Am Heiligen Abend starb Johannes Heesters mit 108 Jahren. Für seine holländischen Landsleute blieb er stets ein Nazi-Kollaborateur.

Hamburg. "Man hört nur von anderen, dass man alt wird", sagte Johannes Heesters im Abendblatt-Interview vor fünf Jahren. Damals saß er, 103 Jahre alt, beinahe vollständig erblindet, aber hellwach, in seinem Haus in Starnberg. Und widersprach allen Vorurteilen, dass man in seinem Alter doch nicht mehr auftreten müsse.

Kurz darauf, bei einem Liederabend in den Hamburger Kammerspielen, war "Jopie" zwar nicht mehr vollständig textsicher, aber der Auftritt machte ihm sichtlich Freude. Natürlich feierte er dann 2008 auch seinen 105. Geburtstag auf der Bühne, als er in der kurzen Rolle als Kaiser im "Weißen Rössl" im Winterhuder Fährhaus auftrat. Heesters erhielt Standing Ovations, doch das Publikum wusste nicht so recht, was ihm mehr imponierte: das Alter des Bühnen-Methusalems oder die künstlerische Lebensleistung des Berufscharmeurs.

Die 110 wollte er eigentlich noch schaffen, doch am Heiligen Abend dieses Jahres ist Johannes Heesters, geboren am 5. Dezember 1903 im niederländischen Amersfoort, dann doch gestorben; 108-jährig, an den Folgen eines Schlaganfalls.

+++Trauerfeier für Heesters am Freitag in München+++

Angeblich soll er den Grafen Danilo aus der "Lustigen Witwe" mehr als 1600-mal gegeben haben. Es war seine Paraderolle: der Gentleman und Verführer im Frack mit Fliege, weißem Seidenschal, Zylinder, einen Spazierstock mit Silberknauf in der rechten und ein Glas Champagner in der linken Hand. So kannten, verehrten, ja liebten ihn wohl die Deutschen, seitdem er 1935 nach Berlin gekommen war, um seine 1921 begonnene Schauspielerkarriere fortzusetzen. Für Heesters der denkbar beste Zeitpunkt, denn aufgrund der "Nürnberger Gesetze" klafften im nazideutschen Kulturleben große Lücken, da die meisten Künstler jüdischer Herkunft aus ihren Berufen entfernt worden waren und verfolgt wurden. Andererseits verfügte Heesters neben seinem blendenden Aussehen über ausreichend Talent und Filmerfahrung. Vor allem aber besaß er eine einschmeichelnde Tenor-Stimme mit hübschem holländischen Akzent.

So drehte Heesters bis 1944 mehr als 20 heiter-musikalische Spielfilme, die den Durchhaltewillen der Deutschen steigern sollten. Viele seiner Lieder wurden zu Evergreens: "Da geh ich ins Maxim", "Man müsste Klavier spielen können", oder "Durch dich wird diese Welt erst schön".

Nur seine holländischen Landsleute summten nicht mit, sondern nahmen ihm seine Nähe zu Hitler, Goebbels & Konsorten sehr übel. Die Nazis garantierten ihm schließlich Spitzengagen. Sie hätten ihn auch gern zum Vorzeige-Deutschen gemacht. Auf der Liste "unabkömmlicher Künstler", die ihn vor dem Kriegsdienst bewahrte, stand Heesters ganz oben.

Er selbst beschrieb sich dagegen immer wieder als "distanzierten Künstler ohne besondere Sympathien" für seine Auftraggeber. War er in jenen Tagen bei Gastspielen in Holland nicht sogar gemeinsam mit jüdischen Künstlern aufgetreten? Hatte er nicht Ärger mit dem Propagandaminister bekommen? Doch wenn er viele Jahrzehnte später erstaunlich respektvoll über "den Herrn Hitler" und "den Herrn Doktor Goebbels" fabulierte, wurde man nie das Gefühl los, dass er offenbar nicht wirklich realisieren wollte (oder konnte), welches Unheil die Nazis über die Welt gebracht hatten. Im Jahr 2008 verstieg er sich gegenüber einem holländischen Satiremagazin gar zur Bemerkung, "der Hitler ist ein guter Kerl gewesen". Die nachfolgende mediale Aufregung wurde am allerwenigsten von Heesters selbst verstanden. Vielleicht lag es an seinem Alter. Doch sein Verhalten zeigte - wie bei vielen anderen Künstlern, die im Dritten Reich erfolgreich waren - den großen Mangel an Verständnis und Mitgefühl für die Opfer des Gewaltregimes. Zu einem Versuch der Reflexion oder wenigstens einem faden Eingeständnis, einem verbrecherischen Regime auf den Leim gegangen zu sein, hatte sich Heesters nie durchringen können. Nicht zuletzt führte diese nicht vorhandene (oder absichtlich verschwiegene) Einsicht in seiner Heimat zum Vorwurf, er sei ein "Nazi-Kollaborateur" gewesen.

Seine stoische innere Ruhe und sein sorgloser Umgang mit der eigenen Vergangenheit hatten jedoch etwas Positives: Sie halfen ihm dabei, alt zu werden, denn quälende Selbstzweifel waren ihm fremd. Tatsächlich bestätigte Johannes Heesters sämtliche bisherigen Ergebnisse der modernen Altersforschung: Wie alt ein Mensch wird, bestimmen nur etwa zu 20 bis 30 Prozent die Gene. "Es gibt Schlüsselmoleküle für den Alterungsprozess in unseren Zellen. Können wir die beeinflussen, können wir die Lebensspanne beeinflussen", wird Thomas von Zglinicki, Professor für zelluläre Gerontologie am Institute for Ageing and Health in Newcastle, zitiert. Gerade Stressresistenz sei eins der Erfolgsgeheimnisse, hat auch die New-England-Centenarian-Studie bei den über 100-Jährigen herausgefunden.

+++Johannes Heesters: Ein Leben für die Bühne+++

Und Johannes Heesters? Er achtete darauf, ja nicht zu übertreiben, weder beim Essen, beim Trinken, beim Sport noch bei der Arbeit. Er trainierte seinen Körper und seine Stimme mäßig, aber regelmäßig. Er machte einfach immer nur weiter und tat das, was er immer getan hatte: auftreten, spielen, singen und sein mitalterndes Publikum um den Finger wickeln. "Routine", sagen Altersforscher, "macht das Leben zwar langweiliger, aber dafür auch länger."

Als weitere positive Komponenten für ein langes Leben nennen die Gerontologen "Glück", aber auch "Sex" sowie "lange Paarbeziehungen": Dank des Fernsehens hatte Heesters das Glück, seine Popularität über das Kriegsende hinweg zu retten und mit atemberaubender Kontinuität zu einem der gefragtesten Entertainer der Bundesrepublik zu werden. Im Laufe der Jahrzehnte wurde er mit Preisen und Ehrungen überschüttet. Letztlich wurde er zu einem Denkmal der Beständigkeit, das sogar vom Tod vergessen schien.

Privat war der große Verführer ein Familienmensch. Seine erste Ehe mit Louise (sie starb 1985) hielt 55 Jahre; aus ihr gingen zwei Töchter hervor: die Pianistin Wiesje Herold-Heesters, die in Wien lebt, und die Hamburger Schauspielerin Nicole Heesters. Sie ist zwölf Jahre älter als seine zweite Ehefrau Simone Rethel. Die heiratete er 1992, mit 89 Jahren. Damals auf den Altersunterschied von 46 Jahren angesprochen, ob er sich denn noch Kinder vorstellen könnte, antwortete Heesters verschmitzt "Och, das hat noch Zeit!"