Der österreichische Regisseur Michael Haneke, für seinen neuen Kinofilm „Liebe” in Cannes prämiert, über das Altern und betagte Hauptdarsteller.

Michael Haneke, 70, einer der führenden Regisseure Europas, ist in bestechender Spätform. Der Österreicher gewann 2009 mit dem Historiendrama "Das weiße Band" die Goldene Palme in Cannes und war für den Oscar nominiert. Gerade ist sein neuer Kinofilm "Liebe" gestartet, ebenfalls in Cannes prämiert. Jean-Louis Trintignant und Emmanuelle Riva brillieren darin als altes Ehepaar, dessen Leben immer beschwerlicher wird. Ein erschütternder Film über das Altern, zugleich zärtlich, schonungslos, ehrlich.

Hamburger Abendblatt: Ist "Liebe" ein Liebesfilm oder eine Passionsgeschichte?

Michael Haneke: Ich werde mich hüten, eine Gebrauchsanweisung zu liefern. Der Film ist ein Angebot. Jeder soll sich da herausziehen, was er möchte.

Sollten wir mit dem Tod anders umgehen?

Haneke: Wenn man will. Das Thema betrifft jeden irgendwann. Natürlich streift man dabei eine Reihe gesellschaftlicher Phänomene. Das war aber nicht mein vordringliches Interesse, eher ein Nebeneffekt.

Weil die Geschichte einen privaten Hintergrund hat? Der Selbstmord Ihrer Tante soll Ihnen sehr nahegegangen sein.

Haneke: Ich habe das traurige Erlebnis gehabt, einem Menschen, den ich liebe, beim Leiden zuschauen zu müssen. Das war eine schlimme Erfahrung, die mich dazu gebracht hat, darüber nachzudenken, wie man damit umgehen soll

Das Paar hat zunächst noch gesellschaftliche Kontakte, geht ins Konzert. Im Verlauf ihrer Erkrankung schnurrt ihr Kosmos immer mehr zusammen.

Haneke: Das ist der übliche Vorgang. Wenn man alt oder krank wird, reduziert sich das Leben auf die eigenen vier Wände. Das war für mich der äußere Anlass.

Und der ästhetische?

Haneke: Eine Form zu finden, die der Größe des Themas angemessen ist. Deshalb habe ich die klassische Einheit von Zeit, Ort, Handlung gewählt. Beim Schreiben war das nicht so leicht. Es ist einfacher, ein Drehbuch für zehn Leute und 20 Schauplätze zu verfassen. Es war eine Herausforderung.

Warum wollten Sie, dass die Tochter ihre Eltern am Ende nicht mehr versteht?

Haneke: Früher haben Leiden und Tod im Familienkreis stattgefunden. Heute hat jeder seinen Lebensbereich. Selbst im bäuerlichen Milieu, wo es sich noch relativ lange in der ursprünglichen Form gehalten hat, ist es heute kaum mehr so. Tod und Krankheit haben wir an Institutionen evakuiert. Das führt zu einer gewissen Entfremdung. Ich will das aber gar nicht verurteilen. Ich beschreibe nur, was ich wahrnehme.

Es gibt eine Szene, in der Georg es nicht mehr aushält und aus seiner Verzweiflung um die Leiden seiner Frau drastische Konsequenzen zieht. Es ist ein emotionaler Knackpunkt im Film. War es reines Handwerk, diese Szene einzufangen?

Haneke: Nein. Wir waren beim Drehen sehr berührt. Es geht ja an die Grundfesten der menschlichen Existenz. Wenn das gut gemacht ist, und die Schauspieler waren wunderbar, dann trifft es einen hoffentlich.

Wie wichtig war Jean-Louis Trintignants Zusage für diesen Film?

Haneke: Ohne ihn hätte ich den Film nicht gemacht, so wie ich ohne Isabelle Huppert nicht "Die Klavierspielerin" gedreht hätte. Bestimmte Dinge bekommt man eben nur in einer bestimmten Konstellation. Ich habe für diesen Film jemanden gesucht, der die nötige Wärme transportiert. Jean-Louis ist nicht nur ein sehr guter Schauspieler, sondern auch ein unheimlich liebenswerter Mensch mit einer starken Persönlichkeit. Es war ein Glücksfall, dass ich ihn und Emmanuelle Riva überzeugen konnte.

Die Probleme für das Paar im Film werden immer größer. Gibt es keinen Trost?

Haneke: Die Liebe ist der Trost. Gerade für Georg ist die Situation fürchterlich. Es ist doch schön, wenn es Menschen gibt, die so etwas für einen tun wie er für sie. Jeder hofft natürlich, dass er nicht krank und zum totalen Opfer wird. Das ist doch für jeden der Albtraum. Die Zuneigung von jemand, der einem hilft, die eigene Würde zu bewahren, ist da schon ein Geschenk. Viele andere Möglichkeiten gibt es ja nicht.

War es schwer, mit so alten Menschen zu arbeiten? Trintignant ist 81, Riva 85.

Haneke: Jean-Louis hat Probleme mit dem Bewegungsapparat, das sieht man ja auch im Film. Die Szene mit der Taube mussten wir oft wiederholen, weil sie einfach nicht machte, was wir wollten. Ich hatte vor beiden Darstellern eine große Hochachtung, auch weil sie um einiges älter sind als ich. Im privaten Umgang bin ich ihnen mit einer gewissen Schüchternheit begegnet. Aber bei der Arbeit ist es etwas anderes. Damit muss man professionell umgehen.

Als Vorabdruck aus dem Buch „Haneke über Haneke” ist gerade „Liebe” erschienen. Michel Cieutat, Philippe Rouyer: Liebe, 38 Seiten, Alexander Verlag, 3,50 Euro