John Neumeier choreografiert “Liliom“ nach Ferenc Molnárs Theaterstück. Am Sonntag wird das Werk in der Staatsoper uraufgeführt.

Staatsoper. Ballett ist eine Kunst ohne Worte. Es lebt durch die Ausdruckssprache des Körpers, kann aber nicht von der Vergangenheit erzählen, nur von der Gegenwart. Vom Augenblick, in dem sich Tanz auf der Bühne ereignet. Lässt sich John Neumeier durch ein Schauspiel zu einer Choreografie inspirieren, wie jetzt für "Liliom", sucht er nach eigenen Wegen, das Drama und seine Figuren für den Tanz zu entdecken. Passende Erzählformen für die Zeichnung der Charaktere und deren innere Welt zu finden. In "Liliom" beschäftigen Neumeier als zentrales Thema - wieder einmal - die Rätsel und Widersprüche in der Liebe.

"Julie und Liliom sind zwei Seelen, die ihren Platz in der Gesellschaft und Realität nicht finden und über ihre Liebe nicht sprechen können", sagt der Choreograf über die Hauptfiguren seines Balletts. Das Dienstmädchen Julie und der Ringelspielausrufer Liliom lernen sich auf dem Jahrmarkt kennen. Aus Liebe zu ihr verlässt er die Karusselbesitzerin Frau Muskat und seinen Job. Frustriert von Armut und Arbeitslosigkeit, unzufrieden mit sich, schlägt er Julie, die ein Kind von ihm erwartet, und gerät auf die schiefe Bahn. Ein versuchter Raub geht schief, Liliom ersticht sich vor der Verhaftung. Erst dem toten Mann bekennt Julie ihre Liebe.

In Neumeiers Inszenierung zur Musik Michel Legrands tanzen Gaststar Alina Cojocaru vom Royal Ballet London und Carsten Jung das Liebespaar im Glück und Unglück. ",Liliom' handelt von einfachen Menschen in existenzieller Not", erklärt der Choreograf. Er hat Molnárs Stück von 1909 ins Amerika der Depressionszeit in den 30er-Jahren des vorigen Jahrhunderts verlegt - ähnlich wie im Musical "Carousel", das Rodgers/Hammerstein nach der "Liliom"-Vorlage herausbrachten. In der Filmversion hatte "Carousel" den jugendlichen Neumeier schon schwer beeindruckt. Seither dachte er immer wieder an eine "Liliom"-Produktion als Ballett oder Musical.

Mit Michel Legrand, den Neumeier bei seinen Pariser Gastspielen kennenlernte, realisiert er eine getanzte "Liliom"-Fassung. Der berühmte französische Jazzmusiker, Songschreiber ("The Windmills of Your Mind") und Oscar- prämierte Filmkomponist ("Yentl", "Thomas Crown ist nicht zu fassen") schrieb im Auftrag des Hamburg Ballett die Partitur für Orchester und NDR-Bigband, die auf der Bühne spielt. Ein Akkordeon wählte Legrand als Begleitung für die Titelfigur, Jazz-Rhythmen bringen Swing in Lilioms Pas de deux auf dem Jahrmarkt mit der lasziven und eifersüchtigen Geliebten Frau Muskat (Anna Polikarpova).

Den Rummelplatz nennt Neumeier Playland - eine Reminiszenz an den ehemaligen Vergnügungspark in Coney Island. Dort suchten die Menschen in der schwierigen Zeit Ablenkung und Spaß. Für Neumeier symbolisiert der Ort aber auch eine andere, magische Welt, verkörpert im Mann mit den Luftballons (Sasha Riva) oder im traurigen Clown Weary Willie, einer historischen Figur dieser Krisenjahre. Der Artist Emmet Kelly gab dem Spaßmacher in zerschlissener Kleidung ein neues, trauriges Gesicht. Er spiegelte in seiner Figur die Überlebenskünste der Hobos, der Wanderarbeiter. Emmets "Müder Willi" wie auch der Ballon-Mann spuken und wandern durch Neumeiers Ballettlegende.

Diese Figuren wie auch Lilioms Sohn Louis (Aleix Martínez) kommen in Molnárs Stück nicht vor, sie sind Neumeiers Erfindung für sein sozialkritisches Ballett. Genauso wie die Szenen vor der Job Agency, den amerikanischen Beschäftigungsbüros, die damals von den hungernden und Arbeit suchenden Menschen belagert wurden.

Sie werben mit beschrifteten Schildern um eine Beschäftigung und preisen sich an: "Work is what I want". Historische Fotografien, die Präsident Franklin Roosevelt in Auftrag gegeben hatte, brachten Neumeier auf die Idee zur Männer-Gruppen-Szene, die Legrand mit Schlagzeug-Kompositionen rastlos und verzweiflungsvoll antreibt.

Auf Film oder Video verzichten der Bühnenbildner Ferdinand Wögerbauer und Neumeier völlig - vielleicht gerade deshalb, weil den Choreografen der "Carousel"-Film und einige Songs so beeindruckt haben. Er will die bittere, aber auch poetische Liebesgeschichte von Liliom und Julie ohne multimediale Tricks alleine über die Musik, die Bilder und den Körperausdruck der Ballett-Kunst erzählen.

Liliom Uraufführung So 4.12., 18.00, Staatsoper (U Gänsemarkt), Dammtorstraße, Premiere ausverkauft, weitere Vorstellungen am 6., 10., 19., 20.12., sowie 5. u. 6.1.2012, Karten zu 4,- bis 79,- unter T. 35 68 68; www.hamburgische-staatsoper.de