonnen werden soll. Was eigentlich nur heißen kann, dass dann, wieder einmal, nichts grundsätzlich Neues und Großes passiert. Denn um sich ernsthaft in eine Liga mit den Wiener oder den Berliner Festspielen, Salzburg, den Festivals von Amsterdam, Avignon oder Edinburgh zu begeben, bräuchte man entschieden längere Planungsvorläufe, programmatisch ebenso wie für die Einbindung der Spielstätten in bestehende Terminpläne. Vor allem bräuchte man einen Riesenberg Geld, das ein eigener Intendant eigenständig ausgeben darf. Und langfristige Planungssicherheit, größer als politische Rückendeckung für jeweils eine Legislaturperiode oder das Wohlwollen einer einzigen Stiftung, das - siehe das Aus für Metzmachers "Musikfest" - kommen und gehen kann. Sonst wäre man im Teufelskreis, in dem auch die Kulturtaxe gefangen ist.

Also doch alles wieder wie gehabt an der Elbe? Also doch die bewährte Methode eines bescheidenen Testballons, der nur tief kreiseln darf, bevor er deswegen zwangsläufig bruchlandet? Anschubfinanzierung nach der Devise "Zu viel zum Sterben, zu wenig zum Leben"? Lauwarme Luft, sonst nichts? Kluges Standort-Marketing mit den Mitteln der Kultur sähe anders aus.

Naumanns These über den kulturellen Kontostand jedoch gilt auch heute noch. Wenn eine deutsche Metropole in ihrem Bürgertum über die finanziellen Mittel und in ihrer Historie über das Selbstbewusstsein verfügt, theoretisch groß zu planen, dann Hamburg. Bei der praktischen Umsetzung allerdings, das wurde genauso oft gezeigt, ist noch viel Luft nach oben. Jede Menge Platz für Überflieger. Wer wirklich Metropole sein will, muss dem Rest der Welt Eigenes bieten. Alles andere gibt's woanders.