Zum 300. Geburtstag des Preußenkönigs im Januar 2012 hat Emmanuel Pahud eine CD mit Stücken von Friedrich dem Großen aufgenommen.

Hamburg. Der eine: Schweizer, mauskecker Haselnussblick, trägt gerne Polohemden. Beruf: Musiker. Emmanuel Pahud ist Soloflötist der Berliner Philharmoniker und ein weltweit gefragter Musiker.

Der andere: Preuße, Schöngeist, misstrauischer Blick aus riesigen blauen Augen, Beruf: König, Oberbefehlshaber - und ebenfalls Flötist. Friedrich der Große hat während seiner Amtszeit im 18. Jahrhundert so gut wie täglich mit seiner Hofkapelle musiziert.

Einmal sind sie einander fast begegnet, die beiden ungleichen Kollegen - in einem höheren Sinne jedenfalls. Pahud hat im Potsdamer Neuen Palais in den Räumen Friedrichs des Großen ein Konzert gegeben. "Es klingt brillant dort. Wie ein Diamant", erzählt er an einem regnerischen Winternachmittag bei einem Spaziergang durch Ottensen. "Die Rokokoornamente fächern den Klang auf. Was für eine Inspiration!"

Zum 300. Geburtstag im Januar 2012 macht Pahud dem Monarchen nun ein ganz besonderes Geschenk: "Flötenkönig" heißt die CD, die mit Solokonzerten und Kammermusik das Musikleben am Hof von Sanssouci abbildet. Friedrich hat seinerzeit nicht nur führende Musiker und Komponisten Europas in seiner Hofkapelle versammelt, er und seine Schwester Anna Amalie komponierten auch selbst. So haben Pahud und seine Mitstreiter die königlichen Oeuvres aufgenommen, zusätzlich sind auf der CD auch Friedrichs Lehrer Johann Joachim Quantz, der Geiger Franz Benda und Carl Philipp Emanuel Bach vertreten - und, gleichsam als Gast, dessen Vater Johann Sebastian Bach.

"Mich wundert, dass bisher noch niemand diese Zusammenschau unternommen hat", sagt Pahud. "Dabei ist das doch gerade das Spannende: Wie sich in den unterschiedlichen Musikstilen die Persönlichkeiten und der Zeitgeist dieser bewegten Epoche zeigen." Während der Alte Fritz das Deutsche nicht besonders mochte - bei Hofe wurde französisch gesprochen -, ist Pahuds Deutsch wendig und nuanciert. Nur ein paar Wortendungen verraten den französischen Muttersprachler.

Das leichte Näseln dagegen kommt von seiner Erkältung. Er zieht seine Jacke enger um sich, während sein kleiner Rollkoffer hinter ihm her über das Pflaster holpert, sein ewiger Begleiter. Pahud ist aus Berlin zu einer Probe gekommen, von dort geht es weiter zu einer Live-Radiosendung. Als Medienprofi ist er nach solch einem Tag um keine intelligente Antwort verlegen. Am Abend will er nach Hause, um am nächsten Morgen um sieben nach Madrid zu fliegen. Sein Leben ist eng getaktet, aber so mag er es: "Flöte zu spielen ist ein Geschenk für mich."

Nicht nur für ihn. Pahud, dieser unaufgeregte, geerdete Weltstar, scheint musikalisch keine Grenzen zu kennen. Er spielt sich durch alle Genres bis hin zu Jazz und Avantgarde. Lampenfieber kennt er nicht, mönchische Zurückgezogenheit vor einem Auftritt braucht er nicht. "Dann wäre es ohnehin zu spät. Ich beschäftige mich lieber vorher intensiv mit dem, was ich tue." Was bei so einer Auffassung am Ende herauskommen kann, davon legt der doppelte "Flötenkönig" ein beglückendes Zeugnis ab. Pahud spielt eine goldene Querflöte aus Boston - moderner geht es kaum. Doch wie ein Chamäleon verwandelt er seinen Ton dem der hölzernen Traversflöte an, die zu Zeiten Friedrichs gespielt wurde. Nichts klingt vordergründig oder gar scharf. Sein Timbre überfällt das Ohr nicht, sondern lädt es zum aktiven Zuhören ein, lockt es aus der Reserve mit der galanten Zurückhaltung, die so typisch ist für jene Zeit. Raffiniert verschleift Pahud die Verzierungen, er dehnt oder beschleunigt diskret das Zeitmaß und vermittelt so den Eindruck eines atmenden Organismus. Die Kammerakademie Potsdam unter Leitung des englischen Cembalisten und Dirigenten Trevor Pinnock begleitet ihn stilsicher, farbenreich und wie auf Zehenspitzen.

Generationen von Deutschen sind mit dem Bild Friedrichs des Großen als einer Lichtgestalt aufgewachsen. "Ich bin der erste Diener meines Staates": Das ist in der Tat ein unerhört aufgeklärter, weil die eigene Macht relativierender Satz - zumal im Vergleich mit dem Gebaren anderer Potentaten seiner Zeit. Doch ganz so hell leuchtet Friedrichs Stern heute nicht mehr. Historiker weisen auf die Zwiespältigkeit seines Regierungsstils hin. So gab Friedrich bald nach seiner Thronbesteigung 1740 den Bau des Opernhauses Unter den Linden in Auftrag - und zettelte gleichzeitig den Ersten Schlesischen Krieg an. Von ihm, dem Schöngeist, stammt das Bekenntnis: "Ich liebe den Krieg um des Ruhmes willen."

Diese Ambivalenz schmälert Pahuds Respekt vor seinem königlichen Gegenüber nicht. "Es ist beliebt, Denkmäler zu stürzen", winkt er ab. "Friedrich hat ein Ruinenfeld geerbt und - auch durch Kriege - ein stabiles Preußen errichtet." Pahud hat Verständnis für Friedrichs verschlossenen Charakter: "Wie sollte er denn Vertrauen in seine Umgebung haben, bei den Intrigen, die ihn umgaben, und nach der Jugend?" Schon wenige Eckdaten von Friedrichs Biografie böten Stoff für dicke psychiatrische Krankenakten: Der Vater, der unter dem Titel "Soldatenkönig" in die Geschichte eingegangen ist, verbot dem Jungen das "weibische" Musizieren bei Prügelstrafe - Friedrich sollte ein strammer Militarist werden. Mit 17 Jahren versuchte er mit seinem Freund Hans Hermann von Katte zu fliehen. Die beiden wurden gefasst, Katte wurde geköpft und Friedrich gezwungen, dabei zuzusehen. Aus pädagogischen Erwägungen sozusagen.

Anklänge an diese traumatischen Erfahrungen findet Pahud in Friedrichs Werken. "Die langsamen Sätze sind sehr ausdrucksvoll. Und manche Töne klingen wie Schreie. Man kann die Angstzustände hören. Es war sein Glück, dass er die Musik hatte. Die Beschäftigung mit der Flöte war sein Schutzraum."

Zwei Stunden täglich soll Friedrich Flöte geübt haben. Auch für Pahud gehört das Alleinsein mit dem Instrument zu den kostbarsten Momenten: "Wie wichtig das ist, das habe ich erst spät gemerkt. Da kann ich die Sachen machen, bei denen mich keiner hören soll. Man muss im stillen Kämmerlein das Vertrauen in Grenzbereiche gewinnen." Friedrich den Großen durfte zu Lebzeiten nur einer kritisieren: sein bewunderter Lehrer Quantz, damals der größte lebende Flötist überhaupt. Er, nur er, durfte auch applaudieren. Alle anderen hatten sich an die Etikette zu halten. Einer hat ihm aber doch widersprochen. Es war der alte Bach, der 1747 zu Gast in Berlin war. Er improvisierte am Cembalo zunächst eine dreistimmige Fuge über ein Thema, das ihm Friedrich gegeben hatte - doch dessen Bitte um eine sechsstimmige Fuge schlug der Komponist aus. Zurück in Leipzig schrieb er um das "Königliche Thema" herum sein "Musikalisches Opfer", eines seiner letzten Werke, versehen mit einer Widmung an den König.

Die Triosonate daraus bildet das Herzstück der Doppel-CD. Mit Trevor Pinnock, dem Geiger Matthew Truscott und dem Cellisten Jonathan Manson bringt Pahud das durchaus sperrige Werk auf anrührende Weise zum Schwingen. Wie sie aufeinander hören, sich Zeit geben und gemeinsam phrasieren, das hat den Charakter eines Gesprächs unter Freunden. Wer bis dahin nicht verstanden hat, was die Flöte für den Mann aus Sanssouci bedeutete, der kann es hier mit dem Herzen erfahren.