Veranstaltungszentrum Kultwerk West zieht ins ehemalige Möbelhaus Brandes. Fünf Jahre Reifezeit gewährt das Team dem neuen Standort.

Hamburg. Der stadtentwicklungspolitische Kontrast in einer einzigen Straße könnte kaum größer sein: Das Kultwerk West zieht im Sommer 2013 direkt in das von Rotlicht, Sex, Kommerz und Partytreiben geprägte Quartier ans westliche Ende der Reeperbahn. In einem alten, lange vom Abriss bedrohten Möbelhaus wird es einen nicht kommerziellen Gegenpol aus Kultur und Diskussionsleidenschaft zu den stahlglatten, ultramodern wirken wollenden Tanzenden Türmen am anderen Ende der Reeperbahn bilden.

Auf der geilen Meile, wo ansonsten vor allem Bares Wahres ist, ist ein kleines Wunder passiert. Die Zukunft des leer stehenden Möbelhauses Brandes, über dem jahrelang ein großes Fragezeichen schwebte, ist entschieden. Das umstrittene, heiß begehrte Grundstück teilen sich das Diskussions- und Veranstaltungszentrum und eine Projektentwicklungsfirma, deren Geschäftsführer der CDU-Bürgerschaftsabgeordnete Andreas Wankum ist.

"Alle sind sich grundsätzlich einig, es müssen nur noch die Verträge unterzeichnet werden", sagte Kultwerk-Chefin Sigrid Berenberg. Der Kommentar des Projektentwicklers Andreas Wankum: "Ich möchte mich zu laufenden Gesprächen nicht äußern. Am Ende wird alles gut. Vernünftige Menschen werden ein vernünftiges Projekt auch zu Ende bringen."

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Ein Hamburger Mäzen, der ungenannt bleiben möchte, ermöglicht mit spendierten Millionen die Transformation einer 80 Quadratmeter kleinen und manchmal auch prominent besetzten Bühne in ein bundesweit einzigartiges Kulturveranstaltungszentrum. Es wird täglich geöffnet sein, allen Bürgern für Besuch und Engagement offenstehen und mit 400 Quadratmetern groß genug sein, um sich von dieser Adresse aus mit Gedankenbeiträgen in Debatten einzumischen und genau dort gesellschaftliche Standpunkte aufzuzeigen, wo man sie nie vermuten würde - in bester Kiezlage, dort, wo Arm und Reich und sehr unterschiedliche Moralbegriffe frontal und radikal aufeinandertreffen.

So wird dieser Wandel funktionieren: Das Kultwerk zieht von seiner bisherigen Bleibe an der Kleinen Freiheit in das noch zu sanierende ehemalige Möbelhaus, das direkt neben der Großen Freiheit liegt.

Im Veranstaltungsraum im Erdgeschoss wird die alte, eingelagerte Bühne aus Frappant-Zeiten ebenso wieder aufgebaut wie die Sofas, die dem Kultwerk am jetzigen Standort eine charmante Wohnzimmer-Atmosphäre verleihen. Sigrid Berenberg wird mit ihrer Kollegin Katrin Klamroth ein Café eröffnen und betreiben, das; täglich geöffnet, ebenso den in alle Richtungen offenen Geist dieser Kultureinrichtung vermitteln soll wie die kleine Bühne.

"Dieser Ort gehört der Stadtgesellschaft und soll kulturelles Selbstbewusstsein vermitteln", sagt Kultwerker Dieter Magsam, "wer in Hamburg wissen will, was läuft, wer mitgestalten will, muss zu uns kommen." Einen knappen Kilometer Luftlinie vom zukünftigen Standort eines schwedischen Möbelhaus-Konzerns entfernt, der ihren Erstwohnsitz verdrängt hat, haben die Kultwerker nun in einem ganz anderen Möbelhaus eine neue Heimat gefunden. Eine kleine, feine Ironie in dieser wundersamen Geschichte.

Die Kultwerk-Veranstaltungen soll es weiter an jedem Dienstag und Donnerstag geben. "Wir sind ein öffentliches Wohnzimmer mit einem einmaligen Programm voll Überraschungen, Nachdenklichem und Denkanstößen", beschreibt Sigrid Berenberg die Kultwerk-Philosophie.

Für die anderen Abende sind alle Hamburger eingeladen, im Kultwerk mitzumachen. "Das können Menschen mit vielen Themen sein: Lesehilfe-Gruppen, Drehbuchautorenkreis, eine Behinderten-Fördergruppe, Studenten, Schüler, eine Initiative selbstständiger Frauen oder Architektengruppen." Wie groß der Bedarf für einen derartigen Treffpunkt und Ideenbeschleuniger ist, zeigt die Tatsache, dass es bereits jetzt erste Anfragen gibt, unter anderem, so Berenberg, habe die Architektenkammer ihr Interesse an Abendterminen angemeldet.

Die Rahmenbedingungen sind einladend: Wer hier auf die Bühne will, muss sich lediglich anteilig an den Mietnebenkosten beteiligen, denn die Kultwerker müssen dank ihres Mäzens keine Miete bezahlen. In den Keller wird ein Musikklub einziehen. Über dem Kultwerk, in dem auch Ausstellungen denkbar sind, soll eine Start-up-Etage mit Werkstätten für Mode und Design entstehen. Fünf Jahre Reifezeit will das Kultwerk-Team dem neuen Standort gewähren, um sich zu mausern. "Und wenn es nicht funktioniert, dann schließen wir eben wieder", sagt Berenberg lachend.

Großen Anteil an dieser erstaunlichen Entwicklung neben der Großen Freiheit hat der Bezirksamtsleiter von Mitte, Andy Grote (SPD). Denn die Verwirklichung des ursprünglichen Plans von Andreas Wankums Firma OneVest (Abriss und Neubau von Hotel, Einzelhandel und Supermarkt) hängt mit bezirklichen Entscheidungen zu einem Bauvorbescheidsantrag zusammen. Ohne diese Bescheinigung kann OneVest nicht bauen. Und offensichtlich hat der neue Bezirksverwaltungschef der Firma sehr klar gemacht, dass ein Kulturveranstaltungszentrum als Premiere auf der Meile entschieden mehr Freunde finden wird als das x-te Hotel oder eine weitere Supermarkt-Filiale.