Eindringlich und fesselnd ist Luk Percevals “Macbeth“ am Thalia. Nur wer Action erwartet, wird enttäuscht werden. Applaus für die Schauspieler.

Hamburg. "Macbeth" gilt als das größte Unheilsdrama William Shakespeares. Das Stück über maßlosen Ehrgeiz, in dem Macbeth und seine Frau beschließen, König Duncan zu ermorden, um dann, als sie selbst auf dem Thron sind, weitere Mordtaten folgen zu lassen, ist auch eine Expedition in die Innenwelt eines sich erstmals selbst bestimmenden Menschen.

Regisseur Luk Perceval hat Shakespeares späteste Tragödie nun am Thalia-Theater in einer sehr entkernten und reduzierten Fassung auf die Bühne gebracht, als Koproduktion mit der Ruhrtriennale.

Keine Bluttat, die immerzu neue Bluttaten fordert, ist da zu sehen. Und auch kein Hexenzauber. Die Akteure sind in schwarze Anzüge gekleidet (Kostüm: Ilse Vandenbussche), sie huschen, rasen oder bleiben wie erstarrt stehen auf der von Soldatenschuhen belegten Bühne (Annette Kurz), über der sich ein Monument aus Tischen türmt. Eine gott- und sinnverlassene Wüste ist die Welt Macbeths, düster, freudlos, unwirtlich. Kein Ort zum Verweilen.

***Thalia-Theater: Macbeth mal ohne Blutorgien***

***"Macbeth": Überzeugend, aber nicht unanstrengend***

Theaterleute glauben seit Langem, das Stück bringe Unglück. Denn Macbeth ist sicher der unglücklichste aller shakespeareschen Helden. Mord ist das Thema des Dramas: König Duncan, Banquo, Lady Macduff und ihre Kinder sind die Opfer. Mord zeugt fortwährend Mord. Und all das, weil drei Hexen Macbeth prophezeiten, er werde einmal König. "Macbeth" ist also auch das Drama einer lebhaften, allzu großen Fantasie. Der ganze Horror des Stückes ist ein Horror der Einbildungskraft. Zwischen der wirklichen Tat und dem, was Macbeth in seiner Fantasie der Hexenprophezeiung sieht, klafft eine Lücke, in der Macbeth völlig willenlos ist.

Genau das zeigt Luk Perceval in seiner Inszenierung. Macbeth, der zu Beginn des Dramas aus der Schlacht kommt, wird offensichtlich von Bildern des Kriegsgrauens verfolgt. Lange steht er starr und stumm am Bühnenrand. Im Hintergrund Banquo und Macduff (Julius Feldmeier). Und alle haben Kinder. Banquo ist bei Alexander Simon zudem ein angenehm viriler Charakter, weitaus mehr Mann als der Trauerkloß Macbeth.

Freud glaubte, im Fluch der Kinderlosigkeit von Macbeth und Lady Macbeth liege letztlich das Motiv zum Königsmord. Denn die Hexen haben Macbeth nicht nur prophezeit, er werde König. Sie haben auch gesagt, dass sein Freund Banquo Vater eines Stammes zukünftiger Könige werden würde. Fortan wütet sich Macbeth nicht nur auf den Thron, sondern auch gegen alle und alles, was Kinder hat, fruchtbar ist und überleben wird.

Bruno Cathomas gibt den Macbeth als verstörten, beinahe autistischen Kriegsheimkehrer zwischen Apathie und Aggression. Ein Klotz, oft nicht ansprechbar, dann wieder explosiv, rachsüchtig, besessen. Dass er seine Hände mit Blut befleckt, sieht man nicht. Nur einmal, als ihm Wein eingeschenkt wird, mehr und immer mehr über das längst volle Glas hinaus, läuft der rote Saft über seine Hände und lässt ihn beschmutzt zurück.

Seine Lady Macbeth spielt Maja Schöne mit Sinnlichkeit und Temperament. Beide sind durch unbedingte Liebe verknüpft, aber durch ihre Kinderlosigkeit traumatisiert. Nähe entsteht bei ihnen durch das gemeinsame Töten. Die Tat des Paars ist ihre Umarmung. Die Lady stachelt ihn an: "Ab heute seh ich auch deine Liebe so. Hast du Angst, derselbe im Vollzug zu sein, der du auch im Begehren bist?" (nämlich ein Schlappschwanz). Weil Macbeth kein neues Leben zeugen kann, vernichtet er Leben. Die Leidenschaft der Macbeths speist sich aus etwas Frustriertem. Eine solche Erotisierung des Verbrechens gibt es nur beim Paar als Täter.

Man sieht, wie Maja Schöne ihren Mann umgirrt, aber auch, wie sie selbstbewusst agiert. Man sieht Bruno Cathomas schluchzen, als sie ihn an ihr totes Kind erinnert. Das, was männlich und weiblich ist, verliert hier seine Differenz. Und beide sind sie auch über den Unterschied von Gut und Böse hinaus. Ihre Strafe aber ist die innere, die seelische Zerrüttung. Jede äußerlich angewandte Gewalt schafft innere Dämonen.

Perceval und sein Ensemble haben sich hier klug entschieden und zeigen kein Paar, dessen Liebe sich in Hass verwandelt, oder auch Mann und Frau, die gegeneinander operieren. Zum kriegstraumatisierten Macbeth kommt nun das Trauma der Lady: Nach dem Mord an König Duncan (den Peter Maertens als freundlichen, älteren Herrn gibt) wendet sich ihr Mann immer stärker von ihr ab. Es treibt sie in den Wahnsinn, den Maja Schöne glücklicherweise sehr dezent anspielt. Sie ist keine Irre, allenfalls eine Alkoholikerin. Beide bleiben einander verbunden, tanzen eng umschlungen stumm miteinander. Dass die Lady bereits tot ist, bemerkt Macbeth nicht.

Das muss ihm erst ein anderer sagen. Macbeth, der weder in der Liebe noch im Töten einen Sinn gefunden hat, schäumt wütend über die Sinnlosigkeit der menschlichen Existenz, wonach das Leben nichts anderes sei als ein Märchen aus dem Mund eines brabbelnden Idioten, "lauter Lärm und Wut und ohne Bedeutung". Einer furchtbaren Tat folgt der furchtbare Absturz ins Nichts. Denn nicht die Morde, das Töten der anderen, stehen im Mittelpunkt des Dramas, sondern die Selbstzerstörung.

Luk Perceval zeigt eine strenge, sehr eindringliche Interpretation des Stückes, der man aber wohl nur folgen kann, wenn man den Inhalt kennt. Denn er hat alles verknappt, verkürzt, auf weniger als zwei Stunden gestrichen. Unterhaltsam ist das Thema natürlich nicht. Doch ungeheuer fesselnd. Immerhin operiert ja Shakespeare mit der Aura des Mörderischen so subtil, dass man sich weniger mit den Opfern als mit den Tätern identifizieren kann. Im Zuschauerraum war's mucksmäuschenstill, wie bei einem Kammerspiel. Im Rang allerdings konnte man wohl nicht immer alles verstehen.

Eindringlich, überzeugend, aber nicht unanstrengend ist dieser Abend. Die Schauspieler wurden heftig gefeiert. Für Regisseur Perceval gab es auch ein paar kräftige Buhs. Manch ein Zuschauer war vielleicht frustriert, weil es viel zu wenig Action gab in diesem so vielversprechend blutrünstigen Stück. Stattdessen Flüstern, Warten, leise Töne. Dieser Macbeth, den Shakespeare auch als Gegenspieler zu Hamlet angelegt hat, ist sehr vergrübelt. Der ewig zögernde Hamlet hat erst Gewissensbisse, dann verübt er die Tat. Macbeth dagegen verübt zuerst die Tat, dann folgen ihr Gewissenbisse. Möglicherweise ist Percevals Macbeth zu sehr Hamlet. Seine "Hamlet"-Inszenierung kann man am Thalia allerdings auch sehen.

Macbeth: Nächste Vorstellungen am 30.10., 8. und 24.11. jew. 20 Uhr, Karten unter www.thalia-theater.de oder Tel. 32 81 44 44