Am 25. Oktober feiert das Hamburger Hansa-Theater in der fünften Spielzeit Premiere. Ein Backstage-Blick ins Varieté.

Hamburg. "Hier ist nichts getackert, alles altes Handwerk", erzählt Heinrich Köhler. Unter seinem grauen Bürstenschnitt hat sich der 52-Jährige etwas Jungenhaftes bewahrt. Das Theater, es hält lebendig. Ein Ort, der Menschen mit einem Leuchten auflädt. Und der sie Sätze sagen lässt, die wie aus einem Märchen klingen. Sätze wie: "Ich passe auf das Haus auf."

Seit 26 Jahren kümmert sich Köhler um die Ausstattung im Hansa-Theater in St. Georg. Liebevoll, als wären es seine Kinder, spricht er etwa von den Vorhängen. "Alle mit fußbetriebener Nähmaschine genäht", wie er betont. Aus Damast, Seide und echtem Samt ist das Material, das die Bühne markiert. Auch jetzt, wenn das 118 Jahre alte Etablissement am Steindamm mit seiner neuen Varieté-Show in die fünfte Saison geht, richtet sich auf diese wenigen Quadratmeter im Rampenlicht erneut alles: die Energie der Künstler, die Blicke der Zuschauer, die Hoffnung auf die Magie eines Abends. Doch die Vorhänge verbergen wie am Montagabend bei der ersten Generalprobe mit Publikum ein zweites Schauspiel. Ein Stück Stoff trennt die Illusion von der Wirklichkeit. Hinter der Bühne, da liegt das Leben. Und dieses Leben, das lässt sich zwar ansatzweise planen. Aber letztlich passiert eben doch vieles gleichzeitig.

Conférencier Matthias Brodowy, ein Show-Hüne im sehr bunt gestreiften Anzug, tigert kurz vor seinem ersten Auftritt in der Nische am Bühnenaufgang hin und her. Es ist eng. Taue, Kabel, Patina. Der alte Holzfußboden knarzt unter seinen weinroten Lederschuhen. Swing erklingt. "Jetzt fühle ich mich richtig zu Hause", sagt er, wippt und schnippt. Eingrooven für den Schritt nach draußen. Inspizient Hartmut Schrewe, der wie die restlichen Bühnenarbeiter unauffälliges Schwarz trägt, legt Brodowy die Hand auf die Schulter, lupft den Vorhang leicht und schiebt ihn im rechten Moment ins Helle. Die im Dunkeln sieht man nicht.

Die Menge lacht über die Aufwärmzoten des Moderators. Flugs folgt Erik Ivarsson, der mit seinem Einrad Seil springt. Unterdessen zupft Zaida von dem spanischen Akrobatiktrio The Liazeed auf dem Flur vor der Bühnenrampe ihre Netzstrumpfhose zurecht und tauscht ihre Turnschlappen gegen glitzernde High Heels. Ihr Augen-Make-up sieht aus der Nähe aus wie aus einem Science-Fiction-Film. Dezenz ist Schwäche im Unterhaltungsgeschäft. Und Zaida muss bis in die letzte Reihe strahlen. Mit schnellem Zungenschlag plaudert sie mit dem Italiener Marcello Giurintano, der sehr stolz und sehr selbstverständlich offenes Hemd zur blanken Brust trägt.

Zaida lacht, die Perlen ihrer Rastalocken klackern aneinander. Marcellos Schwester Anna dehnt sich unterdessen auf einer Yogamatte und lässt eine lange Reihe flotter Sit-ups folgen. Wer die Schwerkraft Lügen strafen will, wie die Geschwister in ihrer Rollschuhnummer, muss sich ausführlich vorbereiten. Viel Arbeit für fünf Minuten Ruhm.

Zunächst aber betrachtet Marcello durch einen Spalt im Vorhang, wie The Liazeed auf der Bühne Handstände auf-, an- und übereinander vollführen. Ein wenig rotes Scheinwerferlicht fällt auf sein Gesicht, auf seinen ruhigen Blick. Ein andächtiger Moment, aus dem die Bewunderung dessen spricht, der weiß, wie viel Kraft hinter der Leichtfüßigkeit steckt. Das Varieté wäre jedoch nicht das Varieté, wenn es nur aus Disziplin bestünde. Zur dramatischen Auftrittsmusik der Liazeed nutzt Tellerjongleur David Buhlet die Backstage-Kulisse, um mit schlackernden Händen und aufgerissenen Augen eine Frankenstein-Parodie hinzulegen. Ohnehin wird viel gelacht, auch jenseits des angeknipsten Showlächelns.

Bühnenarbeiterin Claudia Staus kichert so leise wie möglich, als der australische Zauberer Simon Coronel seine Deutschkenntnisse testet ("Isch bin ein Flasch' Wasser"). Dann muss sie weiter ihre Produktionsnotizen ergänzen, auf denen steht, wie der Ablauf noch optimiert werden kann. Mit Widrigkeiten hat etwa Meistertaschendieb Charly Borra zu kämpfen. Auf der Bühne zieht es aus der Hansa-Küche so stark herüber, dass seine kunstvollen Rauchkringel nicht so recht gelingen wollen. Vorab, im Flur zwischen Garderoben und Aufgang, bläst er jedoch formschönste Kreise aus dem grauem Nichts in die Luft. Dabei guckt er so kokett wie eine Filmdiva, die im Körper eines älteren Herrn lebt. Maxim Kriger, ein junger Artist, der später atemberaubend auf Rollen balancieren wird, macht neben dem Mann im Frack einarmige Handstände. Zwei Generationen. Ein Unterschied wie Tag und Nacht. Aber sie teilen eine Leidenschaft. Die für die Bühne, für Licht und Applaus, da draußen.

Hansa-Theater Varieté bis 24.2.2013 (tägl. außer Mo 20.00, Sa auch 16.00, So 15.00 + 19.00), Steindamm 17 (Hbf.), Karten: 24,90 bis 69,90 in allen Abendblatt-Ticketshops & über die Hotline 30 30 98 98; www.hansa-theater.de

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