Generationengespräch: Die Rockmusiker Achim Reichel und Anton Spielmann über Erfolg, finanzielle Überforderung und Internet-Stress.

Hamburg. Achim Reichel, geboren 1944, gehört seit den 60er-Jahren zu den erfolgreichsten deutschen Rockmusikern. Er hat die Rattles und Wonderland gegründet, nahm mit A.R. & Machines Krautrock auf und war mit Shantys und Blues erfolgreich. Anton Spielmann, Jahrgang 1990, ist Sänger und Gitarrist der Band 1000 Robota, die bisher zwei Alben veröffentlicht hat. 46 Jahre Altersunterschied - und ein Gespräch auf Augenhöhe in Achim Reichels Haus in Hummelsbüttel.

Hamburger Abendblatt: Wie waren die Bedingungen, unter denen Sie Musiker geworden sind?

Achim Reichel: Wir waren Rock-'n'-Roll-Fans und wollten auch so eine Musik machen. Wir haben ohne Ambitionen angefangen. Die Gitarren wurden in den Plattenspielereingang vom Radio gestöpselt. Hauptsache, es machte Dampf und war laut. Das war Anfang der 60er-Jahre. Mit 'ner Elektrogitarre unterm Arm wurdest du in Deutschland noch angesehen wie ein Marsmensch. Aber damals Popmusik zu machen war Spießrutenlaufen unter Spießern.

Anton Spielmann: Wir hatten keine direkten Ambitionen mit unserer Musik, die kam auf uns zu. Ich bin in einer Vorstadt im Süden von Hamburg aufgewachsen. Pure Tristesse. Meine Band-Kollegen und ich waren extrem wütend und deprimiert über diesen Zustand, da haben wir nach einer Ausdrucksform gesucht, die uns befreit. Das war Musik.

Sie sind beide sehr schnell bekannt geworden. Achim Reichel war schon 1965 mit den Beatles auf England-Tournee, Sie sind 22 und haben schon zwei von der Kritik gelobte Alben veröffentlicht.

Spielmann: Unser Erfolg kam schneller als gedacht. Wenn alles so einfach gewesen wäre wie zu Beginn meiner Karriere, ich würde es gleich noch mal versuchen! Nach sechs Jahren und zwei Alben traue ich mich langsam zu sagen: Ich bin ein Musiker.

Reichel: Wir haben damals in einem Keller auf St. Pauli geübt, in Klubs in Bramfeld und in Rendsburg angefangen und dann den Bandwettbewerb im Star-Club gewonnen. Irgendwann hörten wir einen Song von uns aus einer Musicbox. Der war im Star-Club mitgeschnitten und veröffentlicht worden, ohne dass wir es wussten. Aus Hobby wurde Profession. Von unserer England-Tournee sind wir mit einem Koffer neuer Platten, aber ohne Geld wiedergekommen. Die Frage, ob wir Künstler oder Musiker oder Unterhaltungsfuzzis sind, haben wir uns nie gestellt.

Spielmann: Ich konnte mir nie vorstellen, mit Musik meinen Lebensunterhalt zu verdienen, und habe sie nie als Berufung verstanden. Meine Eltern hatten nie viel Geld. Als ich nach dem ersten Album plötzlich ein wenig zum Leben hatte, war ich erst mal stolz und zugleich überfordert.

Worin bestand die Überforderung?

Spielmann: Meine Eltern sind, als ich zwei Jahre alt war, aus Kasachstan nach Deutschland gezogen. Für meine Eltern war und ist Geld zu verdienen ein permanenter Kampf. Manchmal kommt es mir so vor, als wäre Musik zu machen nur ein Ausdruck dafür, dass man ein Taugenichts ist, der keine Lust hat, morgens um acht ins Büro zu gehen.

Reichel: Das sehe ich anders. Berufung wird der bei sich spüren, der Talent für eine Kunst hat. Wenn du kein Rhythmusgefühl hast, fang auch nicht an, Musik zu machen. Aber das Talent sorgt letztlich dafür, dass man sich zur Kunst hingezogen fühlt. Das Problem mit dem Geld kenne ich auch. Plötzlich fragt dich ein Steuerberater: Willst du viel Steuern zahlen oder lieber investieren?

Ermöglicht Geld Kreativität?

Spielmann: Nicht direkt, aber es ist entlastend zu wissen, dass ich eine Zeit lang Songs schreiben und gleichzeitig meine Miete bezahlen kann. Wenn ich von Geld rede, spreche ich von Grundeinkommen und keinem Luxus. Mein Luxus ist meine Musik.

Reichel: Wir können nicht anders. Wir sind eben Künstler und keine Steuerberater. Aber man braucht Hilfe. Die bekommt man in der Regel von seiner Plattenfirma. Aber es passiert dort auch, dass man mit Einschätzungen konfrontiert wird, die sich von den eigenen deutlich unterscheiden. Ich hatte vor vielen Jahren viel Stress mit meiner Plattenfirma, die partout den Song "Aloha-Heja He" nicht als Single rausbringen wollte. Ich habe mich dann gefragt: Wieso glaubt der eigentlich, dass er mehr Ahnung vom Geschäft hat als ich? Ich habe mich dann letztlich durchgesetzt und "Aloha-Heja He" veröffentlicht. Die Strategen bei der WEA fanden den Song "out of normality".

Spielmann: Wenn ich so etwas höre, graust es mir.

Brauchen Musiker noch Labels?

Spielmann: Managements, Verlage und Labels haben weiterhin ihre Daseinsberechtigung. Das sehen heute viele Künstler anders. Aber es ist ganz wichtig, Leute zu finden, denen man vertrauen kann.

Reichel: Plattenfirmen werden von Kaufleuten geführt, die natürlich auch ihre Erfahrungen gesammelt haben, was erfolgreich ist. Konflikte entstehen, wenn man versucht, einen kulturellen Inhalt zu transportieren, der diesen Kaufleuten als unverkäuflich erscheint.

Spielmann: Kalkulieren und Abwägen, das ist typisch deutsch, hat mit Kunst leider wenig zu tun. Künstler brauchen Zeit, um sich zu entwickeln. Queen wurde erst mit ihrem vierten Album megaerfolgreich. Heute bekommt man solche Chancen gar nicht mehr.

Was hat sich für Sie durch das Internet geändert? Ist es Segen oder Fluch?

Spielmann: Das Internet banalisiert Kunst. Kultur und Musik hält uns am Leben. Das Internet sorgt für eine Ausrottung der Kultur, weil es den Künstlern die Lebensgrundlage entzieht. Wenn für Werke nicht mehr bezahlt wird, bekommen wir alle ein Problem.

Reichel: Ich habe lange überlegt, bis ich mir eine Homepage habe bauen lassen. Ich fand dann Funktionen wie ein Gästebuch ganz gut, in dem mir Fans ihre Kommentare zu Konzerten oder Alben geschrieben haben.

Spielmann: Aber du hast doch den Applaus im Konzert bekommen, da brauchst du doch kein Internet. Wenn jemand deine Platte kauft, dann zollt er dir seinen Respekt. Das passiert leider immer seltener, und das finde ich extrem respektlos und demütigend.

Reichel: Auch in Zeiten des Internets bleibt die Bühne der ehrlichste Ort für einen Musiker, den es gibt.

Wie ist eure Haltung zum Streit um GEMA und YouTube und die entsprechenden Abrechnungen?

Reichel: Es kann nicht sein, dass dort Videos von uns laufen und zugleich ganz viel Werbung. Natürlich müssen wir an diesen Einnahmen von YouTube beteiligt werden. Immerhin gibt es durch die GEMA eine Abrechnungsgrundlage, aber sie reicht bei Weitem nicht aus. Wir müssen stärker beteiligt werden.

Spielmann: YouTube würde nicht existieren, wenn es keine Kreativen gäbe. YouTube sieht keinen Grund, uns für diese Inhalte zu bezahlen. Jeder Künstler sollte sich heute gerademachen und auf seine Situation aufmerksam machen. Viele Musiker leben prekär und wissen oft nicht, wo die nächste Miete herkommt. Aber jeden Penny, den wir ernten, säen wir auch. Das Internet jedoch zieht das Geld aus etwas, was es nicht generiert.

Im Abendblatt-Kulturteil führen wir in diesem Sommer Gespräche mit Künstlern und Medienschaffenden, die zwar denselben Beruf haben, aber aus ganz unterschiedlichen Generationen stammen. Alle bisherigen Gespräche finden Sie im Internet unter www.abendblatt.de/generationengespraech