Es gibt viel zu entdecken: Das Reeperbahn-Festival ist zum wichtigsten Treffpunkt der Branche geworden. Allein aus Kanada kommen 28 Bands.

Hamburg. Vor zwei Jahren war sie das Aushängeschild Deutschlands. Der Boulevard, die Feuilletons und jeder Fernsehsender rissen sich um Lena Meyer-Landrut, nachdem sie mit dem Popliedchen "Satellite" den Eurovision Song Contest gewonnen hatte. Im vergangenen Jahr folgte eine Tournee durch die großen Arenen Deutschlands, in Hamburg jubelten 7000 Fans der 21 Jahre alten Sängerin aus Hannover zu. Übermorgen wird sie wieder in Hamburg singen. Im Schmidts Tivoli, vor 600 Zuschauern. Was vordergründig wie ein Abstieg aussieht, ist der Versuch, ihr eine andere Glaubwürdigkeit zu geben. Sie soll cool rüberkommen und ein Stück weg vom Massengeschmack. Denn Meyer-Landrut wird beim Reeperbahn-Festival auftreten, seit inzwischen sieben Jahren hierzulande die wichtigste Plattform für Newcomer. Das Festival gilt wegen seines kuratierten Programms als innovativ, ein Adjektiv, das jeder Künstler gern seinem Image hinzufügen würde.

Als Alexander Schulz und Karsten Jahnke das Reeperbahn-Festival 2006 aus der Taufe hoben, war die dreitägige Veranstaltung als ein reines Festival für Konsumenten gedacht. Die Idee war, mit einem Ticket in mehr als 20 verschiedene Klubs auf dem Kiez gehen zu können und darin neue, spannende Musik aus diversen Genres zu hören. Doch inzwischen ist das Festival zur wichtigsten Branchen-Plattform im Bereich des Live-Entertainments geworden.

"Früher wurden Künstler von Plattenfirmen aufgebaut. Doch nach der Krise der Tonträgerindustrie sind es heute Konzertveranstalter und Agenten, die Künstler groß machen. Vor allem mit Tourneen und Konzerten wird in der Branche heute Geld verdient", erklärt Alexander Schulz diesen Wechsel.

Fast 2000 Branchenvertreter werden bis zum Wochenende nach Hamburg kommen, um sich neue Bands anzusehen oder zu präsentieren, um Gespräche beim Reeperbahn Campus zu führen, Entwicklungen in der Branche zu diskutieren und Geschäfte anzubahnen oder abzuschließen. Warner Music nutzt das Festival für die Weltjahrestagung seiner wichtigsten A&R-Leute. Unter anderem werden der Warner-Chef Lyor Cohen und der legendäre Madonna-Entdecker Seymour Stein nach Hamburg kommen. Der Verband europäischer Festivalveranstalter trifft sich hier, unter anderem mit Ben Challis, dem Chef des Glastonbury-Festivals. Verleger, Verwertungsgesellschaften, Musikanwälte und Agenten nutzen das Festival für regen Austausch und laden zu Empfängen und Meetings ein.

25 europäische und fünf außereuropäische Musikexportbüros kommen zum Spielbudenplatz, dem Zentrum des Festivals. Viele von ihnen bringen jede Menge Künstler mit, die sich auf Showcases und im Abendprogramm dem Publikum und den Booking-Agenten präsentieren. Für das dänische Exportbüro ist Deutschland zu einem wichtigeren Markt geworden als Großbritannien. "Das Reeperbahn-Festival ist der ideale Ort, weil er das alte Rock-'n'-Roll-Gefühl mit den modernen Erfordernissen in Einklang bringt", sagt Thomas Rohde, Leiter des Exportbüros. "Man muss dem Festival gratulieren, dass es das Vakuum nach dem Implodieren der PopKomm so schnell gefüllt hat."

Alleine aus Kanada reisen in diesem Jahr 28 Bands und Solisten an, so viel wie noch nie. Das Reeperbahn-Festival ist für die Kanadier die wichtigste Plattform in Europa geworden. Ihre Dependance ist der mit Ahorn- und Elch-Symbolen geschmückte und zum "Canada House" umfunktionierte Hörsaal am Spielbudenplatz. Dort gibt es zum Beispiel am Freitagabend ein Treffen zwischen kanadischen und britischen Delegierten, "Commonwealth Mixer" heißt das Meeting. Im "Canada House" treten am Freitag und am Sonnabend überdies schon am Nachmittag diverse Bands auf.

Dieses Tagesprogramm mit Konzerten in einigen Klubs rund um den Spielbudenplatz und auf den Bühnen ist gegenüber dem Vorjahr deutlich vergrößert worden und soll bereits am Nachmittag musikinteressiertes Publikum auf den Kiez locken. Diese Showcases in den Klubs sind nicht nur für Branchenvertreter offen, sondern für alle jene, die im Besitz eines Festivalbändchens sind. Unter anderem im Planet Pauli, in der Molotow Bar und im Neidklub laufen diese oft 30 Minuten dauernden Kurzauftritte. "Bei diesen offenen Showcases sollen die Grenzen zwischen Künstler, Branche und Zuhörer verschwinden. Sie sind der perfekte Rahmen, unsere Künstler in einer extrem entspannten Atmosphäre zu präsentieren", sagt Christian Gerlach vom Warner-Ableger Neuland Concerts, der zum Showcase in den Neidklub einlädt.

Mehr als 280 Bands und Solisten werden beim Reeperbahn-Festival zu hören sein - unbekannte Exoten wie die israelische Soulband Lucille, Shootingstars wie der Hip-Hopper Cro, Medienlieblinge wie Lena. Es gibt viel zu entdecken - für Brancheninsider wie für Musikliebhaber.