Zum ersten Mal seit seiner Gründung gastiert das technisch fantastische San Francisco Ballet in Deutschland - bei den 38. Hamburger Ballett-Tagen.

Hamburg. Das San Francisco Ballet, 1933 gegründet, gilt als die älteste amerikanische Ballettcompagnie - und als eine der technisch besten. Während das Spitzenensemble in reger Tourneetätigkeit rund um den Globus gastiert, war es erstaunlicherweise bisher noch nie in Deutschland. Jetzt gab es sein Debüt in der Staatsoper während der 38. Hamburger Ballett-Tage und bestätigte seinen außerordentlichen Rang. Mit Ovationen wurde es vom Publikum verabschiedet, und Ballettintendant John Neumeier überreichte als Gastgeber seinem Choreografenkollegen Helgi Tomasson, seit 1985 künstlerischer Leiter der Compagnie, mit herzlicher Geste ein Rosenbouquet.

Der gebürtige Isländer Tomasson wurde als einer der stärksten Tanzinterpreten der Werke von George Balanchine und Jerome Robbins gefeiert. Kein Wunder, dass seine Choreografie "7 for Eight", im Jahr 2004 entstanden, ganz im neoklassischen Geist dieser Großmeister steht und reinen, pulsierend vorantreibenden, in edlen Linien sich mitteilenden Tanz verkörpert, voller Poesie und eleganter Kraft. Doch nicht eine Sekunde lang wird man dieses sich wie in einem Perpetuum Mobile fortsetzenden Bewegungsflusses überdrüssig - weil es Tomasson gelingt, die Soli und Pas de deux durch leichte Brechungen und unvermutete, raffinierte Störungen spannend zu halten.

Die acht Tänzer der Sonderklasse hätten dieses Ballett-Juwel zur Eröffnung des vierteiligen Abends zum beglückendsten Erlebnis des Programms werden lassen können, wenn die Musik, sieben Sätze aus Bach-Konzerten, nicht derart stümperhaft gespielt worden wären, dass einem beim Hören beinahe das Sehen vergangen wäre.

Doch mit "Raku", einem vom traditionellen japanischen No-Theater inspirierten Werk von Yuri Possokhov, hatten sich die Hamburger Symphoniker unter Martin West gefangen - ihn hatte die Compagnie mitgebracht. "Raku", erst 2011 uraufgeführt und somit das jüngste unter den gezeigten Balletten, wirkte im Gegensatz zu "7 for Eight" altbacken. Possokhov verlegt den Brand eines Goldenen Pavillons in Kyoto, ausgelöst durch einen liebestollen Affen, in frühere Zeiten. Er erzählt von Mann (Deivision-Oliveira) und Frau (Yuan Yuan Tan), die sich trennen müssen, weil der Mann in den Krieg zieht. Sie, allein zurückgeblieben, verfällt kurzfristig dem Affen (Pascal Molat), quält sich aber mit Gewissensbissen, als vier Krieger als Begleiter ihres Mannes seinen Tod mit dessen Hinterlassenschaft beglaubigen. Der Affe zündet den Tempel an, und alles steht per Projektionen in Flammen, während die Musik von Shinji Eshima das Drama tönern illustriert und die Asche des Mannes auf das Haupt der Frau regnet.

Das alles ist leicht verständlich erzählt, doch fehlt es an so tief gehender psychologischer Charakterisierung, auch an dramaturgischer Stringenz, als dass es uns tatsächlich berührte. Beeindruckend aber ist die virile Kraft der vier Krieger, die wie ein Elementarereignis die Szenerie aufreißen und fantastisch ist Yuan Yuan Tan in ihrer zerbrechlichen Grazie.

Sie hatte wenige Abende zuvor die Titelrolle in John Neumeiers Ballett "Die kleine Meerjungfrau" getanzt, ohne mit jener nicht zu beschreibenden Körperlosigkeit dieses aus den Wellen geborenen Wesens zu bezaubern, wie es Silvia Azzoni vermag. Doch in "Raku" war die Erste Solistin des San Francisco Ballet buchstäblich in ihrem Element.

Mit dem Pas de deux aus "Continuum", einem Meisterwerk von Christopher Wheeldon auf die Musik von Györgi Ligeti, sind wir wieder im Heute angelangt, allerdings im Geiste der Neoklassik. Sofiane Sylve und Vito Mazzeo sind die überragenden Solisten, die mit unendlicher Ruhe und einer Gelassenheit sondergleichen, Nähe und Ferne, athletische Kraft und sinnliche Weichheit in komplizierten Bewegungen atemberaubend verknüpfen.

Zum Schluss noch einmal Christopher Wheeldon mit "Within the Golden Hour" auf Musik von Ezio Bosso, unter Verwendung barocker Themen. Vergessen wir die Kostüme in orientalischer Anmutung und genießen wir Wheeldons Erfindungsreichtum, Räume dynamisch, bisweilen auch einfach nur schön, mit Tanz zu füllen, in denen sich immer neue Konstellationen ergeben - bis zum stärksten Bild am Schluss, bei dem sich die 14 Solisten als Gruppe in scheinbar ewigem Fluss formieren. Die Männer, kraftvoll in den Sprüngen und virtuos in den Drehungen, sind die treibende Kraft, sie geben die Impulse, die die Tänzerinnen aufnehmen und wie in einer Kette fortspinnen.

Tänzerisch ist dieser Abend erfüllend, choreografisch hätten wir uns freilich mehr Mut gewünscht.

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