Wenige Wochen vor der Weltpremiere des “Rocky“-Musicals bringt Franz Wittenbrink die Revue “Ricky“ im St.-Pauli-Theater heraus.

St.-Pauli-Theater. Solch ein Trainingstag kann ganz schön hart und lang sein, auch für den Chef im Ring. Franz Wittenbrink muss sich erst mal setzen. Im rustikalen Restaurant Schlachterbörse staunt er über die Probenfotos. Auf denen bearbeitet sein Schützling mit Boxhandschuhen an Haken hängende Rinderviertel. Diese Session auf dem Schlachthof-Gelände scheint sich gelohnt zu haben. Wittenbrink lächelt. Es müssen ja nicht immer die Straßen Philadelphias sein, auf denen Boxhelden wie "Rocky" groß werden. Im Falle von "Ricky" tut es auch mal ein Kühlraum oder die Veddel.

Von dort nämlich stammt "Ricky". Und noch bevor der große "Rocky" im gleichnamigen Musical Mitte November im Operettenhaus seine Uraufführung erlebt, fordert "Das Hamburger Original", von der Statur her allenfalls ein Mittelgewichtler, das global populäre Schwergewicht heraus. Heute ist im St.-Pauli-Theater Premiere für die Kiez-Revue. Wittenbrink und seine Darsteller-Staffel machen's möglich.

Eigentlich hatte Wittenbrink, der kürzlich mit "Aida" im Schauspielhaus einen neuen Hit landete, seine gelungene Kiez-Trilogie aus den Liederabenden "Lust", "Nacht-Tankstelle" und "Ritze" ja abgeschlossen. Jedoch war der omnipotente Komponist ("Mein System ist 'Demokratur'") mit seinem K.o. nicht vollends zufrieden. Und so hat Wittenbrink die "Ritze", benannt nach der berühmt-berüchtigten Box-Kneipe an der Reeperbahn, fortgeschrieben. "Im Sommer habe ich mir das erste Mal den 'Rocky'-Film angesehen - und nicht verstanden, warum er solch ein Welterfolg wurde", erzählt Wittenbrink. Seitenhiebe ja. Tiefschläge nein.

So wird etwa aus Rocky Balboas schüchterner Freundin Adrian in der "Ritze" Adrienne Schultze (Victoria Fleer). Sie ist die spießige Tochter der Wirtin, geht zur Gelehrtenschule des Johanneums in Winterhude und hat ein Faible für Chemie. Der "The Elements"-Song passt da wie die Faust aufs Auge. Und weil nicht nur "Ricky" eines auf sie geworfen hat, sondern auch ein Vertreter für Gurkenhobel (Holger Dexne), braucht es keine Weltmeisterschaft, damit im Boxkeller die Fäuste fliegen

"Ich mache reines Musiktheater, nicht etwa Schauspiel mit Musik", sagt Wittenbrink. Die Lieder drücken die Beziehungen aus. Dafür hat der Chef mit seinem musikalischen Co-Trainer Matthias Stötzel mehr als 30 Songs ausgewählt und neu arrangiert, etwa ein Duett von Tom Waits und Bette Midler: "I Never Talk To Strangers".

"Ritze"-Kenner dürften außer der Kulisse mit der nach unten führenden Treppe weitere Wiederentdeckungen machen. Bevor "Ricky" überhaupt als Geldeintreiber für eine einschlägige Rockerbande Eindruck schinden kann, bringt ihm ein abgehalfterter Boxer erst mal ein paar Finessen bei. Den Trainer spielt Torsten Hammann, zuvor "Jochen der Rochen". Auch Susanne Jansen erhebt als Wirtin aus dem prallen Leben erneut ihre starke (Soul-)Stimme, und George Meyer-Goll darf - wie in allen Abenden der Kiez-Trilogie - als Paul Paulaner den Ex-Intellektuellen geben. Dazu kommt Rainer Piwek, ein neuer Schauspieler für gleich vier Rollen und Lieder.

Wittenbrink kann sich heute Abend vor vertrauter Kulisse zurücklehnen, er hat sein Möglichstes getan. Und Intendant Thomas Collien meint: ",Ricky' ist das ideale Stück für Musical-Hasser." Eine ironische Kampfansage Richtung "Rocky" wie sie zum Ballyhoo im Berufsboxen nicht besser passen könnte.

"Ricky - Ein Boxer aus St. Pauli" 30.10.-9.11., jew. 20.00, So 19.00, St.-Pauli-Theater (S Reeperbahn) Spielbudenplatz 30, Karten zu 16,80 bis 45,40 in allen HA-Ticketshops und unter der HA-Ticket-Hotline T. 30 30 98 98; www.st-pauli-theater.de