Das Hören lohnt, das Sehen nicht. Simone Young gelingt ein bejubelter Opernabend in Hamburg, trotz ärgerlichen Regie-Gerumpels.

Hamburg. Es gibt Regisseure, und es gibt Inneneinrichter. Regisseure bemühen sich um die Fallhöhe eines Stücks, sie ringen mit dem dramatischen Kern, mit wichtigen Aussagen, ihren Problemen und Erkenntnissen; manchmal gewinnen sie, manchmal die Vorlage, manchmal beide und damit das Publikum. Inneneinrichter möblieren nur. Je mehr Platz, Spielzeug und Spielgeld man ihnen in die Hand gibt, desto mehr möblieren sie munter vor sich hin, stapeln Requisiten, Akteure, Klischees. Sie stellen mal hier um und mal da etwas oder jemanden hin. Am Ende bleibt aber immer nur ein einziger Eindruck: Alles so schön bunt da.

Mit der Entscheidung für David Pountney, der jahrelang vor allem als Chef der Bregenzer Festspiele bewies, dass er große Brocken weithin sichtbar stemmen kann, hat Hamburgs Opernintendantin Simone Young erneut demonstriert, dass ihr Regisseure und deren Arbeit schlimmstenfalls egal sind und bestenfalls hilfreich sein dürfen. Denn dank Pountneys Bühnen-Möblierung von Borodins Historien-Schinken "Fürst Igor" ist nach Doris Dörries amateurhaftem "Don Giovanni"-Desaster auch diese Saisoneröffnung szenisch spektakulär verunglückt.

Die Generalmusikdirektorin Simone Young dagegen hat mit ihrem Premierendirigat und der Auswahl des Ensembles wieder einiges an längst verloren geglaubtem Boden gutgemacht. Von der Überlast der zwei Ämter, die sie 2015 verlässt, offenbar befreit und erholt, gelang ihr ein am Ende einhellig bejubelter Opernabend, der trotz der Klischee-Mengen in Borodins Riesenpartitur musikalisch viel Schönes hatte, viel Dezentes und fein Gearbeitetes.

Es ging bereits beim "Lear", es geht auch hier. Was dummerweise aber wohl daran lag, dass Pountneys Personalführung vor allem daraus bestand, seiner Dirigentin Stimmen vor die Taktstockspitze zu stellen, mit Gesten, die oft älter wirkten, als es das Stück ist. Gegen so viel kostenverursachendes Regie-Gerumpel, einer mäzenatisch sehr geförderten Koproduktion mit der Oper Zürich, wirkt, man würde es ja gern freundlicher sagen, jeder Bad Segeberger Karl May wie Kampnagel.

Pountney verwendet Stereotypen für seinen "Igor", als gäbe es kein Morgen mehr. Die wackeren, tiefgläubigen Russen, die gegen die heidnischen Steppen-Horden reiten, sind mal in Ivan-Rebroff-Gedächtnis-Hemden unterwegs, als seien die Don Kosaken auf Tour, dann wieder, back in the USSR, rudeln sie sich hackedicht und pelzmützentragend zusammen, um in Kolchose-Ruinen zwischen Schlucken aus ihren Wodka-Pullen Zöpfchen tragende Pionier-Mädchen zu schänden.

Wenn Fürst Igor, "der kluge Falke", nichts Staatstragendes zu singen hat, und er hat oft nichts zu singen, wird er hinter einen realsozialistischen Kader-Schreibtisch abgesetzt, wo er herumdämmern muss. Der Ober-Polowetzer Kontschak ist entweder aus Ralf Siegels "Dschingis Khan"-Kostümfundus entlaufen oder er schickt als radikaler Glaubenskrieger Russen ins Jenseits. Stünde all das nicht so simpel-dekorativ im Rampenlicht und den vielen Kulissen herum, wäre es schon fast wieder lustig. Zur Steigerung dieser opulenten Opernspektakelhaftigkeit gibt es mehrere Tanzeinlagen des Bundesjugendballetts für die Polowetzer Tänze, unter anderem mit "Thriller"-Zitaten und blutiger "Joker"-Grimassenschminke.

Ach, es ist doch eher ein Elend, und das Mitansehen, es dauert, stundenlang. "Fürst Igor" zu hören, ist hingegen ziemlich kurzweilig. Nach den wohl unvermeidlichen Anlaufschwierigkeiten während der Ouvertüre kommen Leben und Eleganz ins Spiel der Philharmoniker. Ab dem zweiten Akt, jener poetisch aufblühenden Szene, in der sich der zartschmelzende Tenor von Dovlet Nurgeldiyev als Igors schmachtender Junior für größere Aufgaben empfiehlt, ist es eine ziemliche Freude, dass Borodin zeitlebens für diese Oper kein Ende fand und für die posthume Vollendung durch Rimski-Korsakow und Glasunow kein Materialmangel für Arien und Chöre herrschte. Andrzej Dobber würde man als Fürst Igor noch etwas mehr packende Durchschlagskraft wünschen, Tigran Martirossian orgelt sich sattdunkel am Rande der Karikatur durch die dafür dankbare Schurken-Partie des Kontschak. Der Chor war umso besser und präziser, je weniger er sich bewegen musste, diesen Gefallen tat Pountney ihm oft. Unangefochtene dramatische Sopranistin der Herzen war an diesem Abend Veronika Dzhoieva als Igors ikonenhütende Gattin Jaroslawna. Sie war die Einzige, der man das Leiden, das Ringen, das Drama ihrer Rolle anhörte und voll und ganz abnahm.

Am Ende dann, als alles wieder gut ist, Igor wieder heim im Reich und als massiv goldener Reiter vom Himmel herniederkommt zu den jubilierenden Untertanen, da holt Pountney zur finalen Selbstblamage aus: Er lässt, als hätte er in den vier langen Akten davor keine Gelegenheit zur Auseinandersetzung mit den russischen Dauer-Themen Macht und Ohnmacht gehabt, drei "Pussy Riot"-Girlies mit neonbunten Strickmasken als tagesaktuelle Protestfiguren ins Schlussbild wetzen. Dass man sich mit ideologisch heiklen Passagen historischer Stücke auseinandersetzen kann, hatte Ex-Hausregisseur Peter Konwitschny beispielhaft am Ende seiner "Meistersinger"-Inszenierung vorgemacht, die Young bekanntlich so wenig schätzt, als realer Widerspruch intelligent ins Stück grätscht. Plumpes Simulieren kritischen Bewusstseins, wie Pountney es hier als Show-Einlagen-Rausschmeißer aufpfropft, ist dagegen nur geschmacklos und banal.

"Fürst Igor" in der Staatsoper am 18., 21., 25., 29.9., 5.10., Karten 4-79 Euro unter Tel. 35 68 68