Was war vor dem Humoristen Loriot, was wird nach seinem Tod von ihm bleiben? Eine Kulturgeschichte des deutschen Fernsehhumors.

Hamburg. Die virtuelle Trauergemeinde ist auf Zack. Bei manchen Loriot-Sketchen, die dieser Tage auf YouTube laufen, wird in den ersten Sekunden ein pietätvolles "In memoriam" eingeblendet. So viel Stil im Netz ist ungewöhnlich. Er zeigt, wie sehr der große Komödiant Vicco von Bülow, der am vergangenen Montag mit 87 Jahren gestorben ist, auch von der Enkel- und Urenkelgeneration verehrt wird, die mit gänzlich anderer humoristischer Fernsehkost aufgewachsen ist. Und an manchen Kommentaren der Nutzer lässt sich ablesen, dass ihnen die Fallhöhe gegenüber dem, was heute als lustig gilt im deutschen Fernsehen, sehr wohl bewusst ist.

Wo etliche Anstalten, nicht nur die von Harald Schmidt mit kaltem Spott als "Unterschichtenfernsehen" identifizierten Privaten, den offenbar grenzenlosen Amüsierwillen des Publikums in allerlei Formaten bedienen, müsste es komische Talente im Überfluss geben - und es gibt sie auch, von Anke Engelke bis zu Kurt Krömer. Doch kaum einer von den Jungen reicht an den Altmeister heran.

Es ist nicht ihre Schuld, die Zeiten sind so anders. Loriot begann seine Laufbahn im Fernsehen in einem Alter, da mancher Moderator heute seine beste Zeit längst hinter sich hat, mit 44 Jahren. Es war kein Zufall, dass seine erste Fernsehsendung "Cartoon" in jenem Jahr 1967 ausgestrahlt wurde, als in Berlin mit dem erschossenen Benno Ohnesorg die Studentenunruhen begannen. Die Sketche Loriots, dieses wunderbaren Aristokraten des Humors, bilden neben der Satirezeitschrift "Pardon" eine Schicht des geistigen Humus, auf dem die 68er-Bewegung und die sozialliberale Republik gediehen.

Neben das Kabarett, das oft eher mit dem Schwert als mit dem Florett gegen politische Missstände zu Felde zog und Verkrustungen im Westdeutschland Adenauers aufzubrechen suchte, trat unvermittelt ein eleganter, hintergründiger Witz, dessen Zielscheibe nicht die Politik war, sondern die Verhaltensweisen und Marotten des gemeinen Bürgers und all seiner hinreißenden loriot'schen Sonderlinge. Und die Bühne war nicht mehr das kleine Theater, es war der Bildschirm.

Die beiden großen Vorläufer Loriots und späten Zeitgenossen seiner Anfänge im Fernsehen waren Heinz Erhardt und Peter Frankenfeld. Beider Karrieren hatten noch vor dem Zweiten Weltkrieg begonnen, und beider komödiantische Hauptbegabung lag in der Sprache. Erhardt, der auch Schauspieler und Musiker war, trug seine Verse zwischen Dada-Poesie und Kinder-Abzählvers gern zu Musikbegleitung vor. Frankenfeld, Radiomann durch und durch, war ein Virtuose fast mehr noch des Sprechens als der Sprache. Und beide arbeiteten überwiegend live. Die Sketche Loriots, der als Zeichner ein geschärftes Verhältnis zum Bild hatte und Worte zur Verfertigung seiner Komik weniger notwendig brauchte, wurden ohne Zuschauer gedreht, auch die feingeistig-süffisanten Moderationen vom grünen Sofa zeugen vom kühlen TV-Perfektionswillen des Komödianten.

Frankenfeld und Erhardt kamen von der Show, sie waren Rampensäue. Sie liebten es, spontan aufs Publikum zu reagieren. Kleine Redundanzen in ihren Ansagen unterstrichen nur den Live-Charakter. Die Sketche Loriots dagegen, des eigentlich Schüchternen, wurden zum Kult, gerade weil jedes Wort, jede Geste, jede Pointe sorgfältigst einstudiert war wie ein Kammerspiel und keinerlei Irritation durch ein lachendes Publikum zuließ.

Frankenfeld, der mit seinen groß karierten Sakkos wohl auch der klein karierten Zeit der 50er-Jahre zu entkommen suchte, konnte fabelhaft Dialekte bis zum Siebenbürgischen nachmachen. Bei Loriot ist es nie die Mundart, es sind skurrile Redeweisen ("Die Steinlaus"!), Redestile und Sprachfehler im Hochdeutschen, die (auch) für Gelächter sorgen.

Während Evelyn Hamann als Fernsehansagerin in einem Loriot-Sketch graziös und ohne sich das Leiseste anmerken zu lassen fortwährend über die rechte Verwendung des th und s im Englischen stolperte, trieb Peter Frankenfeld mit seinem von herrlichsten Versprechern übersäten Vortrag der Ballade "Die Bürgschaft" (Schriedrich von Piller, äh, Friedrich von Striller) dem Publikum im Saal und zu Hause an den Fernsehgeräten die Lachtränen ins Gesicht. Müsste man entscheiden, welche der beiden dramaturgisch ähnlichen Nummern in den Kanon unverzichtbaren deutschen Fernsehhumors gehört, wäre Loriots perfekte Miniatur wohl im Vorteil.

Ende Oktober 2007 war Vicco von Bülow in die Talkshow von Reinhold Beckmann eingeladen, die Sendung wurde aufgezeichnet. Zwei Tage vor der Ausstrahlung starb plötzlich Evelyn Hamann, von Bülows kongeniale, 18 Jahre jüngere Fernsehpartnerin. Loriot, damals schon eine halbe Ewigkeit im TV-Ruhestand, sprach dem flugs zu ihm an den Ammersee gereisten Moderator Beckmann ein paar Sätze für eine nachgereichte Würdigung in die Kamera. Sie endeten mit der charmantesten Drohung, seit es Nachrufe gibt: "Liebe Evelyn, dein Timing war immer perfekt, nur heute hast du die Reihenfolge nicht eingehalten. Na warte!"

Zu gern wüsste man, was die beiden nun im Komödiantenhimmel miteinander reden, wo die Engel bestimmt Hosianna und Halleluja singen, dass das Dream-Team der 70er-Jahre-Komik von allen irdischen Fesseln befreit unter ihnen weilt. Ob sie wohl fernsehen, da oben? Erleichtert, dass das Geschäft mit der Komik nun andere besorgen?

"Aller Unfug ist schwer" - diesen Satz Peter Frankenfelds wird jeder blind unterschreiben, der mit Komik im weiteren Sinne sein Geld verdient.

Jeder? Bei den nachgeborenen Spaßmachern der Fernsehnation hat man da seine Zweifel, und sie werden umso größer, je größer die Hallen sind, in denen die Protagonisten auf Gelächter und Beifall rechnen, "dieses wunderbare Geräusch", wie Heinz Erhardt den Applaus nannte. Stadionfüller Mario Barth ist mit seinem sexistischen Schenkelklopferhumor von der Kunst der loriot'schen Andeutung, vom Implosionsgelächter, das viele seiner Studien der Alltagskomik auslösen, wohl weiter entfernt als alle anderen. Und keiner ist ihm näher als Olli Dittrich, nicht nur in der beliebten Rolle als Bademantelphilosoph Dittsche.

Bis zum Erscheinen von Ekel Alfred und der von Wolfgang Menge erdachten Serie "Ein Herz und eine Seele", der Mutter aller deutschen Sitcoms, blieb Loriot im Deutschen Fernsehen die einsame Größe des Humors, deren allzu seltenem Erscheinen auf dem Bildschirm ein Generationen überspannendes Publikum entgegenfieberte. Zugegeben, er spielte nicht alein, und seine Darsteller waren köstlich. Aber sie besaßen außerhalb des loriot'schen Kosmos kein Eigenleben, sie waren Typen. Mit Jürgen von Manger als querschädligem Ruhrpott-Bewohner Alfred Tegtmeier existierte schon zu Loriots Anfängen Komik-Konkurrenz im Fernsehen; doch Tegtmeier war eine brillant gespielte und gesprochene Einzelfigur, Loriot dagegen ein Chamäleon, das sich in den komischsten Verkleidungen und mit den schrägsten Frisuren dem Gelächter der Fernsehzuschauer preisgab.

Die Gabe der rückhaltlosen Selbstverwandlung hat nach Loriot niemand weiter getrieben als Hape Kerkeling, der, ob als Königin Beatrix oder als Horst Schlämmer, weder Angst vor Hässlichkeit kennt noch Gendergrenzen. Kerkelings doppelbödiges Bonmot, demzufolge auch Lustigkeit keine Grenzen kennt, weist ihn als geistigen Erben Loriots aus, der, Vorrecht der Nachkommen, etwas schärfer zur Sache geht als der Patriarch.

Wer Otto Waalkes den Loriot für die U-30-Generation nennt, bezeichnet mit dem Fortgang der Generationen den Wechsel der Leitfiguren - und kommt doch um den Ahnherrn nicht herum. Auch der Friesenjung verneigte sich bereits zu Lebzeiten fleißig vor dem preußischen Adligen, der sich weise schon früh vom Fernsehen zurückzog. Otto weiß, dass Loriot auch seinem Publikum den Weg geebnet hat, und er muss anerkennen, dass der Ältere zum Klassiker wurde, ohne je am Tropf der Gagschreiber der Neuen Frankfurter Schule gehangen zu haben.

Zu Loriots Größe gehört, dass er wie der gute Geist des Lachens weit über jener Demarkationslinie schwebt, die mit dem Aufkommen des Privatfernsehens die Kabarettisten (seriös) von den Comedy-Stars (flach) schied. Während sich die kabarettistische Altherrenriege um Dieter Hildebrandt tapfer an den gewissenlosen und zotengeilen Spaßvögeln von Sat.1 und RTL die dritten Zähne ausbiss, eroberten diese ein Vielfaches an Publikum von dem, das den Kabarettisten alter Schule weggelaufen war. Tröstlich zu wissen, dass die guten unter den Klamaukmeistern wie Tom Gerhardt gelegentlich das Gewissen zwickt und sie in stillen Stunden das Maß ihrer meist auf Kosten anderer gehenden groben Späße an der Noblesse von Loriots Humor neu auszurichten versuchen.

Weil Loriot nicht auf allen Feldern der Komik brillierte und bei aller ausgewiesenen Begabung das Spaßmachen mithilfe der Musik sein ließ (und stattdessen lieber spät dirigierte und Opern inszenierte), kann die Musik-Comedian Helge Schneider größtmögliche Entfernung vom Stammvater behaupten. Schneider ist in seiner störrischen Anarchie auch mundartlich näher an Jürgen von Manger.

Wiglaf Droste hat in seinem knappen Nachruf auf Loriot in der "Jungen Welt" Harald Schmidt die Anwartschaft auf den nun wirklich vakanten Thron im Königreich des deutschen TV-Gelächters streitig gemacht mit dem Argument, Schmidt habe sich durch seine Ranschmeißerei an die Werbewirtschaft selbst diskreditiert. Tatsächlich wäre etwa eine Hundefutterwerbung mit Loriot zwar theoretisch möglich gewesen wie das Leben ohne Mops, aber ebenso sinnlos, weil Loriots Parodie derselben mit Sicherheit ungleich lustiger ausgefallen wäre als das Original.

Bleibt Olli Dittrich. Er ist auf weiter Flur der Einzige, der Loriots Platz einnehmen könnte. Seinen Segen hätte er.