Kleist-Lustspiel “Der zerbrochne Krug“ im Thalia-Theater überzeugt mit wunderbaren Schauspielern. Trotz vieler Bühnentechnik.

Hamburg. Das Gesetz ist eine wacklige Angelegenheit. Bastians Kraft setzt das in seiner betont visuellen und unterhaltsamen Thalia-Inszenierung des Kleist-Lustspiels "Der zerbrochne Krug" klar ins Bild. Richter und Kläger befinden sich bei ihrem Kampf um Recht und Wahrheit auf ziemlich unsicherem Boden. Sie hängen isoliert in Peter Baurs Bühneninstallation aus schwankenden Metallkästen und zuweilen buchstäblich in der Luft. Die Kletterpartie im ersten Teil des "Krugs" geht jedoch streckenweise auf Kosten der direkten Konfrontation der Figuren, die sich zunächst über Live-Video in Großaufnahme abspielt. Doch füllen die Schauspieler Bild und Schattenriss der Charaktere rasch mit prallem Leben und verleihen ihnen scharfe Kontur - allen voran Philipp Hochmair als Richter Adam.

Doch nicht der Sünder, sondern die Unschuld hat das erste Wort und die erste eindrucksvolle Szene. Eve vertraut in einem großen Monolog den Zuschauern die Vorgeschichte und ihr Leid an. Richter Adam setzte sie mit einer fingierten Einberufung unter Druck, die ihren Verlobten Ruprecht (Julian Greis) in den Krieg und sicheren Tod schickt. Um ihn und ihre Liebe zu retten, sollte Eve Adam zu Willen sein. Birte Schnöink zeichnet in ihrer berührenden Klage die ehrlich und vertrauensvoll Liebende. Aus jedem ihrer Sätze spricht Eves Angst und leuchtet deren reine Seele. Endlich ein großer Auftritt für die Schauspielerin. Ihre Eve bleibt jedoch nicht das Opfer einer Intrige, Schnöink vermittelt deren innere Kraft und starken Willen, zu ihren Gedanken und Gefühlen zu stehen und sich aus lauterem Gerechtigkeitssinn gegen Lüge und Unrecht zu wehren.

Aus Eves Perspektive rollt sich der Prozess auf, in dem der Richter Adam unter den Augen der unvermutet auftauchenden Obrigkeit in Gestalt von Gerichtsrätin Walter über sich selbst zu Gericht sitzen muss und mit Drohung, Lüge und Verwirrspiel zu verhindern sucht, dass die Wahrheit ans Licht kommt. Kraft nimmt Kleist beim Wort, betont mit dem verlängerten Blick der Videokamera die optische Täuschung und den Widerspruch zwischen Sehen und Sprechen in dessen meisterlicher Sprach-Komposition des redenden Verschweigens oder der manischen Wortklauberei.

Die Scherben ihres Krugs in einer Schachtel, dann beweisführend in erhobener Faust treibt Sandra Flubachers Marthe Rull mit ihren peniblen Bildbeschreibungen die Richter zur Weißglut. Nur Schreiber Licht (ein diensteifriger Schleicher: Tilo Werner) führt seelenruhig und pedantisch mit quietschendem Filzstift als akustisch komisch pointierter Kontrapunkt zu Rulls Tiraden sein Protokoll.

Ebenso ist es ein Vergnügen, Philipp Hochmair zuzusehen. Sein im Lügennetz verzweifelt strampelnder Adam quasselt sich um Kopf und Kragen, verstrickt und verrät sich zugleich in erfundenen Geschichten über seine Wunden und die verlorene Perücke. Diesem wüst mit blutiger Nase und Bandagen zugerichteten Kerl steckt der Teufel im Leib. Er ist Eve ganz offensichtlich verfallen, zeigt nackte Haut, fläzt sich breitbeinig und obszön züngelnd vor ihren Augen. Hochmair zeichnet Adam als Opfer seiner verbohrten Sicht der Dinge, die Bastian Kraft zu Beginn bildlich in den "Käfigen" für die Figuren fasst, sie als Gefangene ihres Begehrens, Denkens und Wollens ausstellt. Im Fortgang der Verhandlung löst der Regisseur das Tableau auf, Bühnenarbeiter manövrieren die rollenden Kästen auf den Boden und das Spiel verlegt sich an die Rampe zum Disput auf der Suche nach der Wahrheit.

Adam rückt Gerichtsrätin Walter, die sein abgekartetes Spiel durchschaut, zu Leibe, um sie aus dem Konzept zu bringen. Er bedrängt sie körperlich, traktiert sie mit Käse und Wein. Doch Sabine Orléans bewahrt sogar auf dem wippenden Podium, Symbol für die "Waage" der blinden Justitia, kühlen Kopf und lässt sich beim Verhör nicht aus dem Gleichgewicht bringen. Sie sprang für die erkrankte Karin Neuhäuser ein und spielt souverän die Trümpfe von Walters Herrschaftswissen und ihrer persönlichen Komik aus, wenn sie sich über Marthe Rulls "Krug"-Lamento echauffiert.

Bastian Kraft, der hier durch seine fantasievolle "Orlando"-Inszenierung in der Gaußstraße auffiel, aber auch in Wien und zuletzt am Deutschen Theater Berlin inszenierte, holt die Kleist-Komödie aus der miefigen Milieustudie eines niederländischen Provinznests heraus. Er statuiert auf der Text-Basis ein doppelbödiges Exempel über die Machtstrukturen in der Sprache, im sozialen System und in den individuellen Beziehungen. Das Kleist-Drama hält auch siegreich dem Hightech-Einsatz stand. Und Krafts spiellustige, mit Schattenspiel und klirrendem Soundtrack auftrumpfende Inszenierung lässt sich als illusionslose Parabel auf heutige Zustände lesen: In einer zerrissenen Zeit liegt das Gesetz in Scherben. Die einzelnen Trümmer dienen lediglich den jeweiligen Interessengruppen in Politik und Wirtschaft zur Auslegung in ihrem Interesse: Mag es um Niederlagen in Börsenschlachten oder Kriegseinsätze in fremden Ländern gehen.

"Der zerbrochne Krug"12.10., jeweils 20.00, 10.11., 14.00 u. 20.00 Thalia-Theater, Karten unter T. 32 81 44 44; www.thalia-theater.de