Gary Shteyngarts satirischer Roman “Super Sad True Love Story“ beschreibt den Untergang der USA, sein Held ist ein Kauz: Er liest Bücher!

Hamburg. Gary Shteyngart ist ein Pechvogel mit schlechtem Karma, er sagte jüngst in einem Interview: "Jedes Reich, in das ich einen Fuß setze, zerfällt." Shteyngart wurde 1972 in Leningrad geboren, als Siebenjähriger wanderte er mit seinen Eltern nach Amerika aus. Was mit dem, was früher einmal die Sowjetunion war, passiert ist, ist Geschichte. Was mit Amerika passiert, ist Fiktion und Shteyngarts Fantasie entsprungen. Sie schlägt in dem nun auf Deutsch erscheinenden Roman "Super Sad True Love Story" Kapriolen.

Unglaubliche, erschütternde, tragikomische Kapriolen: Wenn man Shteyngarts große Satire für bare Münze nähme, hätte man gleich überhaupt keine Lust mehr auf die Zukunft. Bei Shteyngart ist Amerika mächtig in der Bredouille. Eigentlich gibt es das (zurzeit noch) wichtigste Land der Welt gar nicht mehr als selbstständiges Gebilde - es gehört quasi den Chinesen.

Die Amerikaner sind hoch verschuldet, und dann bricht das Land einfach zusammen. Wer immer schon Angst hatte vor der neuen Supermacht China, der darf bei der Shteyngart-Lektüre nun nach Kräften bibbern. Der Bürgerkrieg als Finale: Shteyngart entwirft, wie schon in seinen älteren Romanen (etwa "Snack Daddys abenteuerliche Reise"), eine rauschhaft-absurde Kulisse, in der seine Protagonisten überfordert herumstolpern dürfen.

Vielleicht hat man aber gar nicht mehr die Energie, das Schicksal Amerikas zu betrauern, weil man viel zu sehr mit den zwischenmenschlichen Gepflogenheiten beschäftigt ist, die uns laut Shteyngart blühen könnten.

Denn Shteyngart hält unserer Gegenwart einen bösen Zerrspiegel vor. Die Menschen dieses Zukunftsromans (man würde ihn gerne als Science-Fiction bezeichnen, aber er wirkt viel realer als "Raumschiff Enterprise") sind nämlich längst nicht nur der modernen Kommunikationstechnologie ausgeliefert. Sie haben die virtuelle Realität längst in die sinnliche Wirklichkeit inkorporiert. Die Figuren in "Super Sad True Love Story" senden fortwährend ihre persönliche Wirklichkeit in die Welt hinaus, und sie holen sie auch so in ihr Leben hinein. Gleichzeitig bloggen sie immer alles.

Jeder besitzt einen "Äppärät", gegen den ist das iPhone ein Technikgerät aus der Steinzeit. Wer weiß schon, ob Shteyngarts fantasierte Zustandsbeschreibung tatsächlich nur eine Übertreibung darstellt, manches kommt einem doch sehr bekannt vor: Die Privatsphäre in "Super Sad True Love Story" ist eine Brachlandschaft, das Subjekt so extrovertiert wie nur irgend möglich.

So sind wir, müssen wir sein, wollen wir in der Jetzt-Zeit leben. Und so geht es auch Lenny. Lenny Abramov ist der (Anti-)Held des Romans. Ein altmodischer, gut abgehangener Mann, der mit knapp 40 fast schon seniorenmäßig anmutet, denn in New York regiert der Jugendwahn. Lennys Chef, der reichen Klienten Unsterblichkeit verkauft, wird dank nicht näher erläuterter medizinischer Methoden immer jünger.

Lenny tut sich eher schwer mit der technologisch gesteuerten Welt. Kein Wunder. Der "Äppärät" ist das Tor zur Welt - und den Geheimnissen der Menschen. Kaufverhalten, Lieblingskonsumartikel, Sexvorlieben, nichts bleibt geheim. Wer in eine Bar kommt, kennt sofort seinen Wert, die "Äppäräte" schicken ununterbrochen Rankings hin und her. Man braucht Rankings, um seinen Platz in der Welt zu kennen. Über das Vermögen des anderen weiß auch jeder Bescheid, auf "Kreditmasten" leuchten die jeweiligen Bonitäts-Werte.

Shteyngart erzählt die Liebesgeschichte zwischen Lenny und der wesentlich jüngeren Eunice Park. Die junge Dame ist 24, Studentin (Hauptfach: "Images", Nebenfach: "Selbstsicherheit") und ein Kind ihrer Zeit, sie shoppt unaufhörlich im Internet und hat auch sonst nichts dagegen, dass die Welt ist, wie sie ist - ein Netz aus Oberflächlichkeiten und Hipness-Zwängen.

Lenny dagegen ist tiefgründig, aber aus Sicht der anderen macht gerade das ihn verdächtig. Lenny liest Bücher, und das in einer Zeit, in der Scannen die wichtigste Kulturtechnik geworden ist. Wer liest, wird gesellschaftlich geächtet. Die Beziehung mit der illiteraten Eunice muss einiges aushalten: "Es hatte ein bisschen geknirscht nach meinem letzten Rückfall ins Bücherlesen", gesteht Lenny einmal in seinem Tagebuch, das der eine Handlungsträger des Romans ist. Der andere ist die E-Mail-Korrespondenz Eunices. "Du musst aufhören, Bücher zu kaufen", sagt ein Freund. Als wäre es eine Todsünde.

Shteyngarts Roman ist hyperbolisch, die Erzählstimme sarkastisch, und auch aus der Penetranz der Running Gags schöpft der Text seine Komik.

Ob der melancholische Ton satirisch oder ernst ist, ist nicht leicht ersichtlich: "Ich erinnere mich, die Times in der U-Bahn gelesen, sie unbeholfen gefaltet zu haben, während ich, an die Tür gelehnt, dastand, ganz von den Worten gefangen und doch auch besorgt, ich könnte umfallen oder über irgendeine leicht bekleidete Schönheit stolpern (eine war immer mindestens in der Nähe), aber noch besorgter darüber, dass ich den Faden des Artikels, den ich gerade las, verlieren könnte, mein Rückgrat knalle gegen die Waggontür, um mich herum schepperte und dröhnte die mächtige Maschinerie, und ich, mit meinen Worten, war herrlich allein." Zeitungen gibt es nicht mehr, die ehrwürdige "New York Times" heißt "Lifestyle Times".

Und ja, Amerika "steckt tief in der Scheiße", die Chinesen, die sind schuld. Am Ende sind es die Armen, die sich gegen das Kapital erheben. Natürlich verlieren sie in den Straßenschlachten gegen ein System, das Panzer an jeder Kreuzung postiert.

Die Krisenbeschreibung hat nichts mehr mit gediegenem Kulturpessimismus zu tun, sondern mit Vorgängen, die ansatzweise durchaus ihre Entsprechungen in der Realität haben. Man denke an das Heer der Obdachlosen und Armen in den Staaten und die sehr realen chinesischen Druckmittel: Dieser Tage droht China den auf Pump lebenden Amerikanern mit Geldentzug. In diesem Sinne ist dies vor allem ein düsteres Buch, von einem Autor, der wütend ist und desillusioniert.

Lesung am 14.9. auf der "Cap San Diego". Informationen unter www.harbour-front.org

Gary Shteyngart: "Super Sad True Love Story". Übers. v. Ingo Herzke. Rowohlt. 462 S., 19,95 Euro