Er ist John Neumeiers “rechte Hand“. Der Ballettmeister Kevin Haigen betreut momentan die Proben zu Mahlers Dritter Sinfonie.

Hamburg. Die ganze Stadt schwärmte für seinen "Romeo". Kevin Haigen gehörte zu den strahlenden Tanzstars in John Neumeiers Compagnie. Wie der angehimmelte Solist die zahllosen Partien darstellerisch und technisch sich anzueignen verstanden hatte, so wuchs er auch in die Rolle des Ballettmeisters und Pädagogen hinein. Seit 20 Jahren unterrichtet der Amerikaner an der Ballettschule; er gibt seine Solopartien an jüngere Generationen weiter und betreut Wiederaufnahmen wie jetzt die Dritte Sinfonie von Mahler. Außerdem ist Neumeiers "rechte Hand" seit September künstlerischer Leiter des Bundesjugendballetts.

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Die Aufgaben und der volle Terminkalender scheinen Kevin Haigen nicht zu belasten. Er feiert diesen Sonntag seinen 57. Geburtstag, wirkt aber zehn Jahre jünger, besonders dann, wenn ihn die Begeisterung beim Reden über den Tanz mitreißt. Haigen sprüht geradezu vor Energie im Nijinsky-Saal des Ballettzentrums. Nach der regulären Probe arbeitet der Ballettmeister noch geduldig mit der zweiten Besetzung an einem Duo in der Dritten. Neumeiers Ballett handelt vom Zyklus des Lebens, von Tod und Verlust und dem Sieg der Liebe über das Leid. Das der Compagnie gewidmete Signaturstück hält Haigen für ein Paradebeispiel für Neumeiers Tanzkunst. Im zweiten Satz, der die Erneuerung des Lebens und der Natur im "Frühling" nach der kriegerischen Aggression des Eröffnungssatzes spiegelt, hat er einen Pas de deux mit Marianne Kruuse getanzt.

"Die Kunst ist größer als der Tänzer", lautet mit Neumeiers Philosophie auch Haigens Credo. Der Tanz sei heute viel zu sehr zum Geschäft geworden, müsse wieder Kunst sein, die berühre. "Zu tanzen bedeutet nicht virtuos, sondern ein demütiger, ehrlicher Künstler zu sein." Das versucht er seinen Studenten und den acht Tänzern in der Jugend-Compagnie zu vermitteln. "Sie müssen lernen, über ihr Ego zu springen. Es ist sehr schwierig, ganz man selbst und einfach zu sein", sagt er und verrät ein Geheimnis des Großmeisters der Grazie, als der er oft gerühmt wird.

Jeder Tag sei für den Tänzer eine Herausforderung, die beim Training beginne. "Man muss sich mit den Übungen identifizieren", erklärt der Ballettmeister. "Du bist die fünfte Position, sage ich, das ist kein Sport oder Wettbewerb mit anderen." Technik bedeute nicht, möglichst hoch zu springen, sondern eins mit sich zu werden, eine Persönlichkeit zu sein und zu wissen, "warum man einen Schritt macht". Es gehe nicht um "akrobatische Zirkuskünste", sondern darum, vom "Menschen zu erzählen", wie Mahler den vierten Satz seiner Dritten überschreibt.

Die Tanzkunst dürfe jedoch nicht stehen bleiben. Ihre Zukunft sieht Haigen in neuen Choreografien, deswegen ist er 1976 aus New York nach Hamburg gekommen. Nach der Bühnenkarriere und einigen Jahren als Gasttänzer, unter anderen bei Maurice Béjart in Lausanne, geht Haigen völlig in seinen Aufgaben auf: "Ich unterrichte nun 20 Jahre lang, aber ich lerne noch immer - vor allem von meinen Schülern. In den Fehlern meiner Studenten kann ich manchmal meine eigenen erkennen." Haigens eigentlicher Erfolg ist: Er bleibt als Künstler und Mensch in Bewegung.

Dritte Sinfonie von Gustav Mahler: 10., 18., 21.11., 19.30, Staatsoper, Karten unter T. 35 68 68