Meer, Sand und Sex: Dietmar Loefflers Insel-Musical “Sylt - Ein Irrtum Gottes?“ feierte in den Kammerspielen eine bejubelte Uraufführung.

Hamburg. Sylt geht unter. Die Schreckensvision treibt Wonderbar-Wirtin Katja Friese auf die Barrikaden. Aber ihr Protest endet als klägliche Pleite. Da findet sie im Ex-Politiker Heiner Weber einen Mitstreiter für die Rettung der Insel. "Sylt - Ein Irrtum Gottes?" Von wegen.

Nach dem Italo-Musical "Pasta e Basta" serviert Dietmar Loeffler in den Kammerspielen wieder leichte, unterhaltsame Sommerkost. Aus der haarsträubenden Story um den Meteoriteneinschlag im Urlaubsparadies schlagen er und die Schauspieler jedoch komödiantisch und musikalisch zündende Funken, sodass sie mit der Show das Premieren-Publikum zum Mitklatschen und zu viel Szenenapplaus animierten. Der neue Loeffler-Liederabend, ein großer Spaß für Fans wie für Feinde von Sylt, ist absolut hitverdächtig.

Das bestätigt bereits die Reaktion der Insel-Bürgermeisterin Petra Reiber als Ehrengast der Uraufführung. "Ich amüsiere mich köstlich", sagte sie in der Pause. "Das Insiderwissen überrascht mich, denn ich sehe einige Parallelen zur Realität." Reiber findet auch die Typen glänzend getroffen: "Zu jeder Figur kenne ich ein entsprechendes lebendes Pendant." Auch die Rolle der Presse entspreche der Wirklichkeit: "Gibt es einen Skandal, dann wissen es die Journalisten als Erste." Die Sylter hätten wohl auch ihren Spaß am Musical, sagte Reiber. "Sie wären über ein Gastspiel auf der Insel sicherlich erfreut."

Als kaltschnäuzige Skandalreporterin Ina Briese erscheint Popsängerin Ella Endlich ("Der Sommer ist da") auf dem Plan. Sie hat, bewaffnet mit Laptop und schick gestylt im grünen Kleid, Wind von der Politiker-Orgie auf dem Golfplatz bekommen und will die Story zum Sensationsartikel hochkochen. Schon mit ihrem ersten Auftritt als sexy Candy mit "Goldfasan" Tim Grobe schlagen die Wellen des Vergnügens in Loefflers Inszenierung höher, sie bekommt Rhythmus, Schwung und Witz. Lockenkopf Grobe, der "Zigeunerjunge" vom Schauspielhaus, fordert sein Schmusekätzchen mit Jerry Lee Lewis ("Great Balls of Fire") unverblümt rockend auf: "Komm und schaukle meine Eier" und hat für sich im Handumdrehen die Zuschauer erobert. Mit Freddie Mercury und dem Queen-Heuler"We Are The Champions" unterstreicht Weber dann seine Forderung, Sylt zum Freistaat zu erklären.

+++ Tim Grobe ist der, der sich nach Sylt singt +++

+++ Eine Hymne auf die Lieblingsinsel der Deutschen +++

Für den "großen Tag" hat Weber die Presse und ehemalige Politkollegen eingeladen, probiert mit seinen Mitstreitern ergriffen und feierlich schon mal die von Loeffler eigens komponierte Sylt-Hymne "Der Glaube zur Freiheit". Auch die Zuschauer werden gebeten, sich zu erheben und die Hand ans Herz zu legen. Doch die Aktion droht zu platzen: Weber und die gewählten Volksvertreter lassen lieber die Sau raus, was der gewieften "Dreckschleuder" von der Presse nicht entgeht.

Mit Karikaturen und Klischees spart Loeffler in den mit seiner Frau Susanne geschriebenen, oft das Kabarett streifenden Dialogen nicht. Bühnenbildnerin Birgit Voss schließt sich dem Regisseur und musikalischen Arrangeur ebenfalls an: Dünengras und Sandhügel, Brandungswellen, Strandkörbe und einen charakteristischen Holzsteg baut sie in das Postkartenbild der Wonderbar. Auch die Schauspieler scheuen sich nicht, dem Affen Zucker zu geben.

Natürlich muss der Kellner Sven (Stefan Hossfeld mit gepudertem Lagerfeld-Zopf in Lederhosen) scharf auf Männer sein und macht sofort einen halb nackten Touristen an. Tommaso Cacciapuoti flüchtet, kehrt aber dann in Uniform als Torfkopf von einem Syltpolizisten zurück. Er mimt den schwerfällig-langsamen Wachtmeister und "Schweinswalflüsterer", der sich auf den ersten Blick in die Reporterin verknallt. Großes Liebesduett mit Knutschen im Sandkorb. Doch dann folgt der lebendig gewordene "Nordfriesenwitz" seinem Auftrag - mit Tim BendzkosParole "Nur noch kurz die Welt retten". Das Publikum juchzt.

"Liebe, Meer, Tragödien, Sex und Crime, das ist Sylt", bringt Carolin Fortenbachers Bardame Friese ihre Passion für die Insel auf den Punkt. Im flammenden Heiligenschein ihrer orangefarbenen Haarfülle gibt sie eine Artheilige Johanna von den Dünen und mutiert schon mal im Dienst der Sache zur Furie. Sie trillert dolchspitz Koloraturen aus der Rachearie der Königin der Nacht aus Mozarts "Die Zauberflöte" und schmettert auch den Walküren-Schlachtruf aus Richard Wagners "Ring". Sendungsbewusstsein im verklärten Starrblick, erinnert Fortenbachers Figur mit rebellischem Schnodderwitz und durchschlagender Komik an die derben Klassikerparodien von Johann Nestroy.

Zu den Höhepunkten des Abends zählt ihr Song aus dem Musical "Man of La Mancha", mit dem sie ihren Ritter und Sylt-Retter Weber zu Tränen rührt und das Publikum begeistert: "Du träumst den unmöglichen Traum." Doch sie hält wie ihre Mitspieler auch ironische Distanz und nimmt selbst das zur Freude des Publikums strapazierte Format des Liederabends auf die Schippe. "Quatsch nicht, sing!", schnauzt Friese-Fortenbacher ihre Gegnerin Briese-Endlich an. Und Tim Grobe, über den Tresen gelehnt, säuselt der Friese in plötzlicher Gefühlsaufwallung ins Ohr: "Zum Überfluss fällt mir ganz spontan ein Lied ein." Die beiden singen dann voller Innigkeit, aber doch mit einem Augenzwinkern "Wind Beneath My Wings". Nicht das einzige Liebesduett an diesem Abend, den Dietmar Loeffler in Gestalt des mafiosohaft aussehenden Pianisten Paolo begleitet.

"Sylt ist göttlich", intoniert er zum Finale seine Ode an die Insel. Das Publikum lässt Fortenbacher und Grobe, die unerschütterlichen Felsen in der dramaturgisch auf Treibsand gebauten Musical-Inszenierung, nicht von der Bühne, ehe sie nochmals "Ain't No Mountain High Enough" schnulzen.

Der "Sylt"-Liederabend bietet jedenfalls, wie Petra Reiber bestätigte und als Insel-Bürgermeisterin schließlich wissen muss, all das, was das Urlaubsparadies an Hässlichem, Komischem und Schönem zu bieten hat. Und dazu noch eine Menge mehr: die Musik.

"Sylt - Ein Irrtum Gottes?" bis 12.8., Kammerspiele, Karten unter T. 0800-41 33 440; www.hamburger-kammerspiele.de

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