Das riesige Modell des Salomonischen Tempels aus dem Museum für Hamburgische Geschichte verlässt zum ersten Mal seit 100 Jahren die Stadt.

Hamburg/Amsterdam. Seit Kurzem zeigt die Nieuwe Kerk Amsterdam gemeinsam mit dem Joodts Historisch Museum eine spektakuläre Ausstellung unter dem Titel "Das Judentum. Eine Welt voller Geschichten". Zu den kostbaren Leihgaben gehören zum Beispiel eine originale Schriftrolle vom Toten Meer aus dem Jerusalemer Israel-Museum, die älteste vollständig erhaltene Thorarolle aus dem Bestand der Berliner Staatsbibliothek sowie das Modell des Salomonischen Tempels, das zur Sammlung des Museums für Hamburgische Geschichte gehört.

In Fachkreisen gilt es als mittlere Sensation, dass das mit einer Grundfläche von 3,45 mal 3,45 Metern wohl größte Architekturmodell des europäischen Barock Hamburg überhaupt verlassen durfte. Noch im vergangenen Jahr hatte Museumsdirektorin Lisa Kosok eine Leihanfrage der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden abschlägig beschieden. Damals war in Dresden eine Ausstellung gezeigt worden, die unter dem Titel "Fragmente der Erinnerung. Der Tempel Salomonis im Dresdner Zwinger" die Geschichte des weltweit ersten jüdischen Museums rekonstruierte: Von Mitte des 18. bis Mitte des 19. Jahrhunderts bestand im Wallpavillon des Zwingers das "Juden-Cabinett", eine öffentlich zugängliche Sammlung mit jüdischen Kultgegenständen, deren Spitzenstück das Hamburger Tempelmodell gewesen war.

+++ Das Zukunftskonzept für Hamburger Museen steht +++

Während die Dresdner Ausstellung im vergangenen Jahr noch ohne das Original auskommen musste, hatte sich das Museum für Hamburgische Geschichte jetzt nach reiflicher Überlegung dafür entschieden, das berühmte Stück tatsächlich für drei Monate nach Amsterdam auszuleihen. Allerdings geschieht das unter strengsten Sicherheitsauflagen. Die Kunsthistorikerin Claudia Horbas, im Museum zuständig für die Barockzeit, sagte dem Abendblatt: "Das war keine leichte Entscheidung, aber selbstverständlich werden alle konservatorischen Standards genauestens beachtet. Und wenn wir das Modell jetzt in Amsterdam zeigen, trägt das dazu bei, es stärker ins öffentliche Interesse zu rücken."

Und das ist auch notwendig, denn die öffentliche Aufmerksamkeit und Wertschätzung in Hamburg steht bislang in krassem Gegensatz zum Wert und zur Bedeutung dieses barocken Kunstwerks, das im Museum am Holstenwall bisher eher schlecht als recht präsentiert worden ist. Dabei ist seine Geschichte ausgesprochen spannend: Geschaffen wurde das Modell um 1694 von namentlich nicht bekannten Handwerkern im Auftrag des Ratsherrn Gerhard Schott als "Schaustück" für die Oper am Gänsemarkt, in der damals ein Singspiel mit biblischem Inhalt aufgeführt wurde. Schon bald galt es als eine der wichtigsten Hamburger Sehenswürdigkeiten. Berühmtheiten wie Zar Peter der Große und auch der sächsische Kurfürst August der Starke haben es hier mit begehrlichen Blicken betrachtet. Jahre nach dem Tod seines Besitzers verkaufte dessen Erbe das Prunkstück 1724 nach London, wo es im Opernhaus am Haymarket besichtigt werden konnte.

1732 gelang es August dem Starken, das damals als "Finest Model of the Tempel of Salomon that has been seen" annoncierte Stück für Dresden zu sichern. Aber viel Freude sollte er nicht mehr daran finden: Am 10. Januar 1733 traf die Tempelnachbildung in der sächsischen Residenz ein, am selben Tag verließ August Dresden, um nach Warschau aufzubrechen, wo er am 1. Februar starb. Sein Sohn und Nachfolger August III. ließ das Modell 1734 im Wallpavillon des Zwingers aufstellen. Stadtbeschreibungen und Reiseführer würdigten das hölzerne Objekt im "Juden-Cabinett" als erstrangige Sehenswürdigkeit und schwärmten von seinem kunstvollen Detailreichtum. So wird zum Beispiel berichtet, dass ein Silberkügelchen beim Herunterrollen auf einer im Inneren des Modells eingebauten Wendeltreppe jede einzelne Stufe hörbar machte.

In offenbar jahrelanger Arbeit hatten die Hamburger Kunsthandwerker das Modell aus Eichen- und Tannenholz, Birnbaum, Birkenrinde, Blei- und Silberdraht hergestellt und sich dabei auf die berühmte Tempelrekonstruktion des spanischen Jesuiten Juan Bautista Villalpando gestützt. Auf der Grundlage der biblischen Angaben und eigener Fantasie hatte dieser 1605 ein Werk veröffentlicht, das mit Kupferstichen reich ausgestattet war.

Etwa 100 Jahre existierte das "Juden-Cabinett" im Zwinger, dann verloren die Museumsverwalter offenbar das Interesse daran. In den 1830er-Jahren löste man die jüdische Sammlung schließlich auf. 1843 wurde das Modell für den Spottpreis von 43 Talern an die Dresdner Kreuzkirche verkauft, die es zunächst in ihrer Bibliothek aufstellte und später an den "Königlich-Sächsischen Verein zur Erforschung und Erhaltung vaterländischer Altertümer" verschenkte. Dieser führte es in seinem Archiv zeitweise sogar als "Tempelmodell ohne Wert", verkaufte es dann aber für 2270 Goldmark nach Hamburg. Der Preis entspricht der heutigen Kaufkraft von etwa 11 735 Euro - für eines der größten kunsthandwerklichen Meisterwerke der Barockzeit ein absolutes Schnäppchen.

Einer größeren Öffentlichkeit wurde das Modell erst 1997 wieder bekannt. Damals zeigte das Museum eine Ausstellung zum Einfluss des italienischen Renaissance-Baumeisters Andrea Palladio in Nordeuropa. Bei der Vorbereitung untersuchten Restauratoren das Innere des Tempelmodells erstmals mit einer endoskopischen Kamera. Das faszinierende Ergebnis: Auch das Innere ist zum großen Teil detailgerecht ausgeführt, obwohl die Betrachter das von außen gar nicht sehen können. Man sieht lange Gänge, den Lichteinfall durch die unendliche Reihe der Fenster, Treppen und Höfe ganz so, als sei es kein Modell, sondern ein wirkliches Bauwerk. Diese erstaunlichen Details wurden auch sichtbar, als die Restauratoren des Museums im November dieses Jahres das Modell behutsam demontierten, um es für den Transport nach Amsterdam vorzubereiten.

Noch bis zum 15. April 2012 wird das Hamburger Wunderwerk in Amsterdams Nieuwe Kerk zu sehen sein, um dann nach Hamburg zurückzukehren. "Anschließend planen wir, das Tempelmodell gründlich zu untersuchen, zu erforschen und zu restaurieren", sagt Claudia Horbas. Wahrscheinlich werden die Restaurierungsarbeiten nicht hinter verschlossenen Türen stattfinden, sondern vor den Augen des Publikums, das dann buchstäblich hinter die Kulissen des Tempels sehen kann, der in Zukunft endlich so spektakulär, modern und ästhetisch präsentiert werden soll, wie er es verdient: als eine der größten Kostbarkeiten, die die Hansestadt besitzt.