Ein Abend mit der Sopranistin Christiane Karg, die Hamburg als Tor zur Welt genutzt und nun weitaus mehr zu bieten hat als “nur“ eine neue CD.

Hamburg. Gerade ein Liederabend in Edinburgh, am Morgen in der Londoner Wigmore Hall, zum Flieger nach Hamburg, kurz ins Hotel, kurz einsingen und dann wird's schon wieder ernst. Und trotzdem wirkt Christiane Karg entspannt. Dass sie gleich singen soll, signalisiert nur die gedämpfte Sprechlautstärke beim Interview zwischen Tür, Angel und Reisegarderobe.

Es läuft gerade gut für die Sopranistin. Christiane Karg? War da nicht mal wer an der Dammtorstraße? 2007 war sie Mitglied des Opernstudios der Staatsoper. Sie sang die eine oder andere kleine und nicht mehr ganz so kleine Partie. Was man so macht und darf als Anfängerin mit Potenzial. Nur dass sie keine mehr war; als sie hier anfing, hatte sie bereits ihr Debüt bei den Salzburger Festspielen hinter sich.

In der Mozart-Stadt hatte sie studiert, es war kein Debüt im ganz großen Premierenrahmen, sondern eines unter vielen dort während des Mozart-Jahres 2006. Bezeichnend aber für Kargs Einstellung zu Karriere und den damit verbundenen Schüben, Auf- und Gegenwinden. "Ich bin froh, dass es so gekommen ist", sagt sie, "man ist nicht bereit, sofort von null auf 100 zu gehen, in keinem Job. Die können dich in Salzburg absolut an die Spitze bringen. Das ist nur Marketing. Und was dann draus wird, ist denen total schnuppe. Ich bin froh, dass das nicht mit mir passiert ist."

Passiert ist ihr 2008 zum Ende der hiesigen Lehrzeit ein Stellenangebot der Frankfurter Oper, sie nahm an, weil das Angebot das bessere war. Sie sei einfach besser in großen Rollen, findet sie, was eine sportliche Aussage wäre, wenn man sie sich nicht leisten könnte. Ihre Rollen sind inzwischen größer, die Flugpläne ausufernder. Demnächst also eine Mélisande in Frankfurt, die nächsten zwei Jahre ist Glyndebourne gebucht, der Kalender ist bis 2015/16 gefüllt. Und am Horizont die Hoffnung der Janacek-Begeisterten auf eine Jenufa, "ich hoffe, die ist irgendwann in der Stimme". Sie war "Opernwelt"-Nachwuchssängerin 2009 und hat für eine Lied-CD einen Klassik-Echo erhalten, aber all das "hat nichts geändert, das sieht nur auf dem Papier gut aus".

An die Hamburger Jahre im Startblock denkt Karg gern, aber ohne Verklärung zurück: "Ich hab hier gesehen, wie Theater funktioniert. Wie Kollegen nicht so viel Glück hatten, Fehler gemacht haben und damit umgehen mussten. Was es bedeutet, Ensemblemitglied zu sein und viermal die Woche auf der Bühne zu stehen. Das war einem als Student nicht so bewusst."

Liederabende liebt sie; wiederholt man die Behauptung, dieses Format sei fast tot, werden Kargs Stimme und das "Nein!" lauter. Und auch bei ihrer Meinung zur Notwendigkeit Oper ist Karg kategorisch: "Ich bin absoluter Verfechter von Regietheater. Es reicht heutzutage nicht mehr, wenn du dastehst und den Arm hochhältst. Ich lieg gern rum auf der Bühne, ich geb gern alles und hab gern Mut zu hässlichen Tönen. Ich möchte gern über Grenzen gehen. Ich brauche keinen perfekten Vortrag."

Den wird sie auch an diesem Abend nicht erleben, an dem sie ihr neues Projekt "Amoretti" vorstellt, eine CD mit Arien des frühen Mozart und seiner Zeitgenossen Gluck und Grétry, begleitet vom Ensemble Arcangelo. Zweieinhalb Jahre hat Karg Noten gewälzt und daran gefeilt, bis alles stimmte für sie.

Das Blankeneser Ambiente der Präsentation vor 80 geladenen Gästen könnte blankenesiger kaum sein. Vorbesitzer der Villa Jako von Michael Haentjes, dem Chef von Kargs Plattenfirma Edel, war Karl Lagerfeld. Man kommt sich dort vor wie in einem begehbaren Katalog für Luxusimmobilien. Unverbaubarer Premium-Elbblick, sogar die Schinkenschneidemaschine residiert so mondän übergroß in der Küche, als bräuchte man für sie Studienabschluss und Lkw-Führerschein.

Toll also und beeindruckend, das soll es ja, gegen alles hanseatische Understatement in dieser Postleitzahl-Gegend, auch mal sein dürfen. Aber dann steht da, vor dem Flügel im Salon, diese junge Frau, die es nicht kümmert, dass der Raum zu klein ist und zu warm und die Wände zu nah und zu hart zu ihrer in allen Lagen wunderbar gleichmäßig fließenden Gefühlserzählstimme. Steht da und singt die für Klavier zurechtgestutzten Bonsai-Fassungen dieser frühklassischen, lieblich verzaubernden Arien, die auch ganz ohne Kostüme und ganz ohne Bühne direkt ans Gemüt gehen. Na also, lächelt Karg zwischen den Hörhäppchen, geht also auch so. Man muss wollen.