The XX ist mit dem neuen Album „Coexist” die Band zur Krise. In Hamburg macht sie am 28. November in der Sporthalle Station.

Es ist ja die ureigene Aufgabe des Kulturschreibers, den Zeitgeist zu begutachten und in den Künsten gewisse Spiegelungen jenes schwer zu fassenden Fluidums zu finden. Anders ausgedrückt: Ein jedes ist ein Produkt seiner Zeit. Menschen, Dinge, alles halt. In den von uns aus der Ferne gerne verklärten 60er-Jahren zum Beispiel war das Leben trotz unschöner Dinge wie des Vietnamkrieges ein ewiger Kindergeburtstag: viel kiffen, viel Liebe machen, viel tanzen, vielen Autoritäten ans Bein pinkeln. Viel surfen! Deshalb konnten die Beach Boys, die Beatles und die Byrds natürlich nur diesem Jahrzehnt seinen Soundtrack geben. Jubelchöre trotz kalten Krieges: Das war Ausdruck des gesellschaftlichen Aufbruchs. Man durfte und konnte und wollte plötzlich so viel. Toll.

Heute darf man jetzt mal ganz grundsätzlich immer noch alles - auch Angst haben. Vor dem sozialen Abrutschen und Verlusten monetärer Art, das gehört zur mentalen Grundausstattung dieses Zeitalters. Is' ja Krise, nicht wahr? Und zwar überall und ständig. Gut, sie ist immer noch nicht so richtig angekommen hierzulande und frisst sich beharrlich durch die europäischen Ränder; aber Angst ist doch, wir wissen es, eine durch und durch deutsche Angelegenheit. Es ist also kein Wunder, dass in unseren Gefilden der düsterromantische Sound der britischen Band The XX ungemein populär ist. The XX, das ist alleine als Bandname mal schon ein grandioser Akt der Verweigerung. Für den Platzhalter XX kann man ganz viel einsetzen. Allerdings wäre jede kreative Findungskommission verschwendet, denn The XX ist eine vollumfänglich minimalistische Angelegenheit. Das betrifft nicht nur die Namensgebung, sondern auch die Songs.

Die Kompositionen sind schlanker als jede Laufstegschönheit, und da wären wir schon beim Thema: der Schönheit eines The-XX-Songs. Das muss einfach so sein: Wenn wir in diesen schweren Zeiten ohne Adrenalinschübe und Glückshormonausschüttungen schon ruhigeren Klängen mit deutlich melancholisch gestimmter Anmutung unser Gehör schenken, dann müssen diese der Traurigkeit wenigstens eine überwältigende Form geben.

Das neue, das zweite Album der englischen Band heißt "Coexist", es folgt auf das wunderbare Debüt "XX", mit dem Jamie XX, Romy Madley Croft und Oliver Sim vor drei Jahren ihren Weg in die Charts fanden.

Es ist, das sei an dieser Stelle nicht verschwiegen, hinsichtlich des einzelnen Songs nicht mehr so konsistent wie der Vorgänger. Aber der zurückgenommene, introvertierte Sound hat sich nicht verändert: Er wird von dem Kontrast der kühlen Klangflächen und dem warmen, vom R&B und Soul inspirierten Gesang in Spannung versetzt.

Klar, es ist eine wohltemperierte Traurigkeit, die sich in Songs wie "Angels" äußert. The XX, das ist auch die Lieblingsband der Studenten und Privilegierten, die sich zwar von Praktikum zu Praktikum hangeln mögen, am Ende aber doch alle irgendeinen Job bekommen. Komplette Arbeitslosigkeit ist unter Akademikern ja eher selten anzutreffen. Und so sitzt man dann in der U-Bahn, den Job in der Agentur hat man freudlos erledigt, und fährt nach Hause. Auf dem iPod läuft ein sanft und synthetisch zusammengebautes Lied namens "Try", und am nächsten Tag versucht man dann auf ein Neues, glücklich zu sein. Was nicht heißt, dass das Leben einen bedrückt.

Nick Hornby hat sich einst in seinem kultisch verehrten Buch "High Fidelity" gefragt, was zuerst da war. Die traurigen Songs oder die traurigen Menschen. Das ist eine sehr berechtigte Frage, aber sie wird nicht letztgültig beantwortet werden können. Es ist allerdings kein schlechtes Zeichen, dass uns das so seltsam ermattete 21. Jahrhundert, das doch soeben erst den Kinderschuhen entwachsen ist, eine Band wie The XX schenkt. Am Ende darf man deren Popentwurf vielleicht auch als noble Form der urbanen Tristesse bezeichnen. "XX" und "Coexist" sind auf eine Art Vertonungen der U-Bahnhöfe unserer Städte mit gekachelten Wänden und Neonleuchten.

Jamie XX (bürgerlicher Name: Jamie Smith) ist durch den Erfolg mit seiner Band zu einem der angesagtesten Produzenten geworden, der Remixe für Adele, Radiohead und Four Tet machte. Er taugt so wenig wie seine introvertierten Nebenleute zum Star. Das ist ganz schön so, denn die wenig aufdringliche Musik von The XX spricht interessanterweise für sich selbst. Bei "Wetten, dass ..?" könnte man sich das Trio jedenfalls nicht vorstellen. Seinen Platz in dieser Moll-Gegenwart hat es aber ganz sicher - wobei, so platt es auch klingt, der weitere Weg dieser bisher so makellosen Band ziemlich schwer vorherzusagen sein wird, legt man dieser Annahme die musikalische Neugierde ihrer Mitglieder zugrunde. Oder gerade nicht? Könnte ja auch sein, dass sich XX, Croft und Sim in ihrem wohlgefälligen, überzeugt saft- und kraftlosen Sadness -Habitus einrichten: als smarte Existenzialisten des 21. Jahrhunderts mit der Lizenz zur Verdunkelung der Stimmung.

The XX Mi 28.11., 19.30, Sporthalle (U Lattenkamp), Krochmannstraße 55, Tickets 39,-; www.thexx.info