Das anregende Dokumentar-Theater “Cityswap“ führt seine Besucher im Rahmen des Festivals “150% Hamburg“ in fremde Wohnungen.

Hamburg. St. Pauli. Hier lebt der Fotograf Jens Beekmann. 14 Teilnehmer des Theaterparcours "Cityswap" der freien Formation Die Azubis hocken in seinem Wohnzimmer. Den Hausherrn bekommen sie zunächst nur auf einer Leinwand zu sehen. Ausladenden Schrittes bahnt er sich seinen Weg vom Supermarkt über den erhitzten Kiez. Vorbei an röhrenden Harley-Fahrern, alkoholseligen Junggesellenabschieden und noch trunkeneren Fanmeilenbesuchern.

Plötzlich steht er in der Tür. Bietet Bier an. Bald sprudelt es aus ihm heraus. Wie wohnlich St. Pauli doch unter der Woche sei, wie der Kiez sein Gesicht verliere vor lauter Touristen, hässlichen Glaspalästen samt ihren betuchten Bewohnern. Den soziologischen Wandel beklagt auch die Tochter eines früheren Bernstorffstraßenfest-Organisators, der angesichts zunehmender Kommerzialisierung das Handtuch warf. Vor den in ihrer Studentenbude drängelnden Besuchern kramt sie Erinnerungsstücke hervor und stimmt das alte St.-Pauli-Lied "Freibeuter Freifahrt" an.

Mit ihrem gut dreistündigen, auf Sinneseindrücken basierenden Rundgang innerhalb des Festivals "150% Hamburg" fügen Die Azubis dem gegenwärtigen Dokumentar-Theater eine charmante Fußnote hinzu, die die Gentrifizierungsdebatte mit authentischen Begegnungen anreichert. Während die Besucher hinter "Azubi" Christopher Weiß von Hausbesuch zu Hausbesuch schlendern, vorbei an Hundeausführern, Szenegängern oder in Hauseingängen knutschenden Pärchen lauschen sie per Kopfhörer einer resoluten Kioskbesitzerin oder dem Ladeninhaber, der die "Übernahme" des Viertels durch die neu Hinzugezogenen beklagt.

Szenenwechsel. Kontrastprogramm. Nach kurzer Fährenüberfahrt stehen die Teilnehmer vor den polierten Fassaden der geometrisch angeordneten HafenCity, lauschen Bewohnern, die erstaunlich euphorisch beschreiben, dass sie ihren Stadtteil mitentwickelt haben, und erfahren, dass es seit einem Jahr endlich einen Supermarkt, aber noch immer keinen Gemüsehändler gibt. Es beschleicht einen das ungute Gefühl, dass St. Pauli immer mehr zur HafenCity wird, während die Bewohner der HafenCity um jeden Zipfel Normalität und Gemütlichkeit ringen. So sieht sie aus, die schöne neue Urbanität. Man hat es irgendwie geahnt. Aber das ist alles andere als ein Trost.