Die Geigerin Viktoria Mullova stellte ihr “Peasant Girl“-Projekt bei einem SHMF-Konzert vor und kann leider nicht wirklich überzeugen.

Hamburg. Das Spannendste am Konzert von Viktoria Mullova und ihren vier Mitstreitern am Sonnabend im Ohlsdorfer S-Bahn-Lokschuppen war das Rätsel, vor das dieses fehlkonzipierte Cross-over-Projekt seine Hörer stellte. Wie kann es nur sein, dass sich fünf großartige Musiker zu einem Wunschprojekt zusammentun und dann als Summe ihrer gemeinsamen Anstrengung doch kaum mehr als blitzsaubere Sterilität produzieren?

Auf dem Papier las sich das Konzept dieses Konzerts ganz vielversprechend. Eine Verbindung von Musik, die von osteuropäischer Volksmusik beeinflusst ist, mit Jazz und dem emotionalen Gewicht der Klassik, so war die Jazz-Zigeuner-Kunstmusik-Melange "The Peasant Girl" angekündigt worden. Sämtliche dieser Elemente waren am Sonnabend bei dem Konzert im Rahmen des Schleswig-Holstein Musik Festivals auch vorhanden, doch keines davon kam richtig zu Entfaltung, weil die kleingeschnipselten Zutaten dieses Musiksalats sich letztlich wechselseitig neutralisierten.

Die Geigerin Viktoria Mullova und ihr Ehemann, der Cellist Matthew Barley, etwa erwiesen sich als wunderbares, bestens eingespieltes Kammermusik-Duo. Ihre Interpretation von Kodalys Duo op. 7 war wohl der Höhepunkt des Abends; so gut war diese Musik, dass man den umgebenden Lokschuppen darüber fast vergessen hätte - wenn nicht fernes S-Bahn-Gerumpel einen immer wieder an die wahre Bestimmung dieser für konzentriertes Zuhören denkbar ungeeigneten Konzertstätte erinnert hätte. Wohl wissend, wie sehr diese Kammermusik-Kostbarkeit zu ihrem eigenen Schaden aus dem Rahmen fällt, hatte Barley Kodalys 25-Minuten-Meisterwerk vorsichtshalber schon als "längstes Stück des Abends" angekündigt.

Doch auch den kleiner geschnittenen Zutaten erging es kaum besser. Das Duo Mullova/Bradley bewährte sich selbstverständlich auch bei Bela Bartoks kurzen, folkloristisch inspirierten Duos für zwei Streichinstrumente. Die Idee aber, zwischen diese komponierten Miniaturen ebenso kurze, 15-Sekunden Jazz-"Improvisationen" einzufügen, war symptomatisch für die wenig artgerechte Käfighaltung der tragisch unterforderten Jazzmusiker an diesem Abend. Improvisation hat etwas mit Fantasie zu tun, und die braucht Raum zu ihrer Entfaltung. Eben den aber ließ das von Bradley rigoros durcharrangierte und -organisierte Programm kaum.

So konnte man dem Pianisten Julian Joseph dabei zusehen, wie er im ersten Song des Programms für den nicht vorhandenen Bassisten die Kärrnerarbeit leisten und Basslinien ausführen musste. Von der Leine gelassen wurde Joseph nur für einen kurzen Moment in Joe Zawinuls "Pursuit Of The Woman With The Feathered Hat". Hier durfte der britische Weltklasse-Jazzer mal ein Solo spielen, das zumindest ahnen ließ, was man an diesem Abend alles verpasste. Und damit erging es Joseph immer noch besser als seinen beiden Perkussionisten-Kollegen Paul Clarvis und Sam Walton, die ganz auf Begleitfunktionen reduziert waren. Den verdienten Applaus nach seinem Solo bekam Joseph leider auch nicht - vermutlich, weil sich das Publikum nicht ganz sicher war, ob nun die Jazz-, Klassik- oder Volksmusik-Klatsch-Etiketten gelten sollten.

Solche Fragen der richtigen Etikette lähmten aber wohl nicht nur die Hände des Publikums, sondern auch die Freiheit der Musiker. So hatte Bradley sämtliche "Volksmusik"-Einlagen des Abends für sein Quintett sorgfältig arrangiert. Diese hoch professionelle und gut gemachten Arrangements wurden dann von ihm selbst, der ihm angetrauten Weltklassegeigerin und den sekundierenden Spitzenkräften größtenteils aus Noten spielend vorgetragen. An musikalischer Qualifikation war hier sicher zigmal mehr versammelt, als man für die beste Musik dieser Art je bräuchte, dafür aber fehlte das eine, entscheidende Element: Spontaneität.

Wie richtige Gypsy-Ekstase klingen kann, hatten manche Besucher des Schleswig-Holstein Musik Festivals vielleicht noch vom letzten Jahr im Ohr, als Selim Sesler und seine Truppe an einem kalten Regentag auf dem Platz vor dem Museum der Arbeit einer Hörerschaft von fröstelnden Hanseaten gehörig einheizten.

So ließ einen am Ende auch Mullova/Bradleys "Peasant Girl" ähnlich ratlos wie die meisten anderen, fröhlich-bunten Cross-over-Projekte. Die Idee der Grenzüberschreitung und des Ausbruchs aus den Stil- und Genre-Käfigen ist zutiefst sympathisch, die spieltechnische Ausführung mag noch so gut sein. Die Krux aber bleibt, dass verschiedene Musik- und Stilwelten meist nur auf den kleinsten gemeinsamen Nenner gebracht werden. Sie präsentieren Minimalschnittmengen unterschiedlicher Traditionen, in denen gerade das Wesentliche außen vor bleibt. Das Ergebnis ist Sterilität.