Gary Shteyngart beschreibt das russisch-jüdische Einwandererbiotop in Amerika. Ein Debüt mit sehr viel Humor und Reife.

Vladimir Grishkin ist der Held unserer Zeit. Er ist dem Geburtsjahr nach ein 68er. Als er seinen 25. Geburtstag feiert, hat er die erste Hälfte seines Lebens in Leningrad, die andere Hälfte in den USA verbracht. Die Immigration nach Amerika erfolgte im Austausch Getreide gegen Juden.

Seine Eltern haben es inzwischen weit gebracht. Vor allem seine Mutter Jelena Petrowna: "Eine Prachtjüdin! Der Stolz eures Volkes. Eine kapitalistische Wölfin, Schrecken der Hedgefonds, Zarin ohne Gnade." So ins Schwärmen gerät Mr. Rybakow, ein befreundeter Russe.

Literarisches Leben haucht diesen Protagonisten und einem umfangreichen weiteren Personal Gary Shteyngart in seinem "Handbuch für den russischen Debütanten" ein. Das Buch ist selbst das Debüt des 1972 in Leningrad geborenen und im Alter von sieben Jahren mit seinen Eltern in die USA ausgewanderten Autors. Er hat unsere Zeit verstanden und akzeptiert sie als Kulisse, vor der er sein witziges Tempospiel aufzieht.

Vladimir ist wenig erfolgreich und steckt in Geldschwierigkeiten. Mr. Rybakow lernt er auf seinem Job bei der Immigrantenberatung kennen. Der Russe will unbedingt amerikanischer Staatsbürger werden und verfügt über märchenhafte Reichtümer.

Sein Sohn ist das "Murmeltier", Oberhaupt einer Russenmafia, die von Prawa aus ihr Imperium lenkt. Das ist die Hauptstadt des "Wilden Ostens", im ost-mitteleuropäischen Märchenland Stolowaja. Vladimir inszeniert eine Scheineinbürgerung von Rybakow senior, und fortan stehen ihm in Prawa alle Karrieretüren offen. Er wird zum Doppelagenten und gründet eine Familie.

Das ist eine Räuberpistole im Zeichen der Globalisierung. Da werden Klischees turmhoch geschichtet und als Aussichtsplattformen für einen besseren Blick auf unsere Welt benutzt.

Wer sich wie Vladimir in beiden Welten auskennt, ist im Vorteil. Wer sich - wie auch Shteyngart - in beiden Welten auskennt, schreibt nicht die langweiligen Milieukrimis über die "Neuen Russen".

Der Autor geht viel souveräner mit dem frei gestalteten Material um. Wenn er überzeichnet, dann immer mit einem Augenzwinkern. Wenn er das jüdische Einwanderungsbiotop in New York auf die Schippe nimmt, dann weiß er sehr wohl, wovon er spricht und wie das klingt.

Wie der Autor einen im 7er-BMW von Prawa aus durchgeführten Besuch im Konzentrationslager Auschwitz II (Birkenau) in seinen unterhaltsamen Roman einbaut, zeugt von Reife. Die Ansprüche, die Shteyngart an die Unterhaltung seiner Leser stellt, sind höher als die vieler in Deutschland als Entertainment-Titel angepriesenen Bücher.

Seine literarischen Anspielungen vermarktet der Autor nicht als Lektion in Allgemeinbildung. Sein Witz ist intelligent, und er wird zum Irrwitz, weil die Welt so irre ist. Wer uns das so elegant und komisch erzählt, kann uns auch einiges zumuten. (Harald Loch)

  • Gary Shteyngart: Handbuch für den russischen Debütanten. Ins Deutsche von Christiane Buchner und Frank Heibert, Berlin Verlag, 493 Seiten; 22 Euro.