Mit der Nijinsky-Gala endeten die Ballett-Tage. Sie waren in ihrer Begeisterung ein Ausblick auf die anstehende Jubiläumssaison.

Hamburg. Die Feierlichkeiten zum 40. Thronjubiläum von Ballettintendant John Neumeier im kommenden Jahr sind bereits in vollem Gange - jedenfalls dann, wenn man die überschwänglichen Liebesbezeugungen seines Publikums in Betracht zieht.

Allabendlich brandeten ihm während der 38. Hamburger Ballett-Tage, die am Sonntag mit der traditionellen Nijinsky-Gala in der Staatsoper zu Ende gingen, Begeisterungswellen entgegen, die in Standing Ovations ausliefen. Eine Steigerung scheint kaum noch möglich, selbst wenn die nächste Spielzeit als Neumeier-Festspiele in die Geschichte Hamburgs eingeht. Denn 1973 begann hier der Siegeszug des gebürtigen Amerikaners, der bis heute anhält und in den jeweiligen Nijinsky-Galas seine Krönung mit Konfettiregen findet. Am Sonntag war er so üppig, dass man Neumeier und die Tänzer kaum ausmachen konnte.

+++ Ballett-Intendant John Neumeier ist besorgt +++

Erinnern wir uns der Anfänge des heute 73-Jährigen in Hamburg, die ihn vor seinem Antritt als Ballettdirektor zum bestgehassten Mann in hiesigen Ballettkreisen gemacht hatten: Von dem damaligen Staatsopernintendanten August Everding an die Elbe geholt, verlängerte er einem Schwung Tänzer der bestehenden Compagnie nicht die Verträge, um eigene aus seinem Frankfurter Ensemble, wo er als Chefchoreograf wirkte, mitzubringen. Ein Aufschrei der Empörung ging durch Hamburg, der freilich sehr kleinlaut wurde, als Neumeier in seinem ersten Ballettabend am 30. September 1973 in einer klugen Mischung aus Werken von George Balanchine, die ja an der Staatsoper vorbildlich gepflegt wurden, und eigenen Arbeiten aus seinen vier Frankfurter Jahren, nachdrücklich verdeutlichte, welch großartiger Tanzdramatiker er sein kann.

Schon an diesem ersten Abend vergaß er in seiner Ansprache an die Besucher, was er sagen wollte. Befreiendes Gelächter folgte. Und auch heute noch ist ihm das Publikum gern behilflich, wenn es ihm die Namen der Protagonisten zuruft, die ihm entfallen sind. Wie in der Gala, die als eine Art kleiner Retrospektive im Vorgriff auf die Jubiläumsspielzeit verstanden werden kann, weil sie Ausschnitte aus Werken Neumeiers enthielt, die nicht zu sehen sein werden.

Dem Diktat, einen möglichst repräsentativen Querschnitt der eigenen Hamburger Werke zu zeigen, fiel auch die jüngste Choreografie "Renku" (sie eröffnete die Hamburger Ballett-Tage) zum Opfer. Es ist die erstaunlich reife, beglückende Arbeit von Orkan Dann und Yuka Oishi aus Neumeiers Compagnie, der man mehr als nur drei Aufführungen gewünscht hätte. Das Versprechen, das Ballett in der übernächsten Spielzeit wieder aufzunehmen, ist ein schwacher Trost.

"Geheime Dialoge" hatte John Neumeier seine Nijinsky-Gala genannt, die den unterschiedlichsten dialogischen Austausch von Tanz und Musik und die daraus resultierenden Gedanken und Emotionen verdeutlichen sollten. Ob in "Die Möwe", Neumeiers Tschechow-Adaption, wunderschön getanzt von Anna Laudere und Edvin Revazov, "A Sigh of Love", ein beherrscht leidenschaftlicher Pas de Deux von Bertrand d'At für die fabelhaften Solisten des Shanghai Ballet, Ji Pingping und Wu Husheng, oder "Ghost" in der floral sich windenden Tanzträumerei von Christopher Wheeldon, der die beiden ausgezeichneten Tänzer vom San Francisco Ballet, Maria Kochetkova und Joan Boada, Struktur gaben - das alles hätte mehr oder minder unter dem Titel "Elegie für Liebende" konsumiert werden können.

Gepflegt aufgewühlte Seelenschwingungen dominierten den ersten Teil der Gala, die sich im zweiten fortsetzten in John Neumeiers "Chopin Dialogue", einem Pas de deux aus Annäherung und Sich-Verweigerung, den er 2011 für die noble Diana Vishneva, Primaballerina des St. Petersburger Mariinsky Ballett, und Thiago Bordin kreiert hatte. Neumeier schöpft hier unermüdlich aus seinem Zitatenschatz, den die beiden adelten, trotz des Missgeschicks eines Sturzes.

Und auch die Kurzfassung von "Tod in Venedig" nach Thomas Mann, mit Lloyd Riggins und Edvin Revazov, hellte die getragene Stimmung nicht auf. Da hätte man sich zwischendurch einen pfeffrigen Ballettkracher als Schaustück gewünscht.

Weit entfernt davon ist Helgi Tomassons Choreografie "Chaconne for Piano and Two Dancers", aber sie ist von intelligenter Klarheit und Leichtigkeit, kongenial getanzt von Vanessa Zahorian und Davit Karapetyan vom San Francisco Ballet. John Neumeiers "Der Nussknacker" mit der wundervollen St. Petersburger Ballerina Uljana Lopatkina und sein "Sommernachtstraum", hinreißend vom hiesigen Ensemble interpretiert, ebenso wie "A Cinderella Story", sind Ballett-Highlights, neben George Balanchines unsterblichen "Diamonds" aus "Jewels". Ein klassisches Juwel mit den brillanten St. Petersburger Stars Uljana Lopatkina und Danila Korsuntsev. Denen stehen die ausdrucksstarke Alina Cojocaru vom Royal Ballet und der ihr ebenbürtige Carsten Jung in "Liliom" in nichts nach, ebenso wie Anna Polikarpova und Ivan Urban in Neumeiers hochdramatischer "Carmen"-Deutung.

Nach dessen von der gesamten Compagnie hingefetztem "Shall we dance?" steht fest: Die Hamburger Tänzer gehören zu den persönlichkeitsstärksten, technisch perfekten und spielfreudigsten Ensembles der Welt. Die Philharmoniker unter Simon Hewett müssen daran noch arbeiten.