Kammermusik zwischen Haiku und Tondickicht: Emmanuel Pahud & Friends machen die zwei Wiener Schulen lebendig

Hamburg. Fünf Spitzenmusiker um den Flötisten Emmanuel Pahud verbeugten sich am Mittwoch in der kleinen Laeiszhalle vor einigen Vertretern der ersten und der zweiten Wiener Schule. Was den langen Abend besonders lohnend machte, war neben der interpretatorischen Klasse das um zwei weniger bekannte Zeitgenossen erweiterte Tableau, das sich da vor überraschend vielen Ohren auftat.

Die beiden mit Wien assoziierten Strömungen der abendländischen Musik markieren im Abstand beinahe eines Jahrhunderts zuerst den Triumph und dann die fortschreitende Auflösung der Tonalität.

Wie in einer Familienaufstellung, bei der die Hinzunahme eines halb vergessenen Cousins oder Onkels plötzlich Bezüge sichtbar macht, Kontinuitäten und Diskontinuität, wirkten Alexander Zemlinskys Trio für Klarinette, Violoncello und Klavier und das Klaviertrio D-Dur von Erich Wolfgang Korngold als Missing Links zwischen Haydn und Schubert sowie Alban Berg und Arnold Schönberg auf der anderen Seite der Jahrhundertwende.

Emmanuel Pahud, der bei allen sechs Werken im Dauereinsatz schuftende Pianist Eric Le Sage und der kernig-volltönende Cellist Zvi Plesser eröffneten mit einem Haydn ganz ohne Zopf und Puder. Sie spielten ihn nüchtern und delikat. Schuberts Flötenvariation über sein Lied "Trockne Blumen" verwandelte Pahud in ein Glanzstück nachdenklichen Virtuosentums.

Viel Zögern, viel Schmerz und Verlust lag in den Anfangstönen, rasender Girlandenjubel schmückte die letzten beiden Variationen. Pahud phrasiert so lebendig und organisch, und im Ton transportiert er ohne Affekt- und Effekthascherei so viel Außermusikalisches, dass sein Spiel auch eingefleischte Flötenhasser milde stimmt.

Stiller Höhepunkt nach dem musikantisch, fast derb dargebotenen Korngold-Trio waren Alban Bergs Vier Stücke für Klarinette und Klavier. Paul Meyer blies diese aufs Epigramm verknappten Miniaturen wie eine Art Vor-Echo auf die "Music for Zen Meditation", die der Jazzklarinettist Tony Scott in den 50er-Jahren in Japan improvisierte. Ein Klang gewordenes Haiku: Musik ohne Gewicht, von kostbarer Schwere. Anton Weberns Quintettfassung von Schönbergs Kammersymphonie geriet zum spannenden Parforceritt durchs Dickicht beziehungsreichster Noten. Hochleistungskunst der Interpreten, für die Zuhörer auch.